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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 15

Frauen im Irak

Schlimmer als unter Saddam

Die Situation der Frauen, wie sie sich derzeit unter dem Besatzungsregime darstellt, ist schlimmer, als alle Analysen und Vermutungen erwarten ließen. Nadia Mahmoud, Aktivistin der »Organisation der Freiheit der Frauen im Irak«, fasste die Situation im Rahmen eines Veranstaltungsbeitrags wie folgt zusammen: »Wenn Leute beginnen, unsere jetzige Situation als Frauen mit derjenigen unter Saddams Regime zu vergleichen und denken, dass es damals besser war, dann kann man erkennen, wie weit unser Kampf rückwärts getrieben wurde.«
Bereits Anfang März 2003 wurde im Irak die »Koalition für die Rechte der Frauen« gegründet. Die Aktivistinnen der unabhängigen Frauenbewegung sprachen sich klar und eindeutig gegen den Krieg aus und warnten vor den Folgen, die der Krieg insbesondere für die Frauen haben würde. Sie befürchteten, dass der Krieg auf der politischen Ebene vor allem zu einer Stärkung nationalistischer und islamistischer Kräfte führen würde, deren politische Zielvorstellungen nicht nur einer gesellschaftlichen Entwicklung ohne Ausbeutung und Unterdrückung insgesamt, sondern auch einer Verwirklichung von Frauenrechten grundsätzlich entgegensteht.
Für die Frauen im Irak ist der Krieg noch längst nicht zu Ende. Krieg bringt immer auch eine Verrohung der Gesellschaft und ein massives Ansteigen von Männergewalt gegenüber Frauen mit sich. Die Gewalt gegen Frauen hat unter dem Besatzungsregime ein solches Ausmaß erreicht, dass von einem Krieg im Krieg, einem Alltagskrieg gegen Frauen ausgegangen werden muss, wenn man nicht einer Verharmlosung der Situation das Wort reden will.
Der US-Regierung geht es darum, ihre strategischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen im Irak langfristig abzusichern. Freiheit, Demokratie und insbesondere Frauenrechte sind dabei lediglich vorgeschobene Zielvorgaben, um die Akzeptanz der Kriegs- und Besatzungspolitik zu erhöhen.
Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, den Widerstand der großen schiitischen Parteien gegen die Besatzungsmacht zu begrenzen, wird versucht, den Islamisten mit weitgehenden Zugeständnissen entgegenzukommen. Die Frauenfrage spielt für die Islamisten in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Für die Frauen im Irak führt die taktische Zusammenarbeit zwischen Besatzungsmacht und Islamisten zu einer langfristigen Bedrohung ihrer Lebensperspektiven und ist ein Verrat an ihrer Zukunft.
Wie überall auf der Welt sind es auch im Irak vor allem die Frauen, die in einer Situation von Zerstörung und Mangel durch Organisationsgeschick und besonderen persönlichen Einsatz versuchen, das Überleben der Familien zu sichern. Wasser- und Nahrungsmangel, fehlender Strom, unzureichende medizinische Versorgung und Erwerbslosigkeit sind neben der katastrophalen Sicherheitslage die Rahmenbedingungen, unter denen das Alltagsleben organisiert werden muss.
Viele Frauen sind in der Zwischenzeit schlichtweg am Ende ihrer Kraft. Die Forderung nach sofortiger Verbesserung der Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung und Wiederherstellung der öffentlichen Infrastruktur liegt deshalb auch in direktem Interesse der Frauen.

Bedrohung durch Islamisten

Der Mangel an Sicherheit verbannt Frauen und Mädchen ins Haus und der erzwungene Rückzug ist in der Öffentlichkeit nicht mehr zu übersehen. Die Gewalt gegen Frauen hat mit Entführungen und Frauenmorden als Massenphänomen sowie steigenden Vergewaltigungszahlen eine neue Dimension erreicht. Die Stärkung der Islamisten ist bereits zu einer allgemeinen Bedrohung für die Frauen geworden.
Unter den Augen der Besatzungskräfte, die ihre Anwesenheit ja damit begründen, für Sicherheit sorgen zu wollen, versuchen die islamistischen Gruppierungen mit Gewaltanwendung und Drohungen in ihren Einflussgebieten Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften für Frauen durchzusetzen. Der Zwang zur Verschleierung wächst. In einigen Städten wurden von den Islamisten bereits Arbeitsverbote für Frauen erlassen, z.B. soll es Frauen verboten werden, als Richterin zu arbeiten.
Bekannte Vertreterinnen der unabhängigen Frauenbewegung werden offen mit dem Tode bedroht, gegen mehrere Frauen wurden Fatwas erlassen. Sich für die Rechte von Frauen einzusetzen und dem Diktat der Islamisten nicht zu beugen ist zu einer lebensgefährlichen Einstellung geworden.
Besonders gefährdet ist derzeit die Frauenrechtsaktivistin Yanar Mohammed. Im Januar erhielt sie eine E-Mail von einer islamistischen Gruppe mit dem Namen »Armee von Sahaba«. Darin wird sie aufgefordert, ihre politischen Aktivitäten sofort einzustellen. Wer sich für Frauenbefreiung einsetzt, wird von den Tätern als »psychisch gestört« eingestuft. Yanar Mohammed wurde damit gedroht, das Schwert des Islam werde sie töten, wenn sie ihre Untreue zum Islam nicht beende. Von den Besatzungsbehörden wurden Schutzmaßnahmen abgelehnt. Von dort war zu hören, man habe wichtigere Sachen zu tun, als Vertreterinnen der Frauenbewegung zu schützen.
Daneben sind Frauen auch vom Terror der Besatzer in besonderer Weise betroffen. Bei Häuserrazzien wird oftmals auch der letzte Rückzugsraum für Frauen zerstört. Frauen werden bei den Razzien in ehrverletzender Weise erniedrigt, beleidigt und sexistisch motivierten Durchsuchungen unterzogen. Die allgemeinen Bestrafungsaktionen der Besatzungsmächte als Reaktion auf Widerstandsaktionen wie Abriegelung ganzer Stadtteile und Ortschaften, Abschalten von Strom- und Wasserversorgung treffen natürlich die Gesamtbevölkerung und erschweren den Frauen zusätzlich den Kampf um die Versorgung der Familien.

Besatzer gegen Frauenrechte

Der Krieg, die Besatzung und die Einsetzung von Marionettenregierungen sind Vorgehensweisen und Maßnahmen, die sich direkt gegen die Interessen der irakischen Bevölkerung richten. Die Frauen bezahlen den teuersten Preis für diese Politik.
Der von den US-Besatzungsbehörden eingesetzte Regierungsrat hat die Rechte der Frauen im Irak drastisch eingeschränkt. Mit dem »Dekret Nr.137« vom 29.12.2003 wurde das Familienrecht von 1959, das im Grundsatz von der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausgeht, außer Kraft gesetzt und für diesen Bereich zivilrechtlicher Angelegenheiten islamisches Recht (Sharia) eingeführt. Polygamie, Ehe auf Zeit und Scheidung durch Verstoßen sollen nun zum Normalfall werden. Die Diktatur der Mullahs im Iran lässt grüßen!
Das Familienrecht von 1959, das noch den Geist und die Aufbruchstimmung im Irak nach der antimonarchistischen Revolution von 1958 verkörperte, galt viele Jahre als eines der fortschrittlichsten Familiengesetze im Nahen Osten. Zwar wurden seit den 80er Jahren die Errungenschaften der irakischen Frauen u.a. durch die Islamisierungstendenzen der irakischen Regierung in der Praxis ausgehöhlt, die jetzige Entscheidung des Regierungsrats hat jedoch hinsichtlich des Abbaus von Frauenrechten eine neue Qualität: Frauen werden wieder als Menschen zweiter Klasse eingeordnet. Dies wird Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche haben.
Die Entscheidung des Regierungsrats hat zu massiven Protesten von Frauenorganisationen geführt. In vielen Städten fanden Demonstrationen, Kundgebungen und Versammlungen statt. Selbst die Ministerin für öffentliche Arbeiten, Nasrin Barwari, demonstrierte in Bagdad mit und stellte sich öffentlich gegen die mit knapper Mehrheit beschlossene Gesetzesänderung des Regierungsrats. Die »Organisation für die Freiheit der Frauen im Irak« hat einen internationalen Aufruf an alle fortschrittlichen Kräfte gerichtet, gegen die Einführung der Sharia zu protestieren. Die Frauenorganisation sieht in der Einführung der Sharia eine grobe Verletzung von Bürger- und Frauenrechten im Irak.
Der Vorgang wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Realität der von der US- Regierung immer im Munde geführten angeblichen Verteidigung der Frauenrechte, wenn es um die Rechtfertigung der eigenen Kriegspolitik geht. Der Regierungsrat ist Teil der US-Strategie der »Irakisierung der Besatzung«. Dem Regierungsrat fehlt nicht nur jegliche demokratische Legitimation, er hat auch keinerlei eigenständige Entscheidungskompetenz. Alle Entscheidungen müssen vom Vertreter der US-amerikanischen Besatzungsverwaltung, Paul Bremer, abgesegnet werden.
Von einem Veto Paul Bremers gegen die Einführung des neuen reaktionären Familienrechts und der damit verbundenen Beschneidung von Frauenrechten ist nichts bekannt. Es ist offensichtlich, dass von Seiten der Besatzungsverwaltung wie der Mehrheit der politischen Kräfte im Regierungsrat Frauenrechte letztlich nur als Verhandlungsmasse im Poker um Macht und politischen Einfluss betrachtet werden, auf die jederzeit verzichtet werden kann, wenn es aus taktischen Gründen erforderlich erscheint.
In den irakischen Medien dominierte denn auch die Einschätzung, mit der Entscheidung zur Islamisierung des Familienrechts habe man den Strömungen der islamischen Fundamentalisten entgegenkommen und ihre Kritik an den Plänen der US-Regierung für eine Übergangsregierung abmildern wollen. Bereits durch vorangegangenen Maßnahmen hatte der Regierungsrat seine reaktionäre Einstellung zur Frauenfrage erkennen lassen, indem er den 18.August eines Jahres zum nationalen Frauentag des Irak erklärte. Dieser Tag ist der Geburtstag von Fatima Al-Zahra, einer Tochter des Propheten Mohammad.
Die fortschrittliche Frauenbewegung im Irak wertete diese Entscheidung als klare Kampfansage. Das Baath-Regime hatte im Gegensatz zum 8.März, dem Internationalen Frauentag, den 4.März zum nationalen Frauentag ausgerufen und damit versucht, die Frauenbewegung in einen »nationalistischen Rahmen« zu pressen. Mit der Entscheidung des Regierungsrates soll nun der »nationalistische Rahmen« durch einen »islamischen Rahmen« ersetzt werden. Houzan Mahmud, Chefredakteurin der Zeitung »Gleiche Rechte jetzt«, weist darauf hin, dass es weder in der Vergangenheit noch heute zwischen Fatima Al-Zahra und Frauenrechten eine Verbindung gibt. Die Tochter des Propheten Mohammed sei vielmehr ein Symbol für den Zwang zur Verschleierung, der Abhängigkeit der Frauen von den Männern und der untergeordneten Position der Frauen im Islam.

Frauenwiderstand organisiert sich

Im Juni 2003 wurde die Organisation der Freiheit der Frauen im Irak (OWFI) gegründet, die im Kampf für die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Gesellschaft und der Verteidigung und Durchsetzung von Fraueninteressen eine wichtige Rolle spielt. An der Einweihungsveranstaltung in Bagdad nahmen Hunderte von Frauen teil. Die Frauen der OWFI verstehen ihre Arbeit als Teil des weltweiten Kampfes für die Befreiung der Frauen. Frauenrechte sind nach ihrem Verständnis universelle Rechte, die auch nicht mit dem Hinweis auf Ländergrenzen, Tradition, Kultur, Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit zur Disposition gestellt werden dürfen. Die neu gegründete Frauenorganisation versteht sich als Teil der gewerkschaftlichen und zivilen Widerstandsbewegung gegen das Besatzungsregime und Teil der Bewegung für den Aufbau einer demokratischen Alternative im Irak, die ohne Gleichberechtigung der Geschlechter und Festschreibung von Frauenrechten undenkbar ist.
Als Teil des Kampfes gegen die Gewalt gegen Frauen wurde in Bagdad ein Frauenschutzhaus eröffnet, weitere sollen im ganzen Land folgen. Mit den Frauenschutzhäusern wird einerseits ein öffentliches Zeichen gesetzt und andererseits den Frauen, die Opfer privater oder öffentlicher Gewalt geworden sind oder mit dem Tode bedroht werden, tatsächlicher Schutz gewährt. Außerdem wird eine internationale Kampagne zur Beendigung von Vergewaltigungen, Entführungen und Frauenmorden im Irak geführt. Daneben verstehen sich die Frauen als aktiver Teil der neuen Gewerkschaftsbewegung und Selbstorganisationsstrukturen in den Stadtteilen.
Der Internationale Frauentag am 8.März hat für die Frauenbewegung im Irak in diesem Jahr angesichts der massiven Angriffe auf das Leben und die Rechte von Frauen eine ganz besondere Bedeutung. Es findet eine breite Mobilisierung für diesen Tag statt, um sichtbar zu demonstrieren, dass sich die Frauen nicht aus der Öffentlichkeit verdrängen lassen und nicht bereit sind, eine Einschränkung ihrer Rechte hinzunehmen. Die Frauen fordern darüber hinaus eine sofortige Beendigung der Besatzung und eine säkulare Verfassung für den Irak, in dem alle Bewohner gleichgestellt werden, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit.
Die Aktivistinnen der Frauenbewegung hoffen vor allem darauf, dass der 8.März zu einem wirklichen Kampftag um Frauenrechte wird und den Frauen Mut macht, trotz aller Einschüchterungsversuche auch in der Folgezeit für ihre Forderungen auf die Straße zu gehen.
Die Situation der Frauen im Irak muss am 8.März auch bei den Aktivitäten in der BRD thematisiert werden. Dabei ist darüber nachzudenken, wie eine Solidaritätsbewegung mit den Frauenkämpfen im Irak aufgebaut werden kann, die sich nicht nur auf Resolutionen und finanzielle Unterstützung beschränkt, sondern zu einer wirklichen Zusammenarbeit führt. Die Grundstrukturen der Frauenunterdrückung sind weltweit gleich, lediglich die konkrete Ausprägung ist unterschiedlich.
Angesichts der kapitalistischen Globalisierung und dem weltweit feststellbaren Trend, Frauenrechte den Profit- und Machtinteressen nicht nur unterzuordnen, sondern auch zur Disposition zu stellen, müssen wir auch auf organisatorischer Ebene über Antworten wie z.B. Aufbau einer Fraueninternationale nachdenken. Frauenkampf ist international — gerade am 8.März muss sich zeigen, dass dies mehr ist als eine Parole.

Brigitte Kiechle

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