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Die bürgerliche Kritik am Neoliberalismus nimmt zu und bleibt dennoch hilflos, weil sie nicht an die Wurzel geht.
Zu den kritischen Veröffentlichungen, die sich seit der Asienkrise häufen, gesellt sich
auch die von Horst Afheldt*, der bereits vor zehn Jahren ein Buch geschrieben hatte: Wohlstand für niemand? Die Marktwirtschaft entläßt ihre
Kinder.
Die Anlehnung an ein bekanntes Buch von Wolfgang Leonhard war bewusst gewählt. Afheldt
sieht eine Parallele zwischen dem Neoliberalismus und dem »Staatssozialismus« zwischen der Verwirtschaftung der Gesellschaft (den Begriff
übernimmt er von Norbert Blüm) und der Vergesellschaft und der Wirtschaft. Es ist das »groteske Missverhältnis zwischen Investition,
Produktion und Wohlstandserfolg«. »Die Sozialprodukte [der Zentralverwaltungswirtschaften] wuchsen und wuchsen. Ihr Wachstum konnte mit dem der
westlichen Staaten durchaus mithalten… Doch heraus kam aus dieser Wirtschaft [fast] nichts mehr… Heute hat diese Krankheit auch die liberalistische
Wirtschaft erfasst. Diese Wirtschaft macht arm.« Hält die neoliberale Wirtschaft »noch eine weitere Generation an, kann man für 2030 selbst
afrikanische Verhältnisse nicht mehr ausschließen«. Der Kapitalismus ist am Ende seines Lateins. Der Kapitalismus? Nicht doch.
Langzeitstatistiken untermauern mit Daten und Fakten, dass dieses System keine Perspektive hat.
Anhand von eindrucksvollen Grafiken präsentiert er vier Tatsachen:
♦ In allen früh industrialisierten Gesellschaften war das Wachstum in der
zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts ein lineares Wachstum, der Zuwachs an Wachstum tendiert mithin gegen Null. Die Hoffnung, durch mehr
Wirtschaftswachstum die gegenwärtige Krise lösen zu können, ist auf Sand gebaut.
♦ Das gilt auch für das Wachstum an Arbeitsplätzen. Die
Arbeitsproduktivität (der Kapitaleinsatz pro Erwerbstätigenstunde) ist von 1950 bis 2000 auf das Siebenfache gestiegen, das Arbeitsvolumen pro Kopf
der westdeutschen Bevölkerung hingegen ist in den letzten 25 Jahren um gut 1% gesunken. Die Güter und Dienstleistungen müssten sich in 10
Jahren verdoppeln, um die Arbeitsmenge stabil zu halten. Seit 1995 ist die Erwerbslosigkeit schneller gestiegen als der Welthandel. Der Neoliberalismus ist mit
seinem Versprechen, durch Abbau der Marktregulierungen und uneingeschränkten Freihandel Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, gescheitert.
♦ Das Wachstum hat keinen Wohlstand gebracht, nicht einmal dann, wenn man
ihn nur im Durchschnitt und nicht seine Verteilung betrachtet. Das Weltsozialprodukt war im Jahr 2000 grob gerechnet etwa doppelt so hoch wie 1973. Pro Kopf der
Weltbevölkerung hat das jährliche Sozialprodukt in dieser Zeit jedoch dramatisch abgenommen: es hat sich halbiert. Das müsste, so Afheldt,
»die Alarmglocken der Wirtschaft läuten lassen«. »Was als Sozialprodukt … wirklich verteilt wird, in der Gesellschaft ankommt,
nicht in der Wirtschaft oder sonst wo versickert, das hängt von der Art der Wirtschaft ab, bestimmt deren Wirkungsgrad für den Wohlstand der
Gesellschaft.« Als Wirkungsgrad bezeichnet er die gesellschafliche Effizienz eines Wirtschaftssystems. Und die geht beim Kapitalismus neoliberaler Spielart
bedrohlich zurück.
♦ Dass diese Wirtschaft »unwirtschaftlich« ist, schlägt sich
auch in der zunehmenden Ungleichheit der Verteilung der Einkommen nieder. »40% der Erwerbstätigen in der BRD hatten 1998 ein Nettoeinkommen
von weniger oder sehr viel weniger als 1100 Euro im Monat.«
Stark ist das Buch dort, wo es die »10 Vorzüge des Handelssystems der WTO«,
die Bibel des Neoliberalismus, zerpflückt. Wo es um Alternativen geht, fällt es hinter die Debatten des Sozialforums zurück. Afheldt will die
Rückkehr zum »rheinischen Kapitalismus«: die Steuern von den Einkommen halbieren, die Steuern auf Unternehmen und Vermögen
verdoppeln, die Soziallasten auf die von allen Bürgern getragenen Steuern verlagern. Kann man das erreichen? Er macht sich wenig Illusionen: »Von
heute aus betrachtet wäre das eine Revolution … Dazu müssen politische Veränderungen durchgesetzt werden. Offen ist, wo die Macht
herkommen soll, die die bestehende Un-Ordnung beiseite schiebt.« Das kann nur offen bleiben, wenn man die »Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer am
Markt« zwar stärken will, in den Lohnabhängigen aber nur Marktteilnehmer, keine soziale Klasse sieht, deren Interessen zunehmend in Konflikt
mit den Klasseninteressen des Kapitals geraten. Damit reiht sich Afheldt in die Riege derer ein, die vom geregelten Kapitalismus träumen, ohne das Subjekt
benennen zu können, das ihn realisieren soll.
Wie viele andere Autoren, die nicht wahrhaben wollen, dass der »soziale Kapitalismus«
der 50er und 60er Jahre eine Ausnahme war, die nur durch die gewaltigen Zerstörungen zweier vorangegangener Weltkriege möglich wurde, ist Afheldt
blind für den einfachen Tatbestand, dass der Zwang zur stetigen und beschleunigten Akkumulation nicht nur ein Markenzeichen der liberalen Wirtschaft,
sondern ein unerbittliches Gesetz des Kapitalismus ist. »Eine Wirtschaft in der Zeit nach dem Wachstum« zu erfinden, wie er einklagt, ist nicht anders
möglich denn als »Wirtschaft nach der Zeit des Zwangs zur Verwertung des eingesetzten Kapitals auf ständig erweiterter Grundlage«. Dass
dieser Zwang eine Geißel geworden ist, die die Menschheit zu zerstören droht, dämmert erfreulich mehr Menschen. Nur die Schlussfolgerung
wollen sie nicht ziehen da steht die Erfahrung des Scheiterns der Wirtschasftsweise des Ostblocks wie ein Felsblock davor.
Was bleibt als Alternative? Nicht viel: Die Ablösung der WTO durch regionale
Wirtschaftsblöcke, geschützt durch Zollschranken (auch für die EU); die Einführung einer steuerfinanzierten Grundsicherung;
Arbeitszeitverkürzung auch, aber vor allem die »Bürgergesellschaft« Förderung der Selbständigkeit als »neue
Lebens- und Erwerbsform« und Ersatz für das Wegbrechen der Arbeitsplätze; Ausbau des öffentlichen Wohlstands; Lohnerhöhungen.
Sie durchzusetzen hofft Afheldt auf die Einsicht der Unternehmer, die in einem geschützten Markt ja auch höhere Preise, mithin höhere Gewinne
erwarten dürfen. Man ist an Helmut Schmidt erinnert…
Den letzten Ausweg bietet die Politik. Da wird aus dem Neoliberalismus die USA und aus der
Alternative dazu das alte Europa mit seinem Sozialmodell. Das Heil liegt in der Entwicklung der EU zu einem neuen Machtzentrum, das in der Lage ist, die USA
auszubalancieren. Weil aber auch er weiß, dass »die balance of power die Kriege des 19. und 20.Jahrhunderts produziert hat«, schließt er mit
dem Appell zur Selbstbeschränkung.
So kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass all die Kritiker des Neoliberalismus, die den
Kapitalismus nicht in Frage stellen wollen, schließlich bei der Aufrüstung der EU zur Konkurrentin der USA landen.
Angela Klein
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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