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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite 17

LCR in Frankreich

Orientierung auf soziale Bewegungen

In Frankreich entstand bereits in den Jahren von 1934 bis 1936 eine nicht unbedeutende trotzkistische Strömung. Das hing damit zusammen, dass die marxistische Linke und die Arbeiterbewegung in ihren vielfältigen Formen in der damaligen Zeit im Lande erstarkte, während in Deutschland seit 1933 alle organisatorischen Traditionen auf terroristische Weise zerschlagen worden waren.
In denselben Jahren vereinten die verschiedenen Strömungen in der Linken sich im Abwehrkampf gegen den europäischen Faschismus, der auch Frankreich zu erreichen drohte, und bildeten die »Volksfront« (Front Populaire). Die Sozialdemokratie bildete deren stärkste Fraktion, die KP aber verfocht im Zeichen der »Volksfront«-Politik einen noch staatstragenderen und klassenversöhnlerischeren Kurs — im Zeichen der außenpolitischen Strategie der UdSSR. Ab 1936 war die KP, obwohl nicht mit eigenen Ministern am Kabinett beteiligt, faktisch Regierungspartei und tat alles, um den nach dem Wahlsieg der »Volksfront« spontan ausbrechenden Generalstreik abzuwürgen. Deswegen tat sich links von Sozialdemokratie und KP ein breiter Raum auf. Neben anderen Gruppen, die ihn füllten, entstand 1936 eine Ligue Communiste, die trotzkistisch orientiert war. Auch auf dem linken Flügel der Sozialistischen Partei unter Maurice Pivert gab es ähnlich orientierte Strömungen, oder zumindest Sympathien.
Während des Zweiten Weltkriegs überlebten nur kleine Gruppen, und nach 1945 ein kleiner organisatorischer Kern unter dem Namen Parti Communiste Internationaliste (PCI), der sich in den 50er Jahren spaltete. Aber durch die politische Radikalisierung eines Teils der Jugend, die der generalisierten Revolte im Frankreich des Mai 1968 voran ging, entstanden neue bedeutendere Strömungen. Ihre Vorgeschichte reicht in den Widerstand gegen den französischen Kolonialkrieg in Algerien (1954—1962), der die gesamte radikale Linke strukturierte, zurück.
1965 wurden Krivine und einige weitere Mitglieder wegen Linksabweichung aus dem KP- Studentenverband ausgeschlossen. Sie begründeten in der Folgezeit die Jeunesse Communiste Révolutionnaire (JCR), die eine der tragenden Gruppen des Bündnisses bildete, das die Demonstrationen im Pariser Mai 1968 organisierte. Die Jugendorganisation JCR tat sich mit einigen der älteren Aktivisten aus der PCI-Zeit zusammen, um eine gemeinsame politische Organisation ins Leben zu rufen. Diese entstand 1969 unter dem Namen Ligue Communiste. Im selben Jahr kandidierte Alain Krivine zur französischen Präsidentschaftswahl, erhielt jedoch nur 1%. Das hatte u.a. damit zu tun, dass die Bindungskraft der KP auf die französischen Arbeiter zu jener Zeit zumindest bei Wahlen noch ungebrochen war — obwohl ihre auf rasche Beruhigung der Revolte ausgerichtete Strategie im Mai 1968 an der eigenen Basis gescheitert war.
Am 21.Juni 1973 war die Ligue Communiste maßgeblich an der Sprengung einer Großveranstaltung der neofaschistischen Gruppierung Ordre nouveau in Paris beteiligt. Daraufhin verbot die Regierung unter dem konservativen Präsidenten George Pompidou die Ligue Communiste (und allerdings auch die rechtsextreme Gruppe Ordre Nouveau). Doch 1974 konnte sie unter ihrem neuen Namen, Ligue Communiste Révolutionnaire, wieder gegründet werden.
Während der 70er Jahre war die LCR sehr stark auf der Straße und auch an Schulen und Universitäten präsent. Aber sie wies einen eher geringen Bezug zu Wahlen auf. Zwar kandidierte die LCR mitunter. Dennoch versuchte sie jedesmal, breitere Bündnisse zu bilden, und kandidierte nur allein, wenn dies nicht gelang. Deswegen blieb ihre wahlpolitische Wirkung zu jener Zeit relativ gering.
Hingegen setzte die LCR während der ganzen Zeit ihrer Existenz auf die Präsenz in gesellschaftlichen Kämpfen unterschiedlicher Natur, etwa im Bereich des Antifaschismus und Antirassismus, des Feminismus oder der Ökologie, und später der so genannten Globalisierungskritik. Dabei versuchte sie stets, die fortschrittlichsten, politisch am weitesten radikalisierten Kräfte aus diesen verschiedenen Kämpfen für sich zu gewinnen und zu einer Konvergenz der Bewegungen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Konfliktfeldern beizutragen.
Seit den späten 90er Jahren hat die LCR aber auch erstmals unter ihrem eigenen Namen Fuß auf dem Feld der Wahlpolitik gefasst und dabei einen gewissen Zuspruch erfahren. Zu den Europaparlamentswahlen 1999 sowie den Regionalparlaments- und den Europaparlamentswahlen 2004 wurden dabei Wahlbündnisse mit Lutte Ouvrière (LO), der anderen größeren trotzkistischen Partei in Frankreich, geschlossen. Diese hatte in der Vergangenheit ihre Aktivität weit stärker auf die Wahlbeteiligung (sowie die Betriebsarbeit) konzentriert und war gleichzeitig sehr viel weniger an sozialen Bewegungen beteiligt als die LCR. In jüngerer Zeit ist es zu einer relativen Annäherung der Praktiken gekommen, auch wenn noch immer sehr große Unterschiede in den jeweiligen »Organisationskulturen« bestehen.
Die beiden bisher »erprobten« Wahlbündnisse von LO und LCR, im Juni 1999 und im März 2004, erbrachten jeweils rund 5% der Stimmen. Aber auch die Alleinkandidatur des LCR-Bewerbers Olivier Besancenot zur Präsidentschaftswahl 2002 war, mit »aus dem Stand« erreichten 4,3%, ein Erfolg. Zumal bei jener Wahl auch zusätzlich die langjährige Präsidentschaftskandidatin Arlette Laguiller ein weiteres Mal antrat, die 5,8% erhielt.
Es ist nicht ausgemacht, dass so günstige Ergebnisse wie im April 2002 so schnell wiederholt werden können, denn damals erreichte die »Abnutzung« und Diskreditierung der etablierten Linksparteien (Sozialdemokratie und KP) nach fünfjähriger Regierungsbeteiligung ihren Höhepunkt. Ferner spielt heute die Angst vor rechtsextremen Wahlsiegen eine stärkere Rolle, die viele dazu bewegt, »nützlich zu wählen«, um nicht erneut — wie im Frühjahr 2002 — Konservative und Rechtsextreme allein in die Stichwahl zu lassen. Dennoch ist die radikale, revolutionäre Linke auch vom wahlpolitischen Feld nicht mehr wegzudenken. Das stellt aber kein Ziel »für sich« dar: Es kann nur darum gehen, die Stimmabgabe als Gradmesser für den Anstieg sozialer Kämpfe in der Gesellschaft selbst zu nutzen.

Bernhard Schmid, Paris

Webseite der LCR





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