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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 16

Internationale Sozialdemokratie

Ein Fall verlorener Identität

Die historische Sozialdemokratie ein Auslaufmodell? Dagegen scheint zu sprechen, dass die Zahl der in der sozialdemokratischen Sozialistischen Internationale (SI) zusammengeschlossenen Parteien in den letzten Jahrzehnten sogar explosionsartig zugenommen hat. Was steht hinter diesem Phänomen? Marcel van der Linden, Historiker an der Universität Amsterdam, hat es untersucht.

Die weltweite Entwicklung der in der Sozialistischen Internationale (SI) zusammengeschlossenen sozialdemokratischen Parteien macht eine historisch neuartige organisatorische Explosion durch. Innerhalb eines Vierteljahrhunderts haben die Länder mit SI-Mitgliedern um 147% zugenommen. Die Anzahl der Mitgliedsparteien hat noch mehr, nämlich um 169%, zugenommen. Diese stürmische Zunahme ist besonders bemerkenswert, weil die Mitgliedschaft der SI in den voraufgehenden Jahrzehnten ziemlich stabil war. Während der ersten 25 Jahre ihrer Existenz (1951—1976) schwankte die Anzahl der zugehörigen Parteien zwischen 34 (zum Zeitpunkt der Gründung in Frankfurt) und 39.
Wie können wir die globale Ausdehnung der SI im zweiten Vierteljahrhundert ihrer Geschichte erklären? Wie war es möglich, dass viele politische Kräfte in früheren Kolonien sich plötzlich zur Sozialdemokratie hingezogen fühlten, während sie in den 50er und 60er Jahren die europäische Sozialdemokratie als Verbündete der Kolonialherren betrachteten? (Ein sehr begründeter Verdacht in Anbetracht des Verhaltens der britischen, französischen und niederländischen sozialdemokratischen Parteien in Indien, Algerien, Indonesien usw.)
Es ist sehr wahrscheinlich, dass verschiedene Faktoren zu dieser Umkehr geführt haben (sowohl auf der »Soll-« als auch auf der »Haben«-Seite sozusagen). Hier konzentriere ich mich auf ein Element, das entscheidend zu sein scheint für jede Erklärung, die wir zu geben versuchen. Meine Hypothese ist, dass das weltweite Wachstum der Sozialdemokratie durch die zunehmende Vagheit des sozialdemokratischen politischen Profils möglich gemacht wurde. In anderen Worten: Das graduelle Verschwinden der Identität der Sozialdemokratie war eine notwendige aber nicht ausreichende Bedingung für ihre weltweite Ausdehnung.

Historischer Blick

Wenn mit langfristigem Blick auf die Entwicklung der internationalen Sozialdemokratie der letzten 100 Jahre schauen, dann können wir vier verschiedene Parteitypen unterscheiden:
♦  Die alten sozialdemokratischen Parteien in Europa, deren Entwicklung in den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts begann. Viele dieser Parteien hatten eine mehr oder weniger kontinuierliche Entwicklung, obwohl es gewaltsame Unterbrechungen von unterschiedlicher Dauer gab (12 Jahre in Deutschland, 33 Jahre in Italien, 36 Jahre in Spanien): Diese »Familie« kann natürlich weiter unterteilt werden (z.B. Nord—Süd).
♦  Die sozialdemokratischen Parteien in den Siedlerkolonien, die ebenso einen frühen Start hatten und bis in die Gegenwart eine ziemlich kontinuierliche Entwicklung erlebten (Australien, Neuseeland, bis zu einem gewissen Grad die USA).
♦  Die sozialdemokratischen Parteien in Siedlerkolonien, die früh gegründet wurden, aber nach ein paar Jahrzehnten verschwanden (z.B. Argentinien).
♦  Die Parteien, die zu Beginn nicht sozialdemokratisch waren, sich aber in einem späteren Stadium ihrer Entwicklung zu sozialdemokratischen Parteien umwandelten. Diese Kategorie umfasst transformierte Kommunistische Parteien (die italienischen DS, einige Parteien in Osteuropa), frühere Befreiungsbewegungen und andere.
Die erste Kategorie dominierte die SI von Anfang an. Der kanadische stellvertretende Generalsekretär Robin Sears sagte Mitte der 80er Jahre zu Recht: »Man sollte die Veränderung [der SI] nicht überbewerten, indem man behauptet, der Schwerpunkt habe sich wegen der Mehrheit der nichteuropäischen Mitgliedsparteien der SI nach Westen oder Süden verlagert. Das stimmt nicht … Aufgrund der Geschichte, Größe und der kollektiven Geschlossenheit, sowohl intern als auch untereinander, wird sich das politische Gewicht Europas in unserer ideologischen Familie nicht so schnell verändern.«

Die europäische Sozialdemokratie

Deshalb werden wir die Veränderung und Erweiterung der SI nur verstehen, wenn wir die Entwicklungen in Europa verstehen. Ich habe schon früher behauptet, dass die europäische Sozialdemokratie zwei große Metamorphosen seit dem späten 19.Jahrhundert durchgemacht hat. Hier werde ich mich auf die Veränderungen der neun Parteien nördlich der Alpen beschränken (Skandinavien, [West-]Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Belgien, Österreich und Schweiz — die Entwicklung in Südeuropa (Frankreich, Spanien, Portugal, Italien) hatte ähnliche Ergebnisse, aber auf anderen Wegen.
Die nördlichen Parteien unterschieden sich nicht nur politisch, sondern auch kulturell von den meisten anderen Parteien. Früher hatten die Parteien ein großes Netzwerk von angeschlossenen Organisationen etabliert: Sportverbände, Frauenvereine, Naturfreundeorganisationen, Konsumgenossenschaften, Zeitungen, Theatergruppen usw. Die Parteien hielten ebenfalls enge Beziehungen zu den sozialdemokratischen Gewerkschaften aufrecht. Nur Großbritannien wich von dieser Norm ab. Obwohl auch dort solche Organisationen existierten, waren sie weniger direkt mit der Partei verbunden als in anderen Ländern.
Dieses alte Netzwerk blieb nach der Metamorphose einigermaßen intakt und kam der Parteistabilität sehr zugute. Es ermöglichte der Partei nicht nur, ihre Mitglieder in rein politischer Hinsicht zu beeinflussen, sondern es ermöglichte eine Kontrolle ihres Alltags in zahlreichen anderen Aspekten. Die Verbindung zwischen Basis und Führung blieb felsenfest. Theo Pirker hat festgestellt, dass die deutsche Sozialdemokratie lange »gewaltigen Fraktions- und Ideologiestreitigkeiten standhielt, über Abspaltungen die Oberhand behielt und die unwahrscheinlichsten Wiedervereinigungen zustande bekam, weil die Arbeiterbewegung nicht nur wegen Theorie und Ideologie einheitlich war, sondern ein Netzwerk von Verbänden und Beziehungen von Personen und Gruppen innerhalb und außerhalb der Arbeiterklasse war.«

Vom Sozialkeynesianismus…

Diese subkulturellen Bindungen blieben während der ersten Metamorphose der Partei weitgehend bestehen. Diese fand in den 30er und 40er Jahren statt, als sie das sozialistische Endziel aufgab (in den Fragen, wo sie ein solches Ziel hatte), den Sozialkeynesianismus akzeptierte und so von einer reformistischen Arbeiterpartei zu einer Reformpartei mit Unterstützung der Lohnabhängigen wurde. Die Attraktivität des Sozialkeynesianismus war der eigentliche Grund für diesen tiefen Wandel. Der alte Reformismus, der den Interessen der Lohnabhängigen die höchste Priorität im Grundsatzprogramm und in der Setzung der Ziele eingeräumt hatte und der das Kapital als Gegner betrachtet hatte, dem immer größere Zugeständnisse abgerungen werden müssten, wurde durch eine Praxis ersetzt, die systematische Kooperation mit eben diesem Kapital beinhaltete. Von einer sozialdemokratischen Perspektive bot der Keynesianismus einige wichtige Vorteile:
♦  Er schien die Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat zu erlauben. Versöhnung zwischen Sozialismus und Markt wurde durch die Beeinflussung der Erwerbslosenquote und der Einkommensverteilung möglich, ohne die Fortsetzung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln zu berühren.
♦  Er rechtfertigte ein egalitäres Erscheinungsbild, indem er zeigte, dass steigende Einkommen das Wirtschaftswachstum stimulieren.
♦  Er ermöglichte eine schnelle Kapitalakkumulation und die Versöhnung zwischen Unternehmern und abhängig Beschäftigten.
♦  Er befähigte die Regierungen, einen Teil des Sozialprodukts für die wachsenden Sozialsysteme zu verwenden, ohne die ökonomische Balance zu stören.

…zum Neoliberalismus

Das vorbildlose Wachstum des Kapitalismus bis in die frühen 70er Jahre, die dem sozialen Keynesianismus entsprechende »Fairness« und die Dichte sozialdemokratischer Netzwerke sicherten im Allgemeinen einen spürbaren Erfolg sozialdemokratischer Parteien, unabhängig von deren unterschiedlichen Wegen. Die sozioökonomischen Faktoren, die für den relativen sozialdemokratischen Erfolg verantwortlich waren, wirkten sich aber im zweiten Stadium eher negativ aus. Die ausgedehnte Kapitalakkumulation der 50er und 60er Jahre veränderte dramatisch das öffentliche Ansehen des Umfeldes, in dem die Parteien agierten. Zunächst graduell und dann spektakulär seit den frühen 70er Jahren. Es gab mindestens fünf entscheidende Veränderungen:
♦  Ökonomische Internationalisierung, die sich in der kontinuierlich wachsenden Bedeutung des internationalen Handels, der Migration und der Kapitaltransfers ausdrückte, reduzierte die Kontrolle der nationalen Regierungen über ihre Volkswirtschaften. Kürzlich beschrieb der belgische sozialdemokratische Minister Louis Tobback die neue Situation wie folgt: »Minister besitzen nicht länger die Instrumente, um ihre nationale Ökonomie zu beeinflussen. Wir haben keinen Hammer. Wir haben keine Sichel. Wir haben noch nicht einmal eine Säge. In Belgien — oder den Niederlanden — sind die Zinshöhen außerhalb unserer Kontrolle. Das gleiche gilt für die Inflation und die Energiepreise. Belgische Minister haben heute so wenig Macht wie Antwerpens Ratsherren vor 30 Jahren. Unsere Hände sind nicht völlig gebunden, aber unsere Eingriffsmöglichkeiten sind begrenzt. Wir können Regenschirme gegen den Regen und Sonnenschirme gegen die Sonne verteilen. Aber wir können nicht das Wetter bestimmen.«
♦  Der Rückgang und manchmal die Stagnation des Wachstums, das kurzzeitig auch negativ sein kann, was zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit während der Ölkrise 1973 auftrat, verringerte den Anteil am Sozialprodukt, der verteilt werden konnte. Zurückgehende Steuereinnahmen und steigende Ausgaben der Regierungen führten zu erhöhten fiskalischen Risiken. Als Ergebnis kam es zu schmerzhaften Kürzungen, die in der Logik der Systems unvermeidlich waren.
♦  Die Zusammensetzung der Klasse veränderte sich in den hoch entwickelten kapitalistischen Staaten: Der Anteil der »traditionellen« Arbeiterklasse an der Arbeiterschaft nahm seit den 50er Jahren immer mehr ab, während »neue« Gruppen von Lohnabhängigen immer zahlreicher wurden.
♦  Der Nachkriegskapitalismus brachte dramatische kulturelle Veränderungen. Zusätzlich zu einem historisch einzigartigen Lebensstandard großer Teile der lohnabhängigen Bevölkerung führte der rasche Anstieg der Kaufkraft zu wesentlichen soziokulturellen und psychologischen Veränderungen. Ein vollkommen neuer Typ von Individualisierung wurde sichtbar, Frauen und junge Erwachsene beanspruchten eine Neubewertung ihrer Rolle in der Gesellschaft usw.
♦  Seit den 60er Jahren wurden die unvorhersehbaren und negativen Auswirkungen des turbulenten Wirtschaftswachstums, wie etwa der dramatische Anstieg der Verschmutzung, nach und nach sichtbar.
Diese Veränderungen wirkten sich auf die sozialdemokratischen Parteien aus, nicht überall gleichermaßen, aber überall in die gleiche Richtung. Die soziokulturelle und ökonomische Veränderung erschütterte beide »Pfeiler« des Sozialkeynesianismus, da die Netzwerke auseinander fielen und der Sozialkeynesianismus schwerer realisierbar war.
Die sozialdemokratischen Netzwerke fielen auseinander, da die angeschlossenen Organisationen zusammenbrachen oder autonom wurden — ein Prozess, der viele Bereiche betraf. Die üblichen Gesangs-, Theater-, Sport- und Naturvereine wurden in einen aussichtslosen Kampf gegen Individualisierung und die neue populäre Kultur gezwungen; sie verloren den Kontakt zur jüngeren Generation, tauschten ihr traditionelles Repertoire gegen ein moderneres aus oder gaben ihre direkte Verbindung mit den Parteien ganz auf. Die Rezession bewirkte außerdem einen Riss zwischen Parteien und Gewerkschaften. Ein eindrucksvolles Beispiel für die zerfallenden Verbindungen betrifft die beiden Parteien, wo Gewerkschaftsmitglieder in der Vergangenheit automatisch Parteimitglieder waren: 1987 beschloss die schwedische Partei dieses System bis spätestens 1990 abzuschaffen; die Abschaffung der Blockstimmen der Gewerkschaften in der Labour Party 1993 diente dem gleichen Zweck.

Neue Herausforderungen

Diese letzte Beobachtung führt zu dem zweiten mehr und mehr zusammenbrechenden Pfeiler: dem Sozialkeynesianismus. Seit Mitte der 70er Jahre verlor die alte Politik einer Umverteilung von oben nach unten zunehmend an Glaubwürdigkeit. Obwohl die Liste von Problemen schon sehr beeindruckend war, warteten noch mehr Probleme: Eine Serie von qualitativ neuen politischen Feldern entstand, angefangen bei der Demokratisierungsbewegung und den Protesten der jungen Erwachsenen bis zur zweiten feministischen Welle und der Umweltproblematik.
Diese neuen Themen — offensichtlich ebenso Quellen erheblicher Besorgnis und Unsicherheit in anderen etablierten politischen Bewegungen — deckten eine Reihe von Problemen auf, für die es keine überzeugenden Antworten gab. Ein Beispiel für die sozialdemokratische Hilflosigkeit ist der Aufstieg der »grünen« politischen Bewegung, die häufig innerhalb ihrer Anhängerschaft extrem gespannte Beziehungen und verschiedene Ideologien vereinte.
Alle diese Veränderungen hängen zusammen. Der medizinische Begriff für diese Angelegenheit ist Syndrom, was eine Sammlung konkurrierender Symptome bedeutet. Die sozialdemokratischen Parteien standen einer großen Anzahl von Herausforderungen gegenüber, die mehr oder weniger gleichzeitig bewältigt werden mussten. Die Parteien waren gezwungen, ihren Ruf als Sozialreformer aufrecht zu erhalten trotz eines mehr und mehr verschwindenden Spielraums für »schöne Sachen und gute Taten«. Traditioneller Zentralismus musste mit Basisdemokratie versöhnt werden und Feminismus mit der konventionellen männerzentrierten Kultur. Darüber hinaus musste die Umweltbewegung ernst genommen werden, ohne das Streben nach Wirtschaftswachstum aufzugeben (die Bedingung für Umverteilung im kapitalistischen Kontext).
Zusätzlich zur Notwendigkeit, die Myriaden von widersprüchlichen Interessen miteinander zu versöhnen, komplizierte die veränderte Parteistruktur die Entwicklung einer kohärenten Strategie. Dieser Aspekt wurde sichtbar in der Erosion der traditionellen individuellen Netzwerke und der internen Parteibeziehungen. Alles in allem wurde die Verbindung zwischen der Basis und den Parteien schwächer. Der verringerte Kontakt unter den »regulären Mitgliedern« reflektiert diesen Trend.
Ein anderer Aspekt ist die enorme Zunahme von Wechselwählerinnen und - wählern. Das zunehmende Alter der Mitgliedschaft ist ebenfalls bedeutsam. Schließlich bietet die abnehmende Zahl von Mitgliedern einen Anhaltspunkt: Der Rückgang begann in einigen Ländern (z.B. Dänemark) bereits in den 60er Jahren, in anderen Ländern begann er viel später (in Schweden von 1984 an), aber der Trend ist global. Darüber hinaus ist der Einfluss von proletarischen Mitgliedern weitgehend verschwunden; sie nehmen immer weniger an den Treffen der Parteigliederungen teil und sind kaum noch in der Parteiführung vertreten.
Es ist nicht verwunderlich, dass das enorme Gewicht dieser Probleme den weitverbreiteten Dissens und die Unsicherheit in der Sozialdemokratie verstärkt hat. Die Parteien durchlaufen ohne Zweifel eine zweite Metamorphose. Sie lassen das Stadium einer Reformpartei mit Unterstützung der Arbeiterklasse hinter sich und suchen intensiv nach einer neuen Identität.

Neue Expansion

Nun will ich zu meiner Ausgangsfrage zurück kommen. Genau während der zweiten Metamorphose fand die globale Erweiterung der SI statt. Einige Autorinnen und Autoren haben ausgeführt, dass die 70er Jahre durch eine spezielle politische Konjunktur charakterisiert wurden:
Sowohl die USA als auch die UdSSR verloren viel Glaubwürdigkeit in der Linken (Vietnam, CSSR…).
Das kubanische Modell war in einer Sackgasse.
Das Aufkommen des Eurokommunismus ermöglichte eine Annäherung zwischen einigen Kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien.
Der Sozialkeynesianismus schien noch zu funktionieren.
Und die Sozialdemokratie hatte den Kampf gegen die Militärdiktaturen in Lateinamerika und anderswo unterstützt.
Aber diese Beobachtungen sind nur kleine Puzzleteile. Alles in allem passten die Parteien, die sich der SI nach 1976 anschlossen, nicht in das alte Organisationsprofil. Vor Mitte der 70er Jahre hätte niemand ehemalige Guerillabewegungen wie die MPLA in Angola und die FSLN in Nikaragua oder die autokratische Demokratische Aktion in Venezuela als sozialdemokratische Parteien angesehen. Solche Organisationen konnten nur deswegen eine Heimat in der SI finden, weil das Profil der SI undeutlich geworden war. Alex Fernandez Jilberto hat richtig festgestellt, dass das Wachstum der SI »weder wirklich sozialdemokratische Parteien im alten Sinne noch neue geschaffen hat … Was passierte, war der Anschluss von lateinamerikanischen Parteien und Bewegungen an die Sozialistische Internationale, deren politische Natur nicht als sozialdemokratisch definiert werden konnte. Das schloss populistische Strömungen ebenso ein wie nationale Parteien und Bewegungen, die sich antiimperialistisch oder antikapitalistisch definierten.«
Natürlich hat die SI selbst das klar gesehen. Deswegen war die Annahme einer neuen »Prinzipienerklärung« auf dem 18.Kongress in Stockholm 1989 so wichtig. Diese Erklärung erkennt die Existenz von »Unterschieden« in den »Kulturen und Ideologien« der Mitglieder an. Sie betont aber gleichzeitig, dass die grundlegenden Werte der SI (Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität) »ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung, den Befreiungsbewegungen, den kulturellen Traditionen von gegenseitiger Hilfe und kommunaler Solidarität in vielen Teilen der Welt haben«.
Die Schlussfolgerung muss paradox sein: Die Sozialistische Internationale konnte nur so dramatisch wachsen, weil die klassischen sozialdemokratischen Parteien in einer tiefen Identitätskrise sind.

Marcel van der Linden

Übersetzung: Andreas Bodden



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