SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 10

Personal-Service-Agenturen

Maatwerk ist pleite — was nun?

»Der Laden is nix«. Das hat der gelernte Schreiner Olaf Müller aus Köln gleich gemerkt, als er im vergangenen August das erste Gespräch mit seiner Arbeitsvermittlerin bei Maatwerk hatte. Dabei wollte man bei Maatwerk »den persönlichen Umständen des Klienten Rechnung tragen und eine Vertrauensbasis schaffen«. Doch Olaf Müller wurde bereits am ersten Tag misstrauisch. Er moniert, dass seine Arbeitsvermittlerin völlig unqualifiziert gewesen sei und überhaupt keine Ahnung vom Handwerk gehabt habe. Aber Olaf Müller musste sich fügen, denn der Lohn bei Maatwerk lag mit 900 Euro knapp über seinem Arbeitslosengeld. Bei einer Weigerung hätte ihm die örtliche Arbeitsagentur, das frühere Arbeitsamt, zwölf Wochen lang keine Lohnersatzleistung mehr gezahlt.
Bis vor vier Wochen, dem Zeitpunkt seiner Insolvenz, war das niederländische Unternehmen Maatwerk der wichtigste private Arbeitsvermittler, mit dem die Bundesagentur für Arbeit kooperierte. Knapp 10000 Arbeitslose hatte diese Personal-Service-Agentur (PSA) bei sich beschäftigt und so die Arbeitslosenstatistik geschönt. Offizielles Ziel der Agentur ist es, die PSA- Beschäftigten an Unternehmen zu verleihen, wo sie, so die Bundesagentur für Arbeit, im Idealfall »kleben bleiben«, sprich eine Festanstellung erhalten. Dafür kassierte Maatwerk Prämien von der Bundesagentur, der früheren Bundesanstalt für Arbeit: Neben einer monatlichen Fallpauschale von durchschnittlich 1000 Euro erhielt Maatwerk im Schnitt 2000 Euro für jede Vermittlung in eine Festanstellung.
Satte Geschäfte, sollte man meinen. Zumal Maatwerk — wie andere PSA auch — den legalen Trick nutzte, Beschäftigte Ende des Monats einzustellen und Anfang des Monats wieder zu entlassen, um so zwei monatliche Fallpauschalen abzukassieren. Dabei ist Olaf Müller — wie mehr als die Hälfte der bundesweit derzeit etwa 32000 PSA-Beschäftigten — weder in eine Festanstellung vermittelt, noch an eine Firma für kurzfristige Tätigkeiten entliehen worden. Der Schreiner hat in den sechs Monaten seiner Maatwerk-Anstellung an keinem einzigen Tag gearbeitet.
Insgesamt hat die Bundesagentur für Arbeit monatlich 14—15 Millionen Euro an Maatwerk überwiesen, von denen die PSAler bezahlt werden sollten. Wo sind diese Gelder geblieben?
Um gegenüber der Bundesagentur überhaupt irgendeine Tätigkeit nachweisen zu können, wurden die oft qualifizierten Maatwerk-Beschäftigten als Tagelöhner für alle erdenklichen Hilfs- und Reinigungsarbeiten an Unternehmen verliehen. Die Erfahrungsberichte aus einer Untersuchung der Industriesoziologin Mag Wompel geben einen Eindruck von der Vielfalt: Hagebutten pflücken, Zählhilfe in einer Inventurfirma, Eier in einer Hühnerfabrik sortieren, Toilettenreinigung und Putzarbeiten aller Art. Wer sich weigerte, solche Arbeiten zu verrichten, lief Gefahr, von Maatwerk gekündigt und der Arbeitsagentur als »arbeitsunwillig« gemeldet zu werden. Die Folge: Zwölf Wochen Sperre der Bezüge.
Die betroffenen PSA-Angestellten haben z.T. ab Dezember 2003 kein Gehalt mehr bekommen; in den Monaten Dezember 2003, Januar und Februar 2004 sind aber mindestens 40 Millionen Euro von der Bundesagentur an Maatwerk bezahlt worden. Sind die Gelder in die Niederlande, also an die Muttergesellschaft geflossen? Wie haftet die Bundesagentur für Arbeit gegenüber den Menschen, die sie in die Maatwerk-PSA geschickt hat?
Maatwerk — ein Einzelfall, wie die Bundesagentur für Arbeit und Superminister Wolfgang Clement nicht müde werden zu betonen? Mitnichten. Die Industriesoziologin zählt weitere PSA-Pleiten auf, u.a. in Trier und Bitburg. Sie alle standen vor dem Problem, dass der Niedriglohnsektor noch nicht so groß ist, wie von Peter Hartz, dem Architekten der PSA, der Bundesregierung und den Oppositionsparteien geplant. Ein Blick nach Großbritannien, wo Unternehmen wie Manpower oder Reed in Partnership ordentliche Gewinne einfahren, oder auch ein Blick in die Beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU zeigt, wie auch der Lohn qualifizierter Tätigkeit abgebaut werden kann und der Niedriglohnsektor so die Dimension erhält, die sich Hartz, Politiker und Unternehmen herbeisehnen.
In Deutschland wird in diesem Sinne mit den neuen Zumutbarkeitskriterien ab 2005 eine weitere Etappe eingeläutet. Für Empfänger des Arbeitslosengelds II, also voraussichtlich mehr als 4 Millionen Bundesbürger, soll dann jede Arbeit zumutbar sein, solange sie nicht sitten- oder rechtswidrig ist. Das wird einen erheblichen Druck auf das Lohnniveau in Deutschland ausüben. Sollte dann noch der Kündigungsschutz weiter aufgeweicht werden, könnten auch die PSA ehemals gut bezahlte Fachkräfte in qualifizierte Arbeitsstellen mit Hilfsarbeiterlohn vermitteln. Die Arbeit bleibt dieselbe, nur der Lohn und die Arbeitsbedingungen werden schlechter.
Interessant ist auch das britische Modell: Dort kassieren die privaten Arbeitsvermittler sogar staatliche Prämien für die Vermittlung in die Selbstständigkeit als Taxifahrer, Videotheken- oder Sonnenstudiobetreiber. So würden auch die Gewinnperspektiven der PSA hierzulande weiter verbessert.
Für Maatwerk ist der Zug allerdings abgefahren. Dieses Unternehmen kann in Deutschland keine Geschäfte mehr mit Erwerbslosen machen. Auch nicht mit Olaf Müller.

Gerhard Klas

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang