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Beim vierten Mal wars anders. Frauen waren beim Weltsozialforum in Mumbai im Unterschied zu den ersten
drei Weltsozialforen in Porto Alegre überall, auf den Straßen bei den Hunderten Gruppierungen, die von morgens bis abends
megafonverstärkt ihre Anklagen und Forderungen zu Landrechten, Ausgrenzung von Dalit und Indigenen, zu Kinderrechten und gegen die Vertreibung
von Slumbewohnern, für Bildungs- und Gesundheitsrechte, gegen den US-Imperialismus und für ein freies Tibet skandierten, in den
Theatergruppen, hinter den Ausstellungs- und Verkaufsständen, in den großen Veranstaltungshallen und den kleinen Zelten für die
Workshops, auf nahezu allen Podien.
Unablässiges Bohren dünner und dicker Bretter, Drängen, Drohen, Verhandeln habe Fortschritte gebracht, meint mit vernehmbarem
Zähneknirschen Gigi Francisco vom International Council des WSF. Sie versucht seit Jahren, mehr Frauen und feministische Ansätze ins Programm
zu bekommen, vor allem auf die Podien der heiß umkämpften zentralen Megaveranstaltungen. Die Vertreterinnen von Frauenverbänden und
autonomen feministischen Gruppen legten dann im indischen Vorbereitungskomitee nach. Mit Erfolg.
Präsenz und Sichtbarkeit waren das Resultat. Doch hinterrücks stellte sich wieder
einmal eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung her. Frauen waren die Stars, die die Highlights auf einigen Großveranstaltungen setzten: allen voran
Arundhati Roy, die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die alte Kämpferin gegen den Schleier, Nawal el Sadaawi, die indische Volkstribunin Medha
Patkar. Frauen dominierten in vielen Seminaren und Workshops, wo Grundrechte und Minderheitenrechte auf der Tagesordnung standen, wo es um den Alltag
von Gewalt, Diskriminierung und Ausschluss ging, wo Basisaktivismus diskutiert wurde.
Bei den Strukturdebatten waren dagegen die Podien fest in den Händen mittelalter
weißer Akademikermänner. Bei der zentralen Veranstaltung zu Alternativen zur neoliberalen Globalisierung: keine Frau, bei der Großdebatte
zur Zukunft des WSF: neun Männer, eine Frau. Den Frauen der Starglanz und die Basisarbeit, den Männern die Strukturen? Sind Frauen das
Rückgrat sozialer Kämpfe und auch ein paar Galionsfiguren, während die Bewegungspolitik weiterhin von Männern gemacht wird?
Mumbai hat gezeigt, dass Frauenorganisationen und netzwerke ein bedeutender Teil der globalen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit sind,
und dass sie sich in die Neoliberalismuskritik in all ihren Facetten einklinken. Drei inhaltliche Schwerpunkte aus der schier endlosen Bandbreite von Themen
zeichneten sich als Interessenspektrum von Frauen ab 85 von über 1000 Veranstaltungen wiesen bereits in der Themenstellung einen Fokus auf
Frauen oder Gender aus: spezielle Frauenrechte und Minderheitenrechte, Krieg und Gewalt, und mikro- und makroökonomische Themen,
einschließlich Land- und Wasserrechte.
Frauen unterstützen die von kleinbäuerlichen Netzwerken wie Via Campesina
artikulierte Forderung nach Ernährungssouveränität. Ernährung kann nicht konzerngesteuert durch eine industrialisierte
Exportproduktion, durch Freihandel und patentiertes Saatgut gesichert werden, sondern nur eine lokale und regionale Landwirtschaft auf der Grundlage von
Rechten an Land und Wasser.
Auch die Privatisierung öffentlicher Güter wurde konsequent aus einer
Frauenperspektive demontiert. Um ihr Überleben zu sichern, brauchen Frauen Ressourcenrechte, vor allem an Land, Wasser, Biodiversität und
Saatgut. Genau diese werden derzeit durch Liberalisierung, Privatisierung und Patentierung stark gefährdet. »Die Regierungen sind stärker
daran interessiert, Privatunternehmen Rechte zu geben als lokalen Bevölkerungsgruppen und Frauen«, war Konsens in vielen Diskussionen.
Immer mehr dringt zudem der Tourismus in landschaftlich oder kulturell interessante Gebiete
ein, der ebenfalls auf einem hohen Ressourcenverbrauch basiert, aber auch Nachfrage die Prostitution ankurbelt und die Kommerzialisierung auch des weiblichen
Körpers vorantreibt. Systematisch wurde die Kehrseite von Mikrokrediten, die in vielen Ländern des Südens als Königinnenweg
gepriesen werden, der Frauen aus Armut und Unterdrückung führe, unter die Lupe genommen und als entpolitisierende Einbindung in die
Geldzirkulation und in Bankengeschäfte kritisiert.
Einen neuen Akzent setzten autonome Frauenorganisationen auf dem WSF. Sie setzten die bewährte feministische Strategie fort, das Private zu
politisieren, verknüpften sie gleichzeitig mit dem Kampf gegen Fundamentalismen, Konservatismus und Rassismus. Da diskutierten Musliminnen aus
Europa und Asien miteinander über Sexualität, Prostituierte forderten Anerkennung als »Sexarbeiterinnen«, Lesben, Schwule und
Transsexuelle klagten ihre Rechte ein. Lateinamerikanische Feministinnen nahmen ihren Parole aus früheren Weltsozialforen »Gegen alle
Fundamentalismen« wieder auf, um zu verdeutlichen, dass sie gegen ein breites Spektrum von politischer, ökonomischer, kultureller und sozialer
Herrschaft und Gewalt kämpfen und eine breite emanzipatorische Perspektive verfolgen.
Vor allem in den Debatten über Fundamentalismen und Identitätspolitik wurde
deutlich, dass das alte Erklärungsmodell von Frauenunterdrückung durch das Patriarchat nicht ausreicht. Frauen sind zwar überall Opfer von
ethnisch, religiös, rassistisch oder ökonomisch motivierter Gewalt, aber sie sind manchmal auch Täterinnen. So beteiligten sich vor zwei
Jahren Hindufrauen aktiv an dem Pogrom gegen Muslime im indischen Bundesstaat Gujarat.
Ein zweitägiger Internationaler Feministischer Dialog unmittelbar vor dem WSF hatte
zentrale Themenstellungen und Strategien präzisiert, die Feministinnen in die globalisierungskritischen Bewegungen einbringen wollen. Angelpunkte der
Debatte waren: Was hat der Menschen- und Frauenrechtsansatz, auf den Frauenbewegungen im vergangenen Jahrzehnt voll eingeschwenkt sind, gebracht? Wie
weiter mit dem Einklinken in die globalisierungskritischen Bewegungen? Sollen Frauenbewegungen lediglich punktuell taktische Übereinkünfte mit
anderen sozialen Bewegungen schließen oder strategische Allianzen eingehen?
Der Bezug auf Menschenrechte hat Fortschritte im Verfassungsrecht, in gesetzlichen
Regelungen und internationalen Konventionen gebracht. Doch dies löst noch lange keine kulturelle Transformation in den Gesellschaften aus. Das
Menschenrechtskonzept taugt offenbar wenig, um Strukturen zu verändern. Im Gegenteil: verschiedene religiöse Fundamentalismen und der
Marktfundamentalismus, der zur Deregulierung führt, verhindern einmal mehr die Umsetzung von Menschen- und Frauenrechten.
Das beklemmende Gefühl, »mit dem Rücken zur Wand zu stehen« nötigt Frauen dazu, neue Instrumente, Strategien und
Allianzen zu suchen, politische, wirtschaftliche und kulturelle Rechte zu verknüpfen, individuelle und kollektive Rechte in eine Balance zu bringen, und
Allianzen mit anderen Bewegungen zu schließen, die für Rechte kämpfen.
»Barrieren überwinden, Brücken schlagen« lautete denn auch der
Titel eines spannenden Austauschs zwischen Vertretern von vier Bewegungen: Gewerkschaften, Dalit-/Antirassismusbewegung, Frauenbewegung und
Lesben/Schwulen-Bewegung. Wie können Bewegungen über ihre Partikularinteressen hinausgehend die Rechte und Forderungen anderer
akzeptieren, mitvertreten und in eine emanzipatorische Praxis einbauen? Brücken wurden auch geschlagen, wo zwischen Palästinenserinnen und
Israelinnen ein Reden über ihre Traumatisierung und Gewalterfahrungen möglich wurde. Insgesamt fehlte es jedoch an Begegnungen, wo Raum
war, solidarisch zu streiten, aus Auseinandersetzungen und Reibungen Wege nach vorn zu sondieren und Bündnisse strategisch auf politische Praxis zu
orientieren.
Mumbai war eine Mischung aus Festival und Kongress, wo die so unterschiedlichen
AkteurInnen vor allem Aufmerksamkeitspolitik betrieben. Aktivitäten und Anliegen wurden präsentiert, Debatten gebündelt und zugespitzt,
Austausch, Vernetzung und Aktionsplanungen vorangetrieben. Frauenbewegungen und Feministinnen gewannen dabei an Präsenz, weil ihnen eine
stärkere Integration der Vielfalt der Globalisierungskritiken und der Bewegungen gelungen ist. Sie haben an eigenständigem Profil verloren, weil
eine solche Integration die Gefahr birgt, dass Frauen nur noch eine Stimme im vielstimmigen Chor von Identitätspolitik und Rechtskämpfen sind.
Doch derzeit ist der Marsch hinein in die Bewegungen die Strategie, von der sich Frauenbewegungen die größten Mobilisierungs- und
Synergieeffekte und eine Übersetzung der überwältigenden Vielfalt in emanzipatorische Dynamiken erhoffen.
Christa Wichterich
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