SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 8

Kopftuchstreit

Eine Debatte mit vielen Abgründen

Die sog. Kopftuchdebatte berührt drei unterschiedliche Problemfelder: das Verhältnis von Staat und Religion, die Emanzipation der Frau und das Verhältnis des Westens zum Islam. Jedes muss für sich behandelt und doch darf keins vom anderen getrennt werden, wenn man nicht sicher auf die schiefe Bahn geraten will.
Dass die Debatte derzeit so hochkocht, hat die islamische Gemeinde in Deutschland nicht zu verantworten. Das ist eine Folge des sog. »Kriegs gegen den Terror«, dem sich alle westlichen Staaten verschrieben haben; in dessen Gefolge werden alle Formen von Identität, die sich vom Westen abgrenzen, zu einer potenziellen Gefahr gestempelt. Das kann man deutlich an der Argumentationskette: Kopftuch = Fundamentalismus = Terrorismus erkennen, mit der die Gesetze gegen das Kopftuch begründet werden.
Diese Kette hält der Empirie nicht stand: Weder sind alle Kopftuch tragenden Frauen Islamistinnen noch Fundamentalistinnen; eine solche Gleichsetzung — die leider auch von »fortschrittlicher« Seite vorgenommen wird, angeblich im Namen der Frauenemanzipation — ist nur geeignet, Vorurteile und Angst zu schüren. In manchen rechten wie linken Diskursen wird das Kopftuch zum Symbol für ein neues Feindbild stilisiert und damit einer unverantwortlichen Paranoia das Wort geredet. Deshalb müssen Gesetze, die die muslimische Bevölkerung diskriminieren, uneingeschränkt abgelehnt werden.
In Deutschland wollen die Bundesländer den Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs an Schulen verbieten. Anders als das Gesetz, das die französische Nationalversammlung verabschiedet hat, verbieten die deutschen Gesetze aber nur ein Symbol der islamischen Religion; Symbole anderer Religionen werden toleriert. Das stellt eine unakzeptable Diskriminierung einer Religion dar und ist geeignet, das Verhältnis zu den arabischen und türkischen Gemeinden in der Bundesrepublik zu vergiften.
Man kann das Kopftuch auch nicht im Namen der Frauenemanzipation verbieten. Das Kopftuch ist sicher ein religiöses Symbol, aber es nicht nur das: Es ist auch Ausdruck einer Geschlechterhierarchie, in der Mädchen züchtig zu sein haben, und es ist Ausdruck einer kommunitären Identität, in der manche Zuflucht suchen. Dazwischen gibt es unzählige Abstufungen, die genauen Motive können immer nur individuell ausgemacht werden.
Wo die Religion das geistige Leben dominiert, transportiert sie mehr als nur Gläubigkeit, auch eine Werteordnung, und die ist immer patriarchalisch und repressiv gegen Frauen, weil sie ihre Körperlichkeit unterdrückt. Aus der Sicht der Frauenemanzipation gehört das Kopftuch bekämpft — das ist kein »Nebenwiderspruch«, diese Dimension des Problems kann nicht als »zweitrangig« beiseite geschoben werden. Wie der antirassistische Kampf ist auch der Kampf für die Befreiung der Frau ein universeller; er darf nicht opportunistisch Halt machen vor anderen Nationalitäten oder Religionen.
Aber diesen Kampf kann man nicht stellvertretend führen, schon gar nicht wenn es um nichtdeutsche Gemeinschaften geht, denen immer wieder unterstellt wird, sie gingen so viel barbarischer mit Frauen um, und schon gar nicht mit Gesetzen, die diese Gemeinschaften pauschal diskriminieren und den Frauen darin den Schritt zur Eigenständigkeit verbauen.
Man kann sich nur wundern über die Vehemenz, mit der die Rechtlosigkeit von Frauen aus islamischen Ländern — ziemlich unterschiedlos und im selbstgefälligen Ton der Überlegenheit der ach so viel fortschrittlicheren westlichen Zivilisation — angeprangert wird; man sucht vergeblich den empörten Aufschrei, die Flut von Aufrufen und Kampagnen, wenn es um die Gewalttätigkeit deutscher Männer geht, die doch zahlenmäßig viel stärker verbreitet ist. Jungen Frauen hilft man nicht dadurch aus der religiösen Abhängigkeit und aus der Unterordnung unter die Familie, dass man ihre religiösen Äußerungen unterdrückt. Religion kann man nicht verbieten, man muss sich von ihr freimachen. Das können die Frauen nur aus eigener Kraft.
Andererseits wäre es auch blauäugig zu übersehen, dass der Fundamentalismus in einigen islamischen Gemeinden an Boden gewinnt und das Kopftuch auch von dieser Seite als Kampfmittel eingesetzt wird. Diese Entwicklung ist in Frankreich wesentlich fortgeschrittener als hier, sie liegt vor allem darin begründet, dass die zunehmende soziale Ungleichheit in erster Linie auf diese Gemeinschaften desintegrierend wirkt. Deshalb ist der wichtigste Hebel zur Emanzipation die soziale Integration, vor allem gleiche Aufstiegschancen über Schule und Hochschule und keine Diskriminierung im Beruf. Eine Rekonfessionalisierung der öffentlichen Schulen ist dazu ungeeignet. Die öffentliche Ordnung hat die Aufgabe, unterschiedliche Kulturen und Traditionen zu integrieren; das kann sie nur, wenn sie selber religiös und weltanschaulich neutral ist.
Das betrifft ihre Vertreterinnen und Vertreter, nicht die Nutzer. Ein Lehrer in Mönchskutte macht nicht nur Unterricht, er macht Werbung für seine Religion. Zugleich ist er eine Autorität und vertritt die Institution Schule — eine öffentliche Einrichtung, die aus Steuergeldern finanziert wird und einen gesellschaftlichen Erziehungsauftrag hat. Der muss ohne Religionsbezug formuliert sein. Dem Lehrer muss die Demonstration seiner Ansichten im Rahmen dieser Öffentlichkeit untersagt werden. Eine Schülerin aber vertritt nicht die Schule; sie macht einen individuellen Entwicklungsprozess durch, in dessen Verlauf es ihr einfallen kann, ein Kopftuch zu tragen. Ob der Erziehungsauftrag an ihr erfüllt wird, ist auch eine pädagogische Frage.
Solange nun die bundesdeutschen Gesetze den christlichen Religionen die Demonstration ihrer Symbole an den Schulen erlauben, solange darf dasselbe anderen Religionen nicht verwehrt werden. Bleibt man dabei jedoch stehen, breitet sich die Religion an den Schulen wieder aus. Aus gutem Grund hat die Arbeiterbewegung dagegen einen langen Kampf geführt, dessen Errungenschaften jetzt auch, wie viele andere, zurückgedreht zu werden scheinen. Die umgekehrte Richtung muss eingeschlagen werden: die längst überfällige vollständige Durchsetzung der Trennung von Religion und Staat. Manche verweisen darauf, die Religion in den westlichen Gesellschaften spiele eh keine Rolle mehr, ob da noch zwei Lehrerinnen mit Kopftuch dazu kommen, sei unerheblich. Diese Argumentation verkennt, dass die Sinnkrise der spätkapitalistischen Gesellschaften Menschen wieder in die Arme der Religion treibt. Davon profitiert aber letzten Endes vor allem die christliche Religion und gegen die Diskriminierung des Islam ist nichts gewonnen.

Angela Klein

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang