SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 18

Rolf Hochhuth: McKinsey kommt

Desperadopolitik

1965 hatte Rolf Hochhuth in einem Spiegel-Artikel die für Linke eigentlich triviale Feststellung gemacht, dass die Bundesrepublik im Grunde immer noch eine Klassengesellschaft sei. In Ludwig Erhards »Wirtschaftswunderland« kam dies allerdings einem Ausmisten des Augiasstalls gleich. Indes war es der in einem Nebensatz formulierte Zusatz, dass nämlich diese Situation eine Rückkehr zum Klassenkampf erzwinge, welcher Kulturbetrieb und politische Klasse Mitte der 60er Jahre zur heftigen Polemik aufrüttelte.
Kulturpolitisch ist der Autor des Stellvertreters (1963) längst ins Lehrprogramm der gymnasialen Oberstufe verbannt. Dort lässt sein Moralstück schillerscher Provenienz, das in spätkapitalistischen Zeiten individuelle Verantwortungsethik predigt, nichts mehr anbrennen. Einmal in den germanistischen Kanon überführt, werden politische Stücke sowieso sanft anästhesiert. Sie wiegen dort nicht so schwer.
Hochhuth ist nicht nur einer der meist gespielten Dramatiker in Deutschland, er gefällt sich auch selbst in der Rolle des ehrwürdigen »Klassikers«, über den zwar keine gelehrten Abhandlungen mehr geschrieben werden, der sich aber nicht zu schade ist, in CDU-Kreisen in Berlin-Zehlendorf die Bourgeoisie mit altbackenen Vorträgen über Bismarcks Sozialpolitik zu unterhalten. Seit langem schon gewinnt er sein »symbolisches Kapital« vor allem über Presserummel. Denn dieser Mann ist scheinbar immer wieder für eine Provokation zu haben. In regelmäßigen Abständen verarbeitet er einschlägige, politisch kontroverse Themen zu Dokumentarstücken, von den Befreiungskriegen der Dritten Welt bis zum Nachwende-Kolonialismus der Treuhand in den »neuen« Bundesländern. Immerhin hat er damit über die Jahre einen Ministerpräsidenten zu Fall gebracht.
Nun hat Hochhuth ein Stück vorgelegt, das sich selbst an die literarische Spitze der Globalisierungskritik katapultieren will, was freilich, wegen Mangel an Konkurrenz, kein so großer Akt ist. McKinsey kommt will nichts Geringeres, als den globalen Raubtierkapitalismus nach Art der USA und die Massenarbeitslosigkeit made in Germany an den Pranger zu stellen. Es geht um Konzernfusionen, die »feindliche Übernahmen« heißen, um »Wegrationalisierungen« zwecks maßloser Profitmaximierung, um zynische Bosse, die Nationalstaaten wegen Steuererleichterungen mit »Standortflucht« erpressen, und um euphemistische Medienberater, welche die sanfte Begleitmusik zum »Entlasser-Skalpell« spielen.
Über allem thront die Beraterfirma »McKinsey«, die Allegorisierung des Neoliberalismus, inszeniert als ein Heer von blassen Bürokraten in Nadelstreifenanzügen — wie überhaupt bei Hochhuth alles personalisiert wird: die oben böse, die unten anständig und gut, die arbeitslose »Enkelin« und »Intellektuelle« natürlich betont »jung« und »schön«. Altherrendramatik, die bisweilen, wie in der Gerichtsszene des fünften Akts, auf das Niveau von TV-»Richterin Barbara Salesch« herab sinkt. Dazu gibt es deftige Merksätze, die weniger, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, von penibler Recherche zeugen als von Stammtischgepolter, was Hochhuth »dem Volk aufs Maul schauen« nennt.
Dabei ist die politische Themenwahl sicherlich verdienstvoll. Aufklärung und Agitation, auch und gerade im bürgerlichen Theaterbetrieb, ist es prinzipiell ebenfalls. Allein ein Wirtschaftsdrama, das der Skrupellosigkeit des globalen Kapitalismus, in dem die Wirklichkeit zweifelsohne in die Funktionale gerutscht ist, mit moralischen Standpauken beikommen will, ist nicht nur nicht auf der darstellerischen Höhe der Zeit, sondern gleitet ab ins Voluntaristische, mitunter in durchaus reaktionäre Beschwörungen des Nationalstaats und autoritärer Arbeitsvorstellungen aus deutscher Gründerzeit. Statt Kritik am Kapitalverhältnis wird hier gnadenlos dem Arbeitsfetisch gehuldigt, die Mär vom »guten« Kapitalismus gepredigt, der, einmal das »Recht auf Arbeit« tief in der bürgerlichen Verfassung verankert, der »Diktatur« des Weltmarkts trotzt. Kein Wunder, dass dieser Mann, weit entfernt vom »guten alten Klassenkampf« (Berliner Tip), von der »Revolution von oben« schwafelt.
Ästhetisch belanglos, wurde McKinsey kommt dennoch zum Politikum. Seiten wurden geschwärzt, Fernsehinterviews gegeben, Revolutionsdrohungen ausgesprochen, Standpunkte zugespitzt und insgesamt über 500 Artikel publiziert — all dies wegen eines holprigen Sonetts, das unter dem Titel »Warnung« vermeintliche Morddrohungen an den Vorstandssprecher der Deutschen Bank richtet: »Die Faz lehrt, A.‘s rechtlose Opfer als ›Umbau‹ tarnen! / ›Tritt‹ A. nur ›zurück‹ wie Geßler durch — Tell? Schleyer, Ponto und Herrhausen warnen.« Empörung trifft auf Empörung.
Zur Farce geriet die Szenerie vollends, als die Deutsche Bank juristische Schritte gegen Hochhuth ankündigte, diese aber im letzten Moment unterließ, aus Angst vor schlechter Presse, da ihr Chef Josef Ackermann wegen Veruntreuung vor Gericht stand und Hochhuths Polemik als misslicher Medienverstärker störte. So ist es nur bittere Ironie, wenn Ackermann und Co. in arroganter Siegerpose im Mannesmannprozess eben jene kritikwürdige Personalisierungsdramatik nachträglich bestätigen, durch die McKinsey kommt doch ästhetisch und politisch so misslungen ist. Spätkapitalistische Konzernwirtschaft zeigt sich vielleicht doch in der »Ideologie des Besonderen«, in personeller Verkörperung durch Manager in Dreiteilern mit astronomischen Verdiensten und Abfindungen.
Was Hochhuth in seinem Fünfakter allerdings an den politischen Horizont malt, ist eine verelendungstheoretisch grundierte Desperado-Politik, der Aufstand der vom Shareholder-Value-Kapitalismus Entrechteten. Die dort auf der Bühne verlautbaren, man müsste mal wieder »ein paar Mollis schmeißen«, »Richter in eigener Sache« werden und nach der Kalaschnikow greifen, sind bloß triste Widergänger von Kleists Michael Kohlhaas.
Daran können auch die seltenen politischen Lichtblicke, etwa die Gründung einer Arbeitslosenpartei oder die ungehorsame Besetzungsaktion im Gerichtssaal mit Attac-Fahnen, nichts ändern. Wenn die Demonstranten am Ende rufen: »Diesem Europa ohne sozialrevolutionäre Idee erklären wir den Krieg!«, ahnt man, was in der Manier des Arbeiterbewegungs- Agitproptheaters der 20er Jahre aus dem Drama hätte werden können.

Patrick Ramponi

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang