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James Nachtwey sei der berühmteste Kriegsfotograf unserer Zeit lesen wir. Er sei ein Zeuge und seine Bilder
seien seine Aussage. Die von ihm erfassten Ereignisse sollten nicht vergessen werden und sie dürften sich nicht wiederholen sagt Nachtwey
über sich und seine Arbeit. Wir würden sehen, wie der berühmte Fotograf den »Augenblick der Wahrheit« suche, lesen wir
über den Film War Photographer, den Christian Frei über Nachtwey gemacht hat. Der Film kam Mitte 2002 in die Kinos, und etwa ein Jahr
später wurde er auch im deutschen Fernsehen gezeigt. Bilder zu machen, die aufrütteln, die anklagen, das war und sei bis heute der Impuls für
seine Arbeit hören wir im Kulturweltspiegel, der sich am 9.Juni 2002 mit dem Film befasste.
Die ästhetische Qualität seiner Aufnahmen schärfe unseren Blick auf das,
was sie zeigen. Sie verwandele das Gesehene in ein Bild, das zurückschaut. Es sei ein Album der Menschheit, das hier entstehe, eine Bestandsaufnahme
des späten 20. und frühen 21.Jahrhunderts lesen wir in der FAZ. Was er festhalte werde Teil des ewigen Archivs unseres kollektiven
Gedächtnisses sein, und er wisse, dass Fotos Verantwortliche zum Handeln zwingen können.
Seine Fotografie ist in der Tat ästhetisch, doch sie ist diese Aussage mag jetzt
überraschend kommen ästhetisch hochwertige Propaganda. Das merkt man ihr auf den ersten Blick nicht an ein Phänomen,
das sie in gewisser Weise auszeichnet. Wir erinnern uns an ein Zitat von Joseph Goebbels über den Charakter wirkungsvoller Propaganda. Wenn
Nachtwey davon spricht, Verantwortliche zum Handeln zwingen zu können, ist damit das Führen von Krieg gemeint, der Krieg der USA oder der
NATO gegen ein Land, in dem es einzugreifen gilt.
Ganz wichtig sei Nachtweys Mut zur Wahrheit, lesen wir im Gästebuch zur Ausstellung
»War Photographer« die vom 22.11.2003 bis 29.2.2004 in Berlin zu sehen war. Seine Fotografie sei ein Mittel des Protests gegen den Krieg, wird
verbreitet. Um Nachtwey hat man die Aura des Ästheten und des moralisch unanfechtbaren Antikriegsfotografen aufgebaut. Sie verstellt den Blick auf den
propagandistischen Kern.
Nicht die einzelnen Fotos sind das Problem, sondern die Tatsache, was er fotografiert und was
nicht. Beispiel Afghanistan 2001: die Opfer des von den USA geführten Krieges gibt es nicht. Beispiel Jugoslawien 1999: die Opfer des von der NATO
geführten Krieges gibt es nicht. Leid wird immer von den anderen verursacht. NATO und USA, das sog. westliche Bündnis als Leid- und
Kriegsverursacher gibt es für Nachtwey nicht. Hinter dem Mantel des Antikriegsfotografen versteckt sich die Ideologie der Herrschenden und des von
ihnen gesteuerten Mainstream.
Der Krieg der USA gegen Afghanistan wird mittels Al Qaeda und Taliban mit dem
11.September in Verbindung gebracht, als sei eine solche Verbindung erwiesen. Deshalb ist es für Nachtwey offenbar kein Problem nachzuvollziehen,
dass die USA Krieg gegen Afghanistan führen. Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien wird mit der Reduktion auf den Begriff Kosovo verbrämt,
als habe sich der Krieg auf den Kosovo beschränkt und als sei es bei dem Krieg ausschließlich um den Kosovo gegangen. Für Nachtwey gibt
es entsprechend der herrschenden Meinung als Verursacher des Leids im Kosovo fast ausschließlich die Serben. In der Ausstellung erfahren wir: es sind
die Serben, die bis 1998 über 2000 Kosovaren umbringen, über 300 Dörfer zerstören und 200000 Menschen vertreiben. Die UÇK
dagegen ist eine Guerillaorganisation, in der sich »einige« Kosovaren zusammenschließen und ihren Kampf für die
Unabhängigkeit »vorbereiten«. Dass die UÇK tatsächlich gekämpft haben könnte, dabei von außen unterstützt
wurde und die bewusste Funktion gehabt haben könnte, eine Reaktion zu provozieren, bleibt außerhalb des Denkbaren.
Was Ursache und Wirkung angeht, besteht immer Klarheit: Auf palästinensische
Attentate folgen israelische Vergeltungsmaßnahmen. Die westlichen Bündnispartner reagieren 1999 auf den »Faschismus«, der in
Serbien wieder erwacht. Die Attentate vom 11.September 2001 sind von Terroristen und Mitgliedern der Organisation Al Qaeda durchgeführt worden.
Daraufhin führen die USA und die westliche Allianz in Afghanistan »großangelegte bewaffnete Operationen gegen Al Qaeda und ihre
Beschützer«, die Taliban, durch Ursache sind die Anschläge vom 11.September 2001, die USA reagieren darauf. So einfach ist die
Welt in den Begleittexten zur Ausstellung: hier gut, da böse.
Zum ersten Jahrestag des 11.September 2001 zeigt die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin
Aufnahmen aus der New-York-Serie von Nachtwey. Sie sollen an die Opfer des 11.September erinnern. Es ist klar: Opfer des Krieges der USA gegen
Afghanistan werden ausgeblendet.
Ende 2003 hat Nachtwey seinen Antikriegsmantel vollends abgelegt und offenbart sich als
Propagandist des als »Krieg gegen den Terror« getarnten globalen US-Eroberungsfeldzugs. Auf der Titelseite des Magazins Time vom 29.12.2003
präsentiert er US-Soldaten, die sich an dem völkerrechtswidrigen Raubüberfall auf den Irak beteiligen, als Helden. Sie werden dort als
»Person of the Year« verherrlicht. Nachtwey stellt sich auf die Seite der Macht, er lenkt den Blick in die von seinen Auftraggebern
gewünschte Richtung. Und das macht er gekonnt. Er wird zur Leni Riefenstahl des US-Imperiums.
Anneliese Fikentscher/Andreas Neumann
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