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Es ist ein ermutigendes Zeichen der letzten Jahre, dass in der politisch-ökonomischen Diskussion der deutschen Linken
auch wieder zunehmend Denker der nichtdeutschen, vor allem der angelsächsischen und französischen intellektuellen Szene wahrgenommen
werden. Hier ist noch eine reichhaltige, langjährige und ausgesprochen lebendige Tradition politischer Theorieentwicklung zu entdecken, von der die allzu
oft geschichtslose und national-bornierte deutsche Linke so manches zu lernen hätte.
Noch immer dominiert bspw. in der Diskussion um die Globalisierung ein bemerkenswert
ökonomistisches Herangehen. Gerade hier setzt nun der von Christian Zeller herausgegebene Band Die globale Enteignungsökonomie an, der
Beiträge von François Chesnais und Michel Husson (zum neuen Kapitalismus), David Harvey (zum neuen Imperialismus), Claude Serfati (zum neuen
Militarismus), Stephanie Treillet (zur spezifischen Unterdrückung der Frau in der Globalisierung), von Chesnais/Serfati (zu den physischen Bedingungen
der gesellschaftlichen Reproduktion) und dem Herausgeber (zur Imperialismusdebatte und zu den Perspektiven gesellschaftlicher Aneignung) selbst
enthält. Gemeinsam ist den hier versammelten (v.a. französischen) Autorinnen und Autoren, dass sie mit unterschiedlichen Akzenten die
Krisenhaftigkeit und die immanenten Grenzen des gegenwärtigen kapitalistischen Akkumulationsprozesses aufzeigen.
Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie diesen Akkumulationsprozess als einen wesentlich
politischen, auf Herrschaft, Ausbeutung und Bereicherung ausgerichteten, interpretieren. Sie zeigen, wie kapitalistische Globalisierung eines bewaffneten Arms
bedarf, eines neuen Imperialismus, der auf die Neuordnung der weltpolitischen Verhältnisse und Räume ebenso gerichtet ist, wie er auf private
Aneignung gesellschaftlichen Reichtums abzielt, sei es bei den sozial Schwachen und Marginalisierten, den (Lohn-)Arbeitenden und Frauen, oder im
Verhältnis der Metropolen zur Peripherie. Formen ursprünglicher Akkumulation sind dabei ebenso wenig Geschichte wie räuberische
Mechanismen einer Enteignungsökonomie (neben kriminellem Raub bspw. auch Fusionen und Übernahmen). Kombiniert werden sie mit der
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen, mit der Abschöpfung intellektueller Ressourcen und neuen Formen der
Biopiraterie. Gewaltsam sollen die Reproduktionsbedingungen zugunsten jenes Kapitals verbessert werden, das für die Autoren kein körperloses,
frei vagabundierendes Etwas ist. Kapital und Arbeit sind ihnen ganz »traditionalistisch« ein gesellschaftliches Verhältnis, das Kapital als
solches eine Fiktion. Es gibt nur die vielen Kapitale und dies sind Gruppen von realen Menschen, Klassen mit Ausbeutungs- und Herrschaftsinteressen.
Darum, und weil ein neues stabiles Produktions- und Wachstumsregime auch nach 30 Jahren
struktureller Überproduktionskrise nicht in Sicht ist, glauben die Autoren auch nicht an einen neuen sozialpolitischen Konsens. Der Enteignung und
Aneignung durch die Herrschenden setzen sie die marxsche Idee einer Expropriation der Expropriateure entgegen, der demokratischen Aneignung von unten.
Besonders der abschließende Beitrag Zellers (»Zur gesellschaftlichen Aneignung«) verdient hier hervorgehoben zu werden, da er es
unternommen hat, die Umrisse einer emanzipatorischen, auf radikaler Demokratisierung, globalem Bürgerrecht und sozialer Aneignung von
Dienstleistungen und Produktionsprozessen beruhenden Alternative zum herrschenden Neoliberalismus zu skizzieren, die sich vom »radikalen
Reformismus« großer Teile der deutschen Linken abzuheben versucht. (Im parallel zu dieser SoZ erscheinenden neuen Sozialistischen Heft
für Theorie und Praxis findet sich dieser Beitrag Zellers in leicht modifizierter Form.)
Die Suche nach »Anknüpfungsmöglichkeiten für eine Perspektive der
gesellschaftlichen Aneignung« (Zeller) ist naturgemäß mehr Programm als ausführlich behandeltes Thema und man mag sich trefflich
über manches streiten. Umfangreicher ausgearbeitet und empirisch gesättigter sind dagegen die vorgelegten Analysen des neuen finanzdominierten
Akkumulationsregimes, das seine teilweise barbarische Unmenschlichkeit in Zeiten des »Krieges ohne Grenzen« kaum noch verbergen kann.
Akkumulation durch Enteignung und Verelendung, allgemeine Kommodifizierung als
versuchter Ausweg aus der strukturellen Überakkumulationskrise der Band zeigt nicht nur die Aktualität einer marxistischen
Kapitalismuskritik, sondern auch die politische Notwendigkeit einer emanzipatorischen Alternative.
Christoph Jünke
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