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Die Notwendigkeit einer europaweiten Koordination und Sammlung der linken Opposition ist seit langem evident. Die Hektik,
mit der jetzt auf einmal eine »Partei der europäischen Linken« installiert wird, dürfte sich allerdings in erster Linie aus der finanziellen
Förderung europäischer Parteien durch die EU erklären. Am 10./11.Januar haben Vertreter von elf Parteien aus West- und Osteuropa in Berlin
eine Übereinkunft über die Gründung der neuen Europäischen Linkspartei noch vor der im Juni stattfindenden Europawahl erzielt.
Was haben die PDS, Rifondazione Comunista, die griechische Linkspartei Synaspismos, die (mehr oder weniger) Kommunistischen Parteien
Frankreichs, Österreichs, Tschechiens und der Slowakei, die tschechische Partei des demokratischen Sozialismus, die Vereinigte Linke Spaniens, das
Luxemburger Bündnis Déi Lénk und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Estlands gemeinsam? Alle sind zumindest teilweise aus der
»offiziellen« kommunistischen Bewegung hervorgegangen. Aber sie haben in mancher Hinsicht unterschiedliche Wege eingeschlagen. Bei
insgesamt vorherrschender Tendenz zu staatstragendem Verhalten bestehen deutliche ideologische Differenzen, und auch in Fragen wie der Position zur
geplanten EU-Verfassung klafft zwischen dem klaren Nein von Rifondazione und der wachsweichen Haltung der PDS eine erhebliche Distanz.
Es liegt bereits ein Programmentwurf vor, der Themen wie die Prekarisierung der Arbeits- und
Lebensverhältnisse anspricht und den Kämpfen von Gewerkschaften und Bewegungen Reverenz erweist, jedoch unverbindlich bleibt und in viele
Richtungen interpretierbar ist. Aber an die Brüsseler Fleischtöpfe, so scheint es, will man sich jetzt gemeinsam heranmachen.
Für »die europäische Linke« steht die neue Partei keinesfalls. Das
kann man ihr nicht vorwerfen, weil »die Linke« in Europa tatsächlich alles andere als homogen ist. Die »ungleichzeitige«
Entwicklung, die Lenin als Charakteristikum des Imperialismus ansah, betrifft vor allem die sozialen Unterschichten. Die Unterschiede in der Programmatik der
linken Oppositionskräfte erklären sich aus der Verschiedenheit ihrer sozialen Basis.
Die letzten »orthodoxen« KPs, die sich an der europäischen Peripherie nach
1990 trotz Schrumpfungsprozessen als relevante und mobilisierungsfähige politische Kräfte zu halten vermochten, die griechische KKE und die
portugiesische PCP, können sich noch auf traditionelle, industrielle und agrarische Milieus stützen, die in Mitteleuropa zerfallen sind. Die KKE will
über eine »patriotische« Volksfrontpolitik Griechenland aus der EU herauslösen. Sie lehnt deshalb das Projekt einer europäischen
Linkspartei grundsätzlich ab und begegnet der neuen Bewegungslinken mit bisweilen an Paranoia grenzendem Misstrauen. Die PCP, die traditionalistische
Positionen in etwas milderer Form vertritt, hat anfangs an den Beratungen zur europäischen Parteigründung teilgenommen, dann aber einen
Rückzieher gemacht.
Beide Parteien sind aber längst nicht mehr in der Lage, in ihren Ländern für
die gesamte Linke zu sprechen. In Griechenland wurde der hauptsächlich aus verschiedenen KP-Abspaltungen entstandene Synaspismos (Koalition der
Linken der Bewegungen und der Ökologie) zum Sammelbecken der urbanen, zivilgesellschaftlichen, proeuropäischen Linken, wobei dem
reformistischen Ex-KP-Mainstream eine wachsende radikalere Tendenz entgegentritt. In Portugal ist der PCP Konkurrenz von links durch den Bloco de
Esquerda (Linksblock) erwachsen, der eine vorwiegend jüngere, gebildetere Anhängerschaft in den Großstädten gewinnen konnte. Der
Bloco gehörte zu den Gründungsorganisationen der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL), die sich als Alternative zu den
etablierten Linksparteien versteht.
Auch in Frankreich hat der Niedergang der PCF, bedingt durch den sozialen Strukturwandel,
einer Radikalisierung Raum gegeben. Die trotzkistische Lutte Ouvrière hat durch jahrelange kontinuierliche Betriebsarbeit einen Teil der Reste des alten
PCF-Milieus, vor allem in den krisengeschüttelten Industrieregionen, an sich binden können. Der eigentliche Senkrechtstarter der letzten Jahre aber
ist die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) mit ihrem eher bunt-alternativen, bewegungslinken Profil. Ihre Basis umfasst vor allem
Lohnabhängige im öffentlichen Dienst, Prekarisierte, Aktive der SUD-Basisgewerkschaften, der Erwerbslosenbewegung und des
globalisierungskritischen und antirassistischen Spektrums. Auch die LCR gehört zu den tragenden Kräften der EAL.
Bei den Ex-, Post- und Reformkommunisten, die in der künftigen europäischen
Partei den Ton angeben, dominiert eher eine parlamentarische Reformorientierung. Als noch offen eingeschätzt werden muss wohl die Entwicklung der
vom wahlpolitischen Gewicht her stärksten Kraft unter den Unterzeichnern der Berliner Erklärung, der Kommunistischen Partei Böhmens
und Mährens (KSCM), die bei der letzten Wahl zum tschechischen Parlament 18% erzielte. An ihrer Spitze hat sich vorerst der modern-
proeuropäische Flügel durchgesetzt, aber die Wählerbasis umfasst zu einem erheblichen Teil »konservative«
Bevölkerungskreise, die eher vom national-orthodoxen und nostalgischen Parteiflügel repräsentiert werden.
Eine wichtige Rolle spielt zweifellos die italienische Rifondazione Comunista (PRC). Ihre
Besonderheit besteht darin, dass sie aufgrund ihrer Geschichte verschiedene linke Milieus integriert, von den KP-Traditionalisten der alten Industriehochburgen
bis zu den postautonomen Disobbedienti, die anderswo organisatorisch weit voneinander entfernt sind. Das bedeutet aber auch, dass die Parteiführung um
Fausto Bertinotti in viele Richtungen taktieren muss. Die PRC nimmt seit einiger Zeit auch an EAL-Konferenzen teil. Da die Parteimehrheit inzwischen glaubt,
über die Beteiligung an einer neuen Mitte-Links-Regierung mehr erreichen zu können als über außerparlamentarische Mobilisierungen,
die bislang keine handfesten Ergebnisse brachten, will man sich aber nicht auf die sich als »Nichtregierungslinke« definierende EAL festlegen,
sondern setzt auf die Europäische Linkspartei in der Hoffnung, eine Erweiterung nach links durchsetzen und den EAL-Kräften die Tür
öffnen zu können.
Bei der Diskussion des Themas auf der Tagung der Nationalen Leitung am 28. Januar sah sich
die Bertinotti-Mehrheit indes erstmals seit langem gleich drei Gegenanträgen konfrontiert. Nicht nur die orthodox-trotzkistische Fundamentalopposition,
die die Europäische Linkspartei als reformistisch und bürokratisch ablehnt, widersetzte sich in der von ihr gewohnten Manier der Führung.
Auch zwei Komponenten der Partei, die normalerweise die Bertinotti-Strömung mehr oder weniger kritisch unterstützen, meldeten Dissens an.
Die KP-Traditionalisten der »Ernesto-Strömung«, die in der Innenpolitik
eher rechts von der Mehrheit stehen, der Orientierung auf die »Bewegung der Bewegungen« immer misstraut haben und eine Regierungsbeteiligung
klar befürworten, bemängelten an der Konstellation der Europapartei insbesondere die ungenügende Einbeziehung Osteuropas und der
orthodoxeren KPs. Sie wissen allerdings, dass die alte Gemeinschaft der »Bruderparteien« sich nicht reanimieren lässt und plädieren
für eine Kooperation aller antikapitalistischen Kräfte Europas in Gestalt eines ständigen Forums als Alternative zur überstürzten
Gründung einer Partei, die nur eine Minderheit der europäischen Linken repräsentiert und in vielen Grundfragen uneinig ist.
Auf die Unterstützung der EAL setzt dagegen die italienische Gruppe der
IV.Internationale, die in letzter Zeit auf Distanz zu Bertinotti geht. Sie schlägt vor, dass die PRC die Rolle eines »Scharniers« in der
europäischen Linken spielen soll. Zugleich findet sich diese Strömung innerhalb der Rifondazione jetzt aber zwischen allen Stühlen wieder.
Genau das ist das Risiko, dem alle, die in einer heterogenen Linken zu vermitteln versuchen, ausgesetzt sind.
Henning Böke
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