SoZ Sozialistische Zeitung |
Hinter großen Mobilisierungen und Arbeitskämpfen, die wie Maulwurfshügel über Nacht auf der
grünen Wiese entstehen, verbirgt sich bei aller Spontaneität immer auch ein komplizierter Vorbereitungs- und Aushandlungsprozess
verschiedener sozialer und politischer Kräfte im Vorfeld. Die Demonstration von 100000 Menschen am 1.November letzten Jahres in Berlin, die das
Klima der Passivität und Resignation durchbrach und den Boden für die folgenden Studierendenproteste bereitete, ist dafür ein gutes Beispiel:
Der Standhaftigkeit der verschiedenen linken Strömungen innerhalb- und außerhalb der Gewerkschaften ist es zu verdanken, dass ein deutliches
Zeichen gegen die Agenda 2010 gesetzt wurde.
Ähnlich verhält es sich bei Bewegungen in den europäischen
Nachbarländern. Selbst wenn jedoch über die dortigen gesellschaftliche Kämpfe berichtet wird was selten genug der Fall ist, wie die
Beispiele der wilden Streiks in Italien oder der Streikbewegungen in Griechenland im vergangenen Herbst belegen , ist es für Außenstehende
äußerst schwer, diese Auseinandersetzungen einzuordnen und zu bewerten.
Das Gewerkschaftsforum Hannover, ein Zusammenschluss linker Gewerkschafter, hat nun eine
Broschüre mit Positionen linker Gewerkschaftsaktiven aus neun europäischen Ländern vorgelegt, die zur Schließung dieser
Lücke beiträgt. In Form von Interviews kommen erfahrene Gewerkschaftsaktive zu Wort wie Bent Gravesen, Hauptverantwortlicher für
Gewerkschaftsfragen in der Sozialistischen Volkspartei Dänemarks, oder Antonio Doctor, u.a. Gewerkschaftsvertreter bei Opel Zaragoza.
Kurz und prägnant werden die wesentlichen Entwicklungslinien der jeweiligen
Arbeiterbewegung und die Charakteristika der Lebens- und Arbeitsverhältnisse dargestellt. Auch wenn aktuelle Aspekte wie größere
Klassenbewegungen in den letzten Jahren oder die innenpolitischen Folgen des »Krieges gegen den Terrorismus« eine Rolle spielen, geht es
vorrangig um grundlegende Strukturen und Tendenzen, etwa die sozialökonomischen Besonderheiten des Landes, den gewerkschaftlichen
Organisationsgrad in verschiedenen Sektoren oder die Organisierung von Frauen, Prekarisierten und Migranten.
So unterschiedlich die Aussagen der verschiedenen Interviewpartner auch ausfallen: Es wird
überdeutlich, dass die Offensive auf die Rechte der Lohnabhängigen eine europaweite Angelegenheit ist, die sich in den einzelnen Ländern
zwar verschieden gestaltet, in den grundlegenden Inhalten und Zielen jedoch kaum variiert. Im Kern handelt es sich um ein gesamteuropäisches
gesellschaftliches Rationalisierungsprogramm, das neben einer Verlängerung der Arbeitszeiten (sei es die Lebens- oder Wochenarbeitszeit) und deren
Flexibilisierung (d.h. eine prinzipiell ständige Verfügbarkeit der Arbeitskräfte unabhängig von der Tageszeit oder vom Wochentag)
eine Senkung der Soziallöhne (also auch der Lohnnebenkosten, der Renten, der Arbeitslosenunterstützung usw.) und der Einschränkung bzw.
den Abbau von Arbeiterrechten wie Kündigungsschutz oder Streikrecht umfasst.
Manche nicht unwichtigen Länderbeispiele fehlen ebenso wie bestimmte Themen
(ökologische Krise und Alternativen der Vergesellschaftung). Doch trotz dieser Mängel, die den geringen Stand europäischer Kooperation im
linksgewerkschaftlichen Bereich zum Ausdruck bringt, stellt das Heft einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Überwindung der nationalen
Grenzen im gewerkschaftlichen Bereich dar.
Gregor Kritidis
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04