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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite 12

Den Diskurs der Islamisten konterkarieren

Michel Warschawski über die Solidarität mit den Palästinensern

Michel Warschawski ist Mitarbeiter des Alternative Information Center in Jerusalem. Mit ihm sprach Sophia Deeg.

Du hast eben zu Hause in Jerusalem angerufen. Die Straßen dort sind leergefegt. Zwei Tage nach der Ermordung von Scheich Yassin durch die israelische Armee hält das Land in Erwartung der Rache den Atem an. Warum tut die israelische Regierung ihren Bürgern das an?

In dieser Regierung kennt man nur zwei Vorgehensweisen, das eine ist das Konzept der Rache, das andere die militärische Logik, so lange auf die Palästinenser einzuschlagen, bis sie schließlich besiegt sind.

Und dabei nimmt man sogar den Tod und die Gefährdung israelischer Bürger in Kauf?
Die Banalisierung des Todes inspiriert seit nunmehr drei Jahren die israelische Politik. Hintergrund ist die Vorstellung, wir seien in einem permanenten Krieg mit einem ewigen Feind und daher sei der Tod unvermeidlich Teil unseres Alltags, eine Ideologie, die in der israelischen Bevölkerung leider inzwischen weit verbreitet ist. Niemand fragt mehr nach den Gründen des Konflikts oder nach Lösungen.

Du arbeitest seit Jahrzehnten, unter anderem im Alternative Information Center, mit Palästinensern auch aus den besetzten Gebieten zusammen. Ist das heute überhaupt noch möglich?

Diese Zusammenarbeit ist tatsächlich extrem schwierig geworden. Zum einen durch die beinahe hermetische Absperrung der Gebiete und heutzutage durch die Mauer. Außerdem ist es für uns Israelis illegal, sich in die besetzten Gebiete zu begeben (außer als Siedler oder Soldaten). Wir vom AIC, der einzigen israelisch-palästinensischen Organisation, schlagen uns trotzdem allwöchentlich zu unseren Kollegen in der Westbank durch. Wir wollen auf keinen Fall, dass unsere seit zwanzig Jahren gewachsenen Kontakte abbrechen. Es gibt aber auch ein politisches Problem. Das ist die tiefe Enttäuschung der Palästinenser von ihren — vermeindlichen — israelischen Partnern. In der großen Mehrheit ist die israelische Friedensbewegung im nationalen Konsens aufgegangen, der die Palästinenser grundsätzlich dehumanisiert und als Feinde definiert. Daher ist auch der Protest in Israel selbst angesichts schwerster Menschenrechtsverletzungen, die in unserem Namen an den Palästinensern begangen werden, so schwach. Wenn die Palästinenser das Vertrauen verlieren, ist das also durchaus nachvollziehbar.

Nicht nur die israelische Öffentlichkeit schweigt bis auf wenige Stimmen, auch die USA und Europa lassen Sharon gewähren…

Von der US-Regierung ist nichts anderes zu erwarten. Denn erstmals in der Geschichte der israelisch-amerikanischen Partnerschaft ist diese geradezu symbiotisch. Die strategischen Konzeptionen beider Regierungen decken sich vollkommen. Bush wie Sharon wähnen sich in einem weltweiten, totalen und präventiv zu führenden »Krieg gegen den Terrorismus«, die globale Bedrohung schlechthin, die jedes Mittel rechtfertigt. Außerdem läuft die Politik von Herrn Bush auf eine Rekolonialisierung der Welt hinaus, es geht um die direkte Kontrolle der Völker der Welt und ihrer Ressourcen durch den US-Imperialismus. Diese Politik entspricht genau der Kolonialisierungs- und Expansionspolitik Sharons, der auf lokaler Ebene das umsetzt, was derzeit globale Politik ist.
Was Europa angeht, bin ich sehr skeptisch. Beim Irakkrieg gab es keine gemeinsame europäische Außenpolitik. Und das Europa der Regierungen, der Institutionen, das Europa des Kapitals kann sich nicht auf »die andere Seite« schlagen. Es wird, bei aller Kritik, letztlich im US-amerikanischen Lager bleiben — denn es ist nicht zu erwarten, dass sich dieses Europa im revolutionären Lager wiederfindet oder im Lager der Globalisierungskritiker.
Ein Faktor, der außerdem Europa stark an den von den USA proklamierten »Krieg gegen den Terror« bindet, ist die Welle des Antiislamismus bzw. Antiarabismus, die wir in Europa erleben. Gleichzeitig ist heute die Sensibilität unter den Europäern, d.h. in der Bevölkerung, für die Ungerechtigkeiten, unter denen die Völker des Südens und insbesondere die Palästinenser zu leiden haben, viel ausgeprägter als noch vor zehn Jahren. Wir haben heute in Europa und weltweit — vielleicht in Deutschland noch nicht so sehr — eine breite Bewegung, die sich nicht mit »den Palästinensern« identifiziert, sondern mit der Forderung nach der Anerkennung ihrer Rechte als etwas, das jeden betrifft, dessen Rechte in Frage stehen.

Du setzt starke Hoffnungen in das andere Europa, das Europa der sozialen Bewegungen, der Sozialforen…

Ja. Dort ist ja Palästina sehr gegenwärtig, eines der zentralen Themen, wie auch auf den Weltsozialforen. Denn in dieser Bewegung werden die einzelnen Konflikte als lokale Schauplätze einer globalen Auseinandersetzung gesehen. Die Kriege in Afghanistan, im Irak, in Palästina sind Teil der globalen Strategie des neoliberalen Kapitalismus, und deshalb sollte auch der Widerstand dagegen eine globale Bewegung sein.
Ein völlig neues Phänomen in diesem Zusammenhang sind die internationalen »Bürgergruppen«, die in die besetzten Gebiete gehen und sich dort an die Seite der Palästinenser stellen, nicht aus einer abstrakten Solidarität heraus, sondern weil sie sich von diesem Krieg selber betroffen fühlen. Ihre Rolle ist extrem wichtig, vor allem, weil sie die israelische Politik der Abschottung, der Isolierung der Palästinenser von der Welt unterlaufen. Diese Isolierung ist eine der Quellen des Fundamentalismus; denn sie schneidet die palästinensische Bevölkerung von der breiten Solidaritätsbewegung ab, die besonders in Europa existiert. Das wiederum fördert die Vorstellung in der palästinensischen Gesellschaft, dass sie bzw. die Araber/Muslime mit einer feindseligen Welt konfrontiert sind, es fördert also den islamistischen Diskurs. Deshalb appellieren die weltlichen, emanzipatorischen Kräfte in Palästina an die Europäer zu kommen, ihre Solidarität vor Ort zu manifestieren und so den Diskurs der Islamisten zu konterkarieren.

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