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Die sog. Kopftuchdebatte berührt drei unterschiedliche Problemfelder: das Verhältnis von Staat und Religion, die
Emanzipation der Frau und das Verhältnis des Westens zum Islam. Jedes muss für sich behandelt und doch darf keins vom anderen getrennt werden,
wenn man nicht sicher auf die schiefe Bahn geraten will.
Dass die Debatte derzeit so hochkocht, hat die islamische Gemeinde in Deutschland nicht zu
verantworten. Das ist eine Folge des sog. »Kriegs gegen den Terror«, dem sich alle westlichen Staaten verschrieben haben; in dessen Gefolge
werden alle Formen von Identität, die sich vom Westen abgrenzen, zu einer potenziellen Gefahr gestempelt. Das kann man deutlich an der
Argumentationskette: Kopftuch = Fundamentalismus = Terrorismus erkennen, mit der die Gesetze gegen das Kopftuch begründet werden.
Diese Kette hält der Empirie nicht stand: Weder sind alle Kopftuch tragenden Frauen
Islamistinnen noch Fundamentalistinnen; eine solche Gleichsetzung die leider auch von »fortschrittlicher« Seite vorgenommen wird,
angeblich im Namen der Frauenemanzipation ist nur geeignet, Vorurteile und Angst zu schüren. In manchen rechten wie linken Diskursen wird
das Kopftuch zum Symbol für ein neues Feindbild stilisiert und damit einer unverantwortlichen Paranoia das Wort geredet. Deshalb müssen
Gesetze, die die muslimische Bevölkerung diskriminieren, uneingeschränkt abgelehnt werden.
In Deutschland wollen die Bundesländer den Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs an
Schulen verbieten. Anders als das Gesetz, das die französische Nationalversammlung verabschiedet hat, verbieten die deutschen Gesetze aber nur ein
Symbol der islamischen Religion; Symbole anderer Religionen werden toleriert. Das stellt eine unakzeptable Diskriminierung einer Religion dar und ist geeignet,
das Verhältnis zu den arabischen und türkischen Gemeinden in der Bundesrepublik zu vergiften.
Man kann das Kopftuch auch nicht im Namen der Frauenemanzipation verbieten. Das
Kopftuch ist sicher ein religiöses Symbol, aber es nicht nur das: Es ist auch Ausdruck einer Geschlechterhierarchie, in der Mädchen züchtig
zu sein haben, und es ist Ausdruck einer kommunitären Identität, in der manche Zuflucht suchen. Dazwischen gibt es unzählige Abstufungen,
die genauen Motive können immer nur individuell ausgemacht werden.
Wo die Religion das geistige Leben dominiert, transportiert sie mehr als nur Gläubigkeit,
auch eine Werteordnung, und die ist immer patriarchalisch und repressiv gegen Frauen, weil sie ihre Körperlichkeit unterdrückt. Aus der Sicht der
Frauenemanzipation gehört das Kopftuch bekämpft das ist kein »Nebenwiderspruch«, diese Dimension des Problems kann
nicht als »zweitrangig« beiseite geschoben werden. Wie der antirassistische Kampf ist auch der Kampf für die Befreiung der Frau ein
universeller; er darf nicht opportunistisch Halt machen vor anderen Nationalitäten oder Religionen.
Aber diesen Kampf kann man nicht stellvertretend führen, schon gar nicht wenn es um
nichtdeutsche Gemeinschaften geht, denen immer wieder unterstellt wird, sie gingen so viel barbarischer mit Frauen um, und schon gar nicht mit Gesetzen, die
diese Gemeinschaften pauschal diskriminieren und den Frauen darin den Schritt zur Eigenständigkeit verbauen.
Man kann sich nur wundern über die Vehemenz, mit der die Rechtlosigkeit von Frauen
aus islamischen Ländern ziemlich unterschiedlos und im selbstgefälligen Ton der Überlegenheit der ach so viel fortschrittlicheren
westlichen Zivilisation angeprangert wird; man sucht vergeblich den empörten Aufschrei, die Flut von Aufrufen und Kampagnen, wenn es um die
Gewalttätigkeit deutscher Männer geht, die doch zahlenmäßig viel stärker verbreitet ist. Jungen Frauen hilft man nicht dadurch
aus der religiösen Abhängigkeit und aus der Unterordnung unter die Familie, dass man ihre religiösen Äußerungen
unterdrückt. Religion kann man nicht verbieten, man muss sich von ihr freimachen. Das können die Frauen nur aus eigener Kraft.
Andererseits wäre es auch blauäugig zu übersehen, dass der
Fundamentalismus in einigen islamischen Gemeinden an Boden gewinnt und das Kopftuch auch von dieser Seite als Kampfmittel eingesetzt wird. Diese
Entwicklung ist in Frankreich wesentlich fortgeschrittener als hier, sie liegt vor allem darin begründet, dass die zunehmende soziale Ungleichheit in erster
Linie auf diese Gemeinschaften desintegrierend wirkt. Deshalb ist der wichtigste Hebel zur Emanzipation die soziale Integration, vor allem gleiche
Aufstiegschancen über Schule und Hochschule und keine Diskriminierung im Beruf. Eine Rekonfessionalisierung der öffentlichen Schulen ist dazu
ungeeignet. Die öffentliche Ordnung hat die Aufgabe, unterschiedliche Kulturen und Traditionen zu integrieren; das kann sie nur, wenn sie selber
religiös und weltanschaulich neutral ist.
Das betrifft ihre Vertreterinnen und Vertreter, nicht die Nutzer. Ein Lehrer in
Mönchskutte macht nicht nur Unterricht, er macht Werbung für seine Religion. Zugleich ist er eine Autorität und vertritt die Institution Schule
eine öffentliche Einrichtung, die aus Steuergeldern finanziert wird und einen gesellschaftlichen Erziehungsauftrag hat. Der muss ohne
Religionsbezug formuliert sein. Dem Lehrer muss die Demonstration seiner Ansichten im Rahmen dieser Öffentlichkeit untersagt werden. Eine
Schülerin aber vertritt nicht die Schule; sie macht einen individuellen Entwicklungsprozess durch, in dessen Verlauf es ihr einfallen kann, ein Kopftuch zu
tragen. Ob der Erziehungsauftrag an ihr erfüllt wird, ist auch eine pädagogische Frage.
Solange nun die bundesdeutschen Gesetze den christlichen Religionen die Demonstration ihrer
Symbole an den Schulen erlauben, solange darf dasselbe anderen Religionen nicht verwehrt werden. Bleibt man dabei jedoch stehen, breitet sich die Religion an
den Schulen wieder aus. Aus gutem Grund hat die Arbeiterbewegung dagegen einen langen Kampf geführt, dessen Errungenschaften jetzt auch, wie viele
andere, zurückgedreht zu werden scheinen. Die umgekehrte Richtung muss eingeschlagen werden: die längst überfällige
vollständige Durchsetzung der Trennung von Religion und Staat. Manche verweisen darauf, die Religion in den westlichen Gesellschaften spiele eh keine
Rolle mehr, ob da noch zwei Lehrerinnen mit Kopftuch dazu kommen, sei unerheblich. Diese Argumentation verkennt, dass die Sinnkrise der
spätkapitalistischen Gesellschaften Menschen wieder in die Arme der Religion treibt. Davon profitiert aber letzten Endes vor allem die christliche Religion
und gegen die Diskriminierung des Islam ist nichts gewonnen.
Angela Klein
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