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Die Parteinahme für den irakischen Widerstand ganz unabhängig von den politischen Positionen der in ihm
vermutlich vorherrschenden politischen Strömungen ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
Ebenso selbstverständlich ist für mich, dass die revolutionäre Kritik an
diesen Strömungen, soweit sie nicht sozialistisch-emanzipativ orientiert sind, für keine Minute unterbrochen werden darf. Der Verzicht darauf ist
eine überkommene Krankheit von Linken, die Solidarität nur mit denen üben wollen, mit denen sie vollkommen einverstanden sind, oder
aber, wenn sie denn das Bedürfnis haben, solidarisch mit Leuten zu sein, deren Ansichten sie nicht teilen, ihre Kritik unterdrücken. Heraus kommen
dann Neuauflagen des »Lagerdenkens«, bei dem Menschen, soziale Gruppen und Klassen wie Schachfiguren bei einem imaginierten Weltschach
behandelt werden.
In Wirklichkeit geht es um eine kohärente internationalistische Politik, die die
Solidarität mit dem Widerstand im Irak verbindet mit der Auseinandersetzung um die Wege zu seinem Erfolg und mit der möglichst weitgehenden
Mobilisierung solidarischer Eigenaktivität der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern, angefangen mit dem eigenen Land.
Fragen wir zunächst, warum Marxistinnen und Marxisten mit dem irakischen Widerstand solidarisch sind, genau wie sie den Irak trotz des
abstoßenden Saddam-Regimes gegen die imperialistische Aggression verteidigt haben. Sie sehen die vom imperialistischen Kapitalismus und vom
monopolistischen kapitalistischen Markt beherrschte Welt als widersprüchliche, von schreiender sozialer Ungleichheit und unversöhnlichen
Klassenkonflikten zerrissene Einheit an. Sie haben nicht die Illusion, dass die wirklichen Kämpfe immer oder auch nur in der Regel unter
wünschenswerten Fahnen und mit der richtigen politischen Perspektive geführt werden. Sie sehen keinerlei Möglichkeit für die Masse
der Bauernfamilien und der Armen in Stadt und Land der arm und abhängig gehaltenen Länder, allein auf sich gestellt aus dem imperialistischen
Gefängnis auszubrechen. Nur in der Mobilisierung der Arbeiterklasse für ihre eigenen Interessen kann ihnen der Verbündete erwachsen, mit
dem sie sich gemeinsam aus ihrer Lage befreien können.
Eine umfassende Politik im Interesse der Arbeiterklasse ist jedoch universal gegen alle
Klassenunterschiede und gegen jegliche Ausbeutung und Unterdrückung gerichtet. Darauf gründet sich die marxistische Parteinahme in den
gegenwärtigen Großkonflikten und Kriegen, auch wenn die Arbeiterklasse in ihnen noch keine selbstständige Rolle spielt.
Marxisten verteidigen daher die Länder, die wie Kuba aus dem kapitalistisch-
imperialistischen System ausgebrochen sind. Deshalb verteidigen sie auch abhängig und arm gehaltene Länder gegen Aggressionen des
Imperialismus, sogar wenn sie in diesen Ländern in einen Kampf auf Leben und Tod mit den dort herrschenden Regimen verwickelt sind.
Deshalb verteidigen sie objektiv gegen den Imperialismus gerichtete Widerstandsbewegungen
ganz unabhängig von den in ihnen vorherrschenden politischen Positionen. Aus demselben Grund artikulieren Marxisten im Rahmen aller dieser
Parteinahmen ihre eigene sozialistische Position.
Fragen wir weiter nach den Erfolgschancen des irakischen Widerstands und dem
Zusammenhang mit den Methoden, die er anwendet. Wenn militärische Einrichtungen vernichtet, Offiziere und Soldaten der Besatzungsmächte
getötet werden, dient das sicherlich den Zielen des Widerstands eher, als wenn Zivilisten Anschlägen zum Opfer fallen. Das ist ohne weiteres klar.
Doch auch der blinde Terrorismus gegen Soldaten und überhaupt die Methoden des Kleinkriegs bieten für sich genommen keine Erfolgschancen.
Das ist kein moralisierendes, sondern ein nüchtern die Kräfteverhältnisse abwägendes Urteil.
Warum hatten Napoleons Truppen seit Beginn ihres Rückzugs in Richtung Westen in
Russland keine Chance? Sie hatten nicht nur eine reguläre Armee auf heimischem Boden und deren zaristische Regierung gegen sich, sondern ein ganzes
Volk, das den fremden Eroberer und seine Soldateska los werden wollte. Der Kleinkrieg war ein Bindeglied zwischen der regulären Armee Russlands und
der Sympathie der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung für ihren Kampf. Militärisch stellte er eine Ergänzung der
Operationen der regulären Armee dar, deren Verdienst vor allem in ihrem Beitrag zur Demoralisierung des Feindes bestand.
Dies war eine Situation, die militärpolitisch klassisch »Volkskrieg« genannt
wird, und wer ihn zu entfesseln versteht, kann seines Sieges gewiss sein. Ob es gelingt, ist eine weitgehend politische Frage.
Die Oktoberrevolution von 1917 in Russland kostete nur ein paar Dutzend Menschenleben. Der
Bürgerkrieg begann erst mit der bewaffneten Konterrevolution, die sich mit imperialistischen Interventionsarmeen verbinden konnte. Die junge
Rätemacht war populär genug, um sich auf die Sympathie der Mehrheit der Bevölkerung zu stützen. Sie repräsentierte die
große Mehrheit der Arbeiterklasse der Städte und hatte die Bauern vom Joch der Großgrundbesitzer befreit, ihnen Zugang zu Land verschafft
und die Beteiligung Russlands an der Schlächterei des imperialistischen Weltkriegs beendet.
Dennoch hätte sie mit einer Guerillataktik, gestützt auf mehr oder weniger
autonom voneinander operierende Partisanengruppen, die mit vereinzelten Anschlägen Gegenterror organisieren, keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Sie
schuf eine schlagkräftige Rote Armee, deren Mobilisierung von über 5 Millionen (!) Menschen wie auch ihre gesellschaftliche Verankerung
nurmöglich waren durch den opferbereiten Enthusiasmus vieler ihrer Mitglieder und durch das hohe politische Bewusstsein ihres proletarischen Kerns, der
gerade durch das Feuer der Revolution gegangen war.
Das, was der irakische Widerstand bis jetzt macht, ähnelt den Erfolgswegen bisheriger Widerstandskriege wenig. Natürlich sind die
Möglichkeiten begrenzt, und für Außenstehende ist es weder sinnvoll noch moralisch statthaft, militärische Ratschläge zu
erteilen. Der revolutionäre Marxismus, der zumindest in großen Zügen die Erfahrungen von 150 Jahren der Revolutionen,
Klassenkämpfe und Bürgerkriege verarbeitet, gestattet aber eine Näherung an die politischen Erfordernisse des Kampfes gegen die
imperialistischen Besatzer, eines Kampfes, der von einer mehr oder minder bewaffneten Minderheit geführt wird und sich auf die Sympathie eines
sicherlich bedeutenden Teils der irakischen Bevölkerung stützen kann.
Natürlich erfordert die Ausarbeitung einer politischen Linie für den Irak die
konkrete Analyse der konkreten Situation. Nur eine revolutionär-marxistische Organisation im Irak selbst könnte dies tun, im Austausch mit ihren
Gesinnungsgenossen in aller Welt. Doch einige allgemeine Gesichtspunkte sind klar genug.
Für die Befriedigung der Bedürfnisse der großen Masse der irakischen
Bevölkerung Ausbeuterklassen ausgenommen ist das reiche Ölvorkommen des Landes von entscheidender Bedeutung. Das ist keine
Perspektive für die Ewigkeit, wohl aber für die nächsten Jahrzehnte. Wenn Gott sagt, wie damit umgegangen werden soll, werden alle ohne zu
murren gehorchen. Mehr Misstrauen ist angebracht gegenüber lebenden Menschen, die vorgeben, im Namen Gottes zu sprechen.
Ebenso wenig Vertrauen verdienen weltliche Cliquen, zumal aus den Kreisen derjenigen, die
für die zusammengebrochene grausame Diktatur Saddams stehen, deren selbstmörderische Politik den Irak auf den Hund gebracht hat. Daraus
ergibt sich die Perspektive der weltlichen und demokratischen Republik.
Diese muss allen Bevölkerungsteilen die demokratischen Rechte geben,
einschließlich des Rechts der Selbstbestimmung. Das gilt insbesondere für den kurdischen Teil der Bevölkerung. Eine demokratische
Massenbewegung, die der kurdischen Bevölkerung das volle Selbstbestimmungsrecht zugesteht, wird den bürgerlichen und verräterischen
kurdischen Führungen im Norden des Irak die Basis entziehen. Darüber hinaus muss das politische System, das das Besatzerregime ablöst,
sichern, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung demokratisch über die Verwendung der Einnahmen aus dem Erdöl
entscheidet.
Die internationalistische Perspektive gibt zugleich die großen Linien für die
Methoden des Widerstands gegen das Besatzerregime vor. Die Soldaten des Besatzerregimes stehen in Feindesland, sind weithin verhasst, und eine wachsende
Zahl von ihnen ist demoralisiert und zweifelt am Recht der Sache, für die sie mit Leben und Gesundheit einstehen.
Der Widerstand muss daher eine systematische Agitation gegenüber diesen Soldaten
entfalten. Er muss ihnen erklären, in wessen Interesse sie im Lande sind, nämlich im Interesse der imperialistischen Konzerne und Banken. Er muss
sie fragen, warum so viele von ihnen Schwarze sind und Arme, die gerade im »gelobten Land« der westlichen Welt, im Land des Hauptaggressors,
keinen anderen Ausweg sahen, als sich der imperialistischen Aggressionsmaschine zu verdingen.
Anschläge mit dem Ziel, möglichst viele Besatzersoldaten zu töten, sind mit
dieser Agitation unvereinbar. Der bewaffnete Widerstand hat die doppelte Aufgabe, den eigenen Kader zu schützen und systematisch zu erweitern, und
andererseits seine bewaffneten Operationen in den Dienst der Massenbewegung gegen das Besatzerregime zu stellen. Es gilt, diese Bewegung in jeder Hinsicht
zu ermutigen und zu befördern. Soweit er militärisch dazu in der Lage ist, wird der bewaffnete Widerstand Demonstrationen, Streiks,
Gewerkschaften und andere Massenorganisationen schützen.
In dem Maße, in dem er dies noch nicht kann, wird er jeden repressiven Schlag des
Besatzerregimes prompt mit einem Gegenschlag beantworten, der sich in erster Linie gegen die verantwortlichen Befehlshaber, Stäbe und Einrichtungen
der Besatzerarmee und der ihr hörigen Polizei richtet. Nur aus der möglichst engen Verbindung der Selbstschutzorgane der Massen mit dem
bewaffneten Widerstand kann der Keim einer künftigen Armee des Volkes entstehen, die unbesiegbar sein wird trotz aller
»technologischen« Überlegenheit des imperialistischen Feindes.
Die Herausbildung einer politischen Kraft, die die Ziele des Widerstands systematisch
erklärt und popularisiert, ist ein unerlässlicher Schritt zum Sieg. Eine wichtige Aufgabe einer solchen politischen Kraft ist es, die Erkenntnis
umzusetzen, dass der Feind mit Hilfe der Entwicklung einer mächtigen internationalen Solidaritätsbewegung geschlagen werden muss, deren
wichtigster Teil in den USA selbst entsteht.
Wir in den imperialistischen Ländern haben die Aufgabe, den irakischen Widerstand zu unterstützen und die internationale
Solidaritätsbewegung gegen die imperialistische Besetzung des Irak voranzutreiben. Es gilt aber zu lernen, dies in einer revolutionären
Klassenperspektive zu tun.
Die Arbeiterklasse in den USA, in Großbritannien, in Deutschland ist in ihrer Masse und
sogar in ihrer breiten Vorhut weit entfernt von einem umfassenden, sozialistischen Klassenbewusstsein. Sie kann nicht von ihrem heutigen Bewusstsein durch
abstrakte Belehrung zu einem anderen Bewusstsein springen, welches die Erkenntnis einschließt, dass man den irakischen Widerstand unabhängig
von den in ihm vermutlich vorherrschenden politischen Positionen unterstützen muss. Es ergibt sich die Gefahr, dass Solidaritätsaktivitäten
der Linken ob nun Demonstrationen oder Sammlung von Geld für »Waffen im Irak« als rein äußerliche, durch
zweifelhafte ideologische Erwägungen motivierte Aktivitäten erscheinen.
Doch das Besatzerregime beschränkt sich nicht auf den Kampf gegen den bewaffneten
Widerstand, gegen noch nicht gefasste ehemalige Spitzenkräfte des Saddam-Regimes oder gegen einige radikale Revolutionäre. Es tritt die
elementaren demokratischen Rechte mit Füßen, es erwürgt jede selbstständige Regung der irakischen Massen. Sein Ziel ist die
Stabilisierung eines Marionettenregimes mit Hilfe verächtlicher Quislinge.
Vor allem verbietet und zerschlägt das Besatzerregime jede selbstständige Regung
der abhängig Beschäftigten, verbietet und verfolgt ihre Versuche, unabhängige Gewerkschaften aufzubauen. Daran muss die
Solidaritätsbewegung im Westen anknüpfen, um den abhängig Beschäftigten hier zu vermitteln, dass der Kern der Solidarität mit
dem irakischen Widerstand in der Klassensolidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter besteht.
Die erste Resolution eines Vertrauenskörpers, einer Belegschaft, einer
Gewerkschaftsgliederung gegen die aktuellen repressiven Schläge des Besatzerregimes gegen gewerkschaftliche Organisationen im Irak ist der
Ausgangspunkt, aus dem sich alles andere ableitet. Am Ende steht die entfaltete Klassensolidarität, die keine Waffe und keinen
Ausrüstungsgegenstand für die Besatzer durchlässt und die Regierung zwingt, den Besatzern auch nicht das Schwarze unter dem Fingernagel
zu liefern.
Selbstredend bedeutet die Entfaltung einer solchen Klassensolidarität ihrerseits ein hohes
Maß an Selbstorganisation, an Streiks, an Aktionen, die die Routine durchbrechen und vor den Heiligtümern des Privateigentums und der staatlichen
Autorität nicht halt machen. Ohne jeden Zweifel werden sich die Aufgaben der internationalen Klassensolidarität in einem solchen Stadium
zwanglos mit dem Kampf um die eigenen Klasseninteressen im eigenen Land verbinden.
Manuel Kellner
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