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Am 27.Februar dieses Jahres ist Paul Marlor Sweezy im Alter von 93 Jahren gestorben. In der Linken wird er weithin als
Vordenker eines unabhängigen Marxismus, der sich nicht von einer Parteilinie gängeln ließ, geschätzt. Wenig bekannt ist hingegen,
dass Sweezy politisch und intellektuell zwei Leben gelebt hatte. Seiner Herkunft entsprechend begann der Bankierssohn aus New York seine Karriere als
Ökonom an der Harvard-Universität, wo er von 1934 bis 1942 gelehrt hat.
In jener Zeit veröffentlichte er unter dem sperrigen Titel »Nachfrage unter
Bedingungen des Oligopols« einen Aufsatz, der in Lehrbüchern der Mainstreamökonomie noch heute zitiert wird. Darin zeigte er, dass es
für große Konzerne unter Bedingungen massiver Überkapazitäten gewinnbringender ist, weniger Waren zu hohen Preisen anzubieten,
als durch Preissenkungen für höheren Absatz und Auslastung der vorhandenen Produktionsanlagen zu sorgen. Dass Preisanpassungen keineswegs zu
einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage führen, hatte die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre gerade praktisch bewiesen.
Stagnation, Massenarbeitslosigkeit und eine erstarkende Arbeiterbewegung hatten nicht nur das
Dogma der liberalen Ökonomie sondern darüber hinaus das Selbstbewusstsein der bürgerlichen Klassen erschüttert. In diesem Klima
sozialer Verunsicherung hatten sich aufgeklärte Teile des Bürgertums zum »New Deal« mit der Arbeiterbewegung bereit gefunden.
Einzelne, Paul Sweezy ist einer der prominentesten, wechselten sogar ins Lager der Linken. Diese theoretische und politische Radikalisierung der Beginn
von Sweezys zweitem Leben hat in der 1942 veröffentlichten Theorie der kapitalistischen Entwicklung ihren Niederschlag gefunden.
Dieses Buch führt in die marxsche Ökonomie ein, fasst marxistische Debatten
zusammen und lässt in Grundzügen Sweezys eigene Sicht kapitalistischer Entwicklung erkennen. Dabei grenzt er sich insbesondere
gegenüber Positionen ab, die einen ökonomischen Zusammenbruch des Kapitalismus aus fehlender Konsumgüternachfrage oder als
Folge beständig steigenden Kapitaleinsatzes sinkenden Profitraten ableiten. Demgegenüber argumentiert Sweezy, dass es zwar eine
ökonomische Stagnationstendenz gäbe, die durch politische Intervention aber überwunden werden könne. Die kapitalistische
Entwicklung hängt aus dieser Perspektive weniger von ehernen Gesetzen der Ökonomie ab als von Strategien und Kräfteverhältnissen
der miteinander kämpfenden Klassen.
An diesem Punkt wird noch ein weiterer Grundgedanke in Sweezys Denken deutlich. Mag sich
der Klassenkampf zumal in den USA und anderen reichen Ländern auch zumeist im nationalen Rahmen abspielen, so weist er doch
über diesen hinaus. Kapitalistische Entwicklung ist von Weltwirtschaft, Imperialismus und Nationalismus nicht zu trennen.
Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich ein neuerlicher Strategiewechsel
innerhalb der US-Bourgeoisie: Von New Deal und Anti-Hitler-Koalition zu einem militanten Antikommunismus nach außen und der Marginalisierung der
Linken im Innern. Damit wurde Sweezys Betonung von Strategie und Klassenkampf bestätigt. Linke New Dealer standen jedoch vor der Frage, ob sie die
Kombination von welfare state und warfare state, die im Krieg gegen den deutschen Faschismus entstanden war, auch unter den neuen außenpolitischen
Bedingungen mittragen sollten, ob sie dem Antikommunismus eine prosowjetische Linie entgegenstellen oder den Aufbau einer unabhängigen Linken
anstreben sollten.
Sweezy entschied sich für letzteres und gründete 1949 mit Leo Huberman die
Zeitschrift Monthly Review, zu deren erster Ausgabe Albert Einstein einen Artikel unter dem Titel »Why Socialism« beisteuerte. Mit Monthly
Review später wurde noch ein gleichnamiger Verlag gegründet war ein intellektuelles Forum jenseits der Frontstellung zwischen
Antikommunismus und Sowjetkommunismus geschaffen worden, dass in den 1960er Jahren ähnlich wie New Left Review in England zu
einem der theoretischen Kristallisationspunkte der Neuen Linken werden sollte.
Politisch an den Rand gedrängt, rückten in den 50er Jahren theoretische Fragen in
den Mittelpunkt des Interesses. Hervorzuheben ist dabei Sweezys Erklärung des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Dieser war von
dem Ökonomen und Historiker Maurice Dobb mit dem Klassenkampf zwischen Grundeigentümern und Bauern sowie einer daraus resultierenden
Neuzusammensetzung beider Klassen und der schließlichen Entstehung neuer Klassen Bourgeoisie und Proletariat erklärt worden.
Diesem orthodox-marxistischen Ansatz widersprach Sweezy, insofern er die Bedeutung des Dreieckshandels zwischen Europa, Afrika und Amerika für die
Entstehung des Kapitalismus betonte. Der Weltmarkt wurde also nicht mehr als Resultat, sondern als Ausgangspunkt kapitalistischer Entwicklung angesehen.
Mochte es zunächst so scheinen, als habe diese Kontroverse keinen Bezug zu politischer
Praxis, so wurden daraus bald strategische Schlussfolgerungen gezogen. Ist der Kapitalismus nämlich von Beginn an ein Weltsystem, so muss dessen
Überwindung nicht in den Metropolen beginnen; sie kann auch von den Rändern des Systems ausgehen. Der Ausgangspunkt der Revolution, den
Marx im Proletariat der Metropolen und Lenin im schwächsten Glied der imperialistischen Kette gesehen hatten, wurde damit in die kapitalistische
Peripherie verlegt. So wird auch die Euphorie verständlich, mit welcher die kubanische Revolution von Sweezy und Huberman begrüßt
wurde.
In dem zusammen mit Paul Baran geschriebenen und 1966 veröffentlichten Buch
Monopolkapital werden Sweezys Analysen zu Weltwirtschaft und -politik zusammengefasst und zugespitzt. Aus dem Zusammenfließen von Marktmacht
und neuen Technologien in US-amerikanischen Mammutkonzernen folgern sie, dass ökonomische Problem im Monopolkapitalismus bestünde
darin, stets ausreichend Nachfrage für eine beständig zunehmende Überschussproduktion zu schaffen. Dieses Problem wird zum einen durch
den Wohlfahrtsstaat gelöst, der große Teile der Arbeiterklasse integriert und damit als revolutionäres Subjekt still stellt. Zudem gewinnen
unproduktive Ausgaben zur Verkaufsförderung und der damit verbundenen Beherrschung der Massenmedien sowie zur Aufrechterhaltung
einer permanenten Rüstungswirtschaft immer mehr an Bedeutung.
Allerdings weisen Baran und Sweezy auch auf die Grenzen monopolkapitalistischen
Wachstums hin. Diese bestehen im Erstarken der revolutionären Bewegungen in der Dritten Welt für die Bewegung gegen den
Vietnamkrieg war Monopolkapital eine der wichtigsten intellektuellen Anregungen sowie in der Einführung arbeitsparender Technologien.
Letztere haben zur Folge, dass zusätzliche Nachfrage immer geringere Wachstumseffekte hat. Trotz staatlicher Nachfragesteuerung setze sich daher die
Stagnationstendenz des Monopolkapitalismus durch.
Auch wenn sich Sweezy in den letzten Jahren altersbedingt zurückgezogen hat, mit
Robert Brenners Boom and Bubble hat die von Sweezy und anderen seit den 40er Jahren vertretene Stagnationsthese eine Renaissance erfahren. Ob die Linke
auch an Sweezys strategischen Überlegungen die Betonung der Dritten Welt als revolutionärer Faktor anknüpfen kann, ist
dagegen ungewiss.
Ingo Schmidt
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