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Im Oktober 2003 stimmten 97% der Mitglieder der Gewerkschaft United Food and Commercial Workers (UFCW
Beschäftigte im Bereich Nahrung und Handel) in Zentral- und Südkalifornien für einen Streik bei Vons, eine Supermarktkette im
Besitz von Safeway, die USA-weit operiert. Hauptsächlich ging es um den Beitrag zur Gesundheitsversorgung, der bisher vollständig vom
Unternehmen bezahlt wurde. Vons wollte, dass die Beschäftigten 50% des Beitrags übernehmen. Das Unternehmen wollte auch ein nach
zwei Kategorien gestaffeltes Lohnsystem einführen. Innerhalb weniger Stunden sperrten zwei weitere Supermarktketten, Albertons und Ralphs, die
ebenfalls in Tarifverhandlungen standen, ihre Beschäftigten aus. Anfang Oktober standen 70000 Mitglieder der UFCW in der Region im Streik.
Zu Beginn herrschte großer Enthusiasmus unter den Beschäftigten und die
Unterstützung der öffentlichen Meinung war überraschend hoch; die betroffenen Supermärkte blieben weitgehend leer, auch
während der wichtigen Ferienzeit zu Jahresende. Zur selben Zeit traten auch Transportarbeiter in Los Angeles in den Streik, ebenfalls wegen der
Beiträge zur Gesundheitsversorgung. So entstand eine »Streikatmosphäre«, die man Jahrzehnte hindurch nicht mehr gesehen hat. Die
Transportarbeiter gingen später in die Schlichtung, kurz darauf nahmen sie die Arbeit wieder auf, ohne etwas erreicht zu haben.
In den USA gibt es kein landesweites Gesundheitssystem, deshalb stellen die Beiträge
zur Gesundheitsversorgung oft einen der wichtigsten Bestandteile des Lohns dar. Der durchschnittliche Lohn einer südkalifornischen UFCW-
Beschäftigten beträgt weniger als 12 Dollar in der Stunde; die meisten Beschäftigten haben nur 24 Stunden pro Woche garantierte Arbeit.
Viele arbeiten da nur für die Gesundheitsversorgung.
Die Hafen- und Werftarbeitergewerkschaft ILWU an der Westküste machte einen Tag
lang den Hafen von Los Angeles dicht, um ihre Sympathie zu bekunden; wenig später tat die anrainende Werft San Pedro dasselbe. Sie zahlte auch 200000
in den Streikfonds von Ralphs.
Alle drei Supermärkte sind Teil nationaler Ketten, die durch Restrukturierung und Konsolidierung im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels in den
vergangenen 30 Jahren entstanden sind. Die Geschäftsleitungen behaupteten, sie bräuchten diese Lohnteile wegen der Konkurrenz durch Walmart,
dem Riesen unter ihnen, der plant, in den nächsten Jahren 40 neue Filialen in Südkalifornien aufzumachen. Walmart ist berüchtigt für
niedrige Löhne und null Beiträge in die Sozialkassen.
Alle verstanden, dass das Ergebnis des Streiks für viele Beschäftigte und
Gewerkschaften in der Region und landesweit Maßstäbe setzen würde. Die Zahl der Arbeitskämpfe um die Beiträge zur
Gesundheitsversorgung steigt. Doch trotz dieser massiven Unterstützung seitens der Beschäftigten haben die Gewerkschaften ihren engstirnigen,
legalistischen Kurs, der in den vergangenen 25 Jahren für so viele Niederlagen verantwortlich war, auch diesmal eingeschlagen.
Am 31.Oktober zogen sie ihre Streikposten von Ralphs ab als Geste des »guten
Willens« und um sie auf Vons zu konzentrieren. Sofort verkündeten die Unternehmer, sie würden Gewinne und Verluste
während dieses Streiks teilen. Die Gewerkschaft ging so weit, die Leute aufzufordern, bei Ralphs wieder einkaufen zu gehen, wo ihre eigenen Mitglieder
ausgesperrt waren.
Obwohl die Ketten alle landesweit operieren und einen Gesamtumsatz von 30 Milliarden
Dollar im Jahr einfahren, scheute die Gewerkschaft vor einer landesweiten Strategie zurück; es wurden nur wenige »Info-Streikposten« zu
Filialen nach Nordkalifornien und anderswo geschickt. Im Vorjahr hatte die UFCW einen ähnlich gelagerten Streik bei Krogers in West Virginia,
Ohio und Kentucky verloren; diese Kette ist Eigentümerin von Ralphs.
Am 24.November weitete die Gewerkschaft den Streik auf die zehn südkalifornischen Verteilerzentren aus, die die Supermärkte versorgen; die
Teamsters (Transportarbeiter) verpflichtete sich, ihre 7000 Mitglieder, die hier beschäftigt sind, würden die Streikposten nicht durchbrechen. Aber
Tausende von Streikbrecher-Lkws luden die Ware an den Supermärkten ab und die Gewerkschaft tat nichts, dies zu unterbinden. Am 19.Dezember zog sie
ihre Streikposten ab. Am 22.Dezember weigerten sich Mitglieder der Gewerkschaft bei Verteilerzentrum für Vons, El Monte, abzuziehen und
harrten aus. Mitte Januar gab es noch Streikposten vor einigen Zentren von Ralphs, aber das Ausfallgeld war von 240 auf 100 Dollar pro Woche gesunken.
Mitte Dezember waren John Sweeney und Rich Trumpa, die beiden Spitzenfunktionäre
der »neuen« AFL-CIO nach Los Angeles gekommen, um die Vorsitzenden der 50 UFCW-Ortsvereine zu treffen; sie wollten das nationale Prestige
der organisierten Arbeiterbewegung in die Waagschale des Streiks werfen. Man fragt sich, warum sie das Risiko eingegangen sind, wo es doch in der
Vergangenheit eine so lange Liste von Niederlagen gegeben hat. Der Organisationsgrad der Gewerkschaften ist seit der Amtsübernahme Sweeneys 1995
landesweit von 15% auf 9% der abhängig Beschäftigten gefallen. Sie unterschätzen einfach die Entschlossenheit der Unternehmer, Millionen
Dollar einzusetzen, um die Macht der Gewerkschaften zu brechen.
Die Gewerkschaften haben die jungen und relativ unerfahrenen Belegschaften an der kurzen
Leine gehalten. Es gab keine Massenversammlungen, um die Streikstrategie zu diskutieren, und die Mitglieder fühlten sich im Allgemeinen von
irgendeinem Einfluss auf die Streikführung ausgeschlossen. Ralphs wurde von der berüchtigten Streikbrechergesellschaft Personnel Support System
offengehalten; sie liefert Schlägertypen als Ersatzarbeitskräfte für solche Fälle.
Die Gewerkschaft war nicht einmal in der Lage, zu der Gegenwehr zu greifen, die in den
Anfangszeiten die gewerkschaftliche Organisation hervorgebracht hat. Die Unternehmer haben deutlich gemacht, sie wären bereit, den Arbeitskampf ein
ganzes Jahr hinzuziehen, um die UFCW zu vernichten; da die Gewerkschaft ihre Kampfstrategie nicht geändert hat, haben die Unternehmer gewonnen.
Am 29.Februar stimmten 59000 Mitglieder der UFCW für den dreijährigen Tarifvertrag. In jeder Hinsicht ist das ein bedeutender Sieg für
die Unternehmer. Die Supermärkte haben zwar durch den Streik 2,5 Mrd. Dollar verloren, aber sie haben damit auch einen Maßstab gesetzt
für die vielen noch offenen Verhandlungen, nicht nur bei Supermärkten. Die Wall Street hat das Ergebnis gefeiert, und die Aktienkurse von Safeway
haben den ganzen Arbeitskampf hindurch nicht gewackelt.
Der neue Vertrag sieht ein zweistufiges Lohnsystem vor. Beschäftigte erhalten in den
ersten beiden Jahren der Laufzeit keine Lohnerhöhung, nur einen Bonus. Im dritten Jahr beginnen sie mit monatlichen Einzahlungen in die
Gesundheitsversorgung. Neu Eingestellte bekommen weniger Lohn und erhalten nur eine begrenzte Absicherung im Krankheitsfall. Dieses System öffnet
den Weg, ältere Beschäftigte hinaus zu drängen. Außerdem konnten die Supermärkte innerhalb von 36 Stunden nach
Unterzeichnung des Vertrags bis zu 630 Mitglieder der UFCW wegen schlechter Führung auf den Streikposten entlassen.
Letzten Endes ging es bei diesem Streik um eine Unternehmeroffensive gegen die veraltete
»private Sozialdemokratie« für die Minderheit der US-amerikanischen Lohnabhängigen, die noch Gewerkschaftsmitglieder sind und
eine gesicherte Gesundheitsversorgung haben. Gesundheit aber kann nicht länger die Sache vereinzelter Gruppen von Beschäftigten und lokalen
Kämpfen sein, sie muss Gegenstand breiter politischer Auseinandersetzung sein. Das ist von UFCW und AFL-CIO nicht zu erwarten, von der
Demokratischen Partei schon gar nicht.
Loren Goldner, New York
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