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Worum ging es bei Ihrem Rechtsstreit mit dem ça ira-Verlag?
Der ça ira-Verlag hat jüngst einen von Stephan Grigat herausgegebenen Band veröffentlicht, in dem auch ein Aufsatz von Johannes Agnoli
enthalten ist der erste nach seinem Tod erschienene Aufsatz. Dass dieses Buch existiert, habe ich aber nur durch Zufall erfahren. Entgegen sonstiger
Gepflogenheiten hat uns der ça ira-Verlag kein Belegexemplar zugeschickt. Das hat eine Vorgeschichte. ça ira hatte mich im letzten Sommer zu einer
Filmvorführung des Johannes-Agnoli-Films von Christoph Burgmer eingeladen. Am Ende der Veranstaltung hatte Joachim Bruhn die Anwesenden dazu
aufgerufen, Tonbandprotokolle Agnolis oder ähnliches dem Verlag zuzuschicken. Er wollte zu diesem Zweck auch noch Anzeigen in Zeitungen und
Zeitschriften schalten. Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass dies rausgeschmissenes Geld sei, da ich nicht die Genehmigung dazu geben würde, dass von
Johannes Agnoli nichtautorisierte Texte erscheinen.
Ende letzten Jahres habe ich schließlich durch einen Verlagsprospekt von dem
erschienenen Grigat-Buch Transformation des Postnazismus erfahren. Bei dem Titel bin ich schon beinahe in Ohnmacht gefallen, und auch beim Titel des
Agnoli-Aufsatzes »Die Verhärtung der politischen Form. Das Kapital und die Zukunft des Faschismus am Ende der liberaldemokratischen
Epoche«. Ich habe dann beim Verlag angerufen und, zunächst ohne Erfolg, ein Belegexemplar verlangt. Per Internet habe ich dann von deren
Angriffen auf »Moslemfaschisten«, also auf Leute, die wie mein Mann und ich gegen den Irakkrieg waren, und von der »Kontinuität
des nazistisch präformierten Subjekts« erfahren. Ich habe also vom Verlag nicht nur ein Belegexemplar verlangt, sondern auch den Verlagsvertrag
dazu und die Tonbandaufnahme des Agnoli-Vortrags, den dieser in Wien im Frühjahr 2001 gehalten hatte.
Ich habe diesen Vortrag noch mal selbst transskribiert und gesehen, wie gewaltig die
Unterschiede sind zwischen dem, was Agnoli sagte, und dem, was ein Joachim Bruhn als sein Lektor daraus gemacht hat. Wenn bspw. Agnoli von
»Errungenschaften des Kapitals« spricht, dann macht Herr Bruhn daraus »Segnungen des Kapitals«. Dabei hat Agnoli das mit den
Errungenschaften bekanntlich wirklich sehr ernst gemeint. In einem Vortrag wenige Tage vor dem Betreffenden in Wien hat er heftig gegen die dortigen
Naturfreunde angeredet. Einem der Vortragenden hat er vorgehalten, er sei doch von Flensburg nach Graz nicht mit dem Pferde geritten, und er sei froh, dass
man fliegen könne. Überlegt euch das doch mal, sagte er: wenn in der Dritten Welt die ganzen Maschinen, auch dies Errungenschaften des Kapitals,
eingesetzt werden würden, dann gäbe es dort keinen Hunger mehr. Die mittelalterlichen Fürsten hätten unbequemer gelebt als jeder
Arbeiter heute. Und dies alles hätte natürlich etwas mit dem Kapital und dem Kapitalismus zu tun.
Anderes Beispiel: Agnoli sagt, den Nationalisten sei mit der heutigen Entwicklung zum
Weltmarkt ihr Gegenstand abhanden gekommen, und Bruhn macht daraus: ihnen sei »das Objekt ihrer Begierde« abhanden gekommen. Bei einem
solchen psychoanalytisch verbrämten Ausdruck, hätte er ihn gelesen, wäre Agnoli in die Luft gegangen. Der ganze Text, so wie er da steht, ist
relativ unverständlich und ich habe ihn erst verstanden, als ich den Tonbandmitschnitt hörte. Was der Bruhn da an eigenen Vorurteilen
reingeschrieben hat, ist schon bemerkenswert.
Entscheidend ist aber schließlich, dass bis auf Agnolis Beitrag und den bei der Wiener
Veranstaltung bereits vorliegenden Text von Ulrich Enderwitz, alle anderen Beiträge, wie im Buch selber zu lesen ist, nach dem 11.September 2001 stark
überarbeitet und verändert wurden. Agnolis Beitrag erscheint nun also nicht mehr in dem damals zur Diskussion stehenden Kontext, sondern in
einem nunmehr rabiat »antideutschen«. So schreibt Clemens Nachtmann in seinem Buchbeitrag von einem »von Deutschland und Europa
gesponserten Islamfaschismus der Gegenwart«, von der palästinensischen Bevölkerung als einem »Kollektiv der
Selbstmordattentäter und Moslemfaschisten«. Stephan Grigat schreibt über die von Johannes Agnoli begeistert aufgenommene
Parole »Wir sind das Volk«: »Das Volk ist nichts anderes als der sich selbst zum Maßstab setzende nationalistische
Mob.« Usw.usf.
Und dann haben Sie gegen den Verlag geklagt?
Ja. Zuerst hatte ich Bedenken gegenüber einer Klage. Dann habe ich erfahren, dass der Verlag, der die Gesammelten Schriften Agnolis
herausgibt und nur das Recht auf die erste Auflage hat, eine Neuauflage der Transformation der Demokratie für Februar angekündigt hat, ohne dass
ich gefragt worden wäre. Nachdem sie keinen meiner vielen (eingeschriebenen) Briefe beantwortet haben, nachdem sie so taten, als ob es mich nicht
gäbe, und sie alle meine Rechte ignoriert haben, habe ich mich dann zur Kündigung der Verträge entschieden und verlangt, dass sie das
Grigat-Buch vom Markt nehmen.
Sie sind mit dieser Klage aber gescheitert.
Weil hier Aussage gegen Aussage steht. Meine Tochter, die Johannes damals nach Wien begleitet hatte, konnte sich nicht mehr an die Details der
Verabredung zwischen den Veranstaltern und Agnoli selbst erinnern, und diese haben nun eidesstattliche Erklärungen abgegeben, dass er damals einer
Veröffentlichung mündlich zugestimmt hatte. Daraufhin hat mein Anwalt den Antrag auf einstweilige Eilverfügung das Buch sofort
vom Markt zu nehmen zurückgenommen.
Demnächst kommt es aber doch noch zum Prozess, denn ich werde darauf bestehen, dass
die Zeugen vernommen und Gutachter bestellt werden und klargelegt wird, dass sie nicht berechtigt waren, das Buch so herauszugeben.
Nun sollte man meinen, dass Bruhn und der ça ira-Verlag nicht zum ersten Mal Agnoli verlegt haben und wissen müssten, wie man das
macht.
Auch bei den anderen Büchern hat es ähnliche Fragwürdigkeiten gegeben, mindestens an dem Buch Subversive Theorie, das
ungeheuer schlecht lektoriert wurde. So wurden Agnoli-Texte verzerrt und beim Grigat-Buch zudem in einen politischen Kontext gestellt, den Agnoli nicht
akzeptiert hätte.
Sie meinen den antideutschen Kontext?
Ja, ich habe erst nach Agnolis Tod von den Antideutschen gehört. Auf meine Frage an Manfred Dahlmann, was denn die Antideutschen seien,
hat er nur gesagt, das sei kompliziert. Dann habe ich von den Methoden dieser Leute erfahren wie autoritär und ausgrenzend sie bspw. auf ihren
Veranstaltungen gegen linke Andersdenkende vorgehen und war erschreckt und empört.
Aber Johannes Agnoli kannte doch die Leute. Er muss doch gewusst haben, um was es dort ging.
Nein, das ist ja der Witz. Er hat mir im Sommer 1994 erzählt, wie Bruhn, als dieser zu Besuch in Italien war, von seiner Mutter berichtete, sie
würde ihn immer auslachen und sinngemäß sagen: Joachim, du kannst dich anstellen wie du willst, du hast keinen Juden unter deinen
Vorfahren. Johannes hat dies einfach für einen Spleen von Bruhn gehalten. Ich habe ihn nie von Antideutschen reden gehört und es gibt Berichte
Dritter, wie sich Agnoli im Privaten ordentlich über sie ausgelassen hätte. Auf entsprechenden Veranstaltungen mit Agnoli hätten diese aber
immer vornehm geschwiegen und keine Widerworte gegeben.
Agnoli war es also nicht bewusst, dass er seit vielen Jahren als »Übervater« einer bestimmten Strömung deutscher Linker
herhalten muss?
Ich kann das nicht genau sagen, aber Probleme mit Bruhn und Konsorten gibt es nachweislich seit mindestens 1994/95, seit der Schrift Der Staat des
Kapitals und der Festschrift Geduld und Ironie.
Hat aber Agnoli mit seiner gerade in den 80er und 90er Jahren wiederholten Theoretisierung der »Kraft der Negation« diesen
»Erben« nicht Vorschub geleistet?
Das mag sein, aber das ist doch noch was anderes, als wenn ich die Deutschen insgesamt mit den Nazis verwechsele. Das sind zwei verschiedene paar
Schuhe. Auch ich bekomme handfest mit, wie präsent der Antisemitismus noch ist. Da schlackern einem die Ohren. Aber Agnoli war kein
»Antideutscher«, im Gegenteil: er war sogar ursprünglich ein 999%iger Deutscher, wie ich in meiner Biografie zeigen werde.
Aber worauf basierte dann das Verhältnis von Agnoli zum ça ira-Verlag?
Darauf, dass die Transformation der Demokratie mehrfach vergriffen war und sich Agnolis Studenten Manfred Dahlmann und Clemens Nachtmann
Ende der 80er Jahre bereit erklärten, es erneut herauszugeben. Und Bruhn war damals der Verleger von ça ira, anfangs immer sehr höflich, bis sich
dies Mitte der 90er wegen schlechter Übersetzungen und Druckverzögerungen abrupt änderte und in ein Ausmaß an
Unverschämtheit umschlug, das sich gewaschen hat. Agnoli hat immer auf Dahlmann gesetzt und Bruhn nicht ernst genommen.
Hinzu kommt, dass der Verlag zwar viel Quatsch verlegt hat, aber eben auch ein paar gute
Sachen, z.B. den Ulrich Enderwitz, den Agnoli geschätzt hat, wenn er auch gegen einige seiner Positionen Bedenken hatte.
Ein Buch aber wie das von Grigat herausgegebene hätte Agnoli sicherlich nicht mehr
mitgetragen. Er hat z.B. die Veröffentlichung des anderen vorhin erwähnten Vortrags, des Grazer Vortrags, explizit abgelehnt. Ich glaube, weil er
gerade auf diesen Veranstaltungen, vor allem der in Wien, aus der das Grigat-Buch hervorgegangen ist, so irritiert war, dass er merkte, dass er da nicht mehr
hingehörte und nachweislich nur noch weg wollte.
Für ihn war wichtig, dass seine Schriften veröffentlicht wurden, und daran arbeite
ich nun. So erscheinen im Herbst im Konkret Literatur Verlag nun Agnolis Transformation der Demokratie sowie meine Biografie Agnolis.
Sie wissen über die Affinitäten des Konkret-Milieus zu den Antideutschen?
Ja, aber der Konkret Literatur-Verlag ist etwas anderes als Konkret. Das Verlagsprogramm ist seriös.
Dass eine Witwe eine Biografie über ihren Mann schreibt, ist ungewöhnlich. Wie kamen Sie dazu?
Ich habe mich anlässlich der vielen Nachrufe auf Agnoli wirklich gewundert, wie viele Märchen über sein Leben die Runde
machen, auch von Leuten, die ihn gut kannten. Und als dann einer von denen schrieb, man würde doch gerne mehr über die ersten 20, 30
Lebensjahre Agnolis erfahren, habe ich gedacht: Damit kann ich euch dienen… Ich habe also angefangen zu schreiben und habe gemerkt, wie gut mir das
getan hat, weil es mich davon abgehalten hat, in Depressionen zu versinken.
Als ich dann den Nachlass regeln wollte, bin ich über seine frühen Schriften
während und kurz nach dem Krieg gestoßen. Der junge Agnoli, gerade auch der während des Krieges, als er leitender
Schülerzeitungsredakteur war, war ein glühender Verehrer Deutschlands und seines Militärs. Wenn man das liest, kann man nur staunen. Ich
werde das in meiner Biografie im Anhang veröffentlichen: Der deutsche Soldat mag grausam, dumm oder was auch immer sein, aber niemals sei er
unanständig, so Agnoli damals. Das lag an seinem Ideal Preußen. Der Hintergrund ist natürlich, dass muss man verstehen, die Erfahrung des
italienischen Staates.
Der Staatskritiker Agnoli als Verehrer des preußischen Ordnungsstaats?
Genau. Das liegt natürlich auch an seiner entschiedenen Gegnerschaft zum Römisch-Katholischen. Antikapitalist und Marxist wurde er ja
früh, aber deutschlandkritisch erst mit der katholischen Adenauer-Zeit. Trotz öffentlicher Forderung nach Anerkennung der DDR, für die er ja
Anfang der 60er Jahre aus Köln vertrieben wurde, war und blieb Agnoli für Gesamtdeutschland.
Das Ganze zeigt eben, dass die historische Wirklichkeit immer etwas komplizierter ist, als sich
manche dies zusammenreimen.
Und was werden wir erfahren vom späten, bekannteren Agnoli?
Wie er mit seinen Studenten umging und sich als Professor verstand, wie er mit den Frauen umging und wie die damalige Zeit gerade auch in dieser
Frage war. Und wie er im Ruhestand erneut, wie in seiner frühen Jugend, zum Gedichteschreiber wurde. Auch davon gibt es Kostproben im Buch.
Was machte für Sie das Besondere des Johannes Agnoli aus?
(Pause & Tränen) Dass er wirklich nie aufgegeben hat.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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