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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 19

Tod dem Antifaschismus!?

Anmerkungen zur Debatte über den Widerstandskampf im KZ Buchenwald

Der Klassenkampf ist auch ein Kampf um die Köpfe, ein ideologisches Gefecht, und weil die deutsche Bourgeoisie das weiß, schenkt sie ihm die gebührende Aufmerksamkeit. Wenn es gilt, ihre aggressive Außenpolitik zu begründen, dem imperialen Konkurrenten Amerika den Kampf anzusagen oder die eigene Herrschaft im Innern zu sichern, ist auf ihre Politiker, Literaten, Akademiker und Pfaffen Verlass. Waren diese doch auch zur Stelle, als es darauf ankam, den Antifaschismus als Idee und politischen Faktor zu diskreditieren.

Zu nichts anderem diente, neben der nachträglichen Deligitimierung der DDR, die Buchenwald-Debatte der 90er Jahre. Sie begann, als 1992 die sog. »Geheimakte Buchenwald« entdeckt und der Gedenkstätte des ehemaligen KZ übergeben wurde, die in ihrem Jahresbericht die Herausgabe einer Quellenedition ankündigte. Die Geheimakte umfasst Dokumente einer parteiinternen Untersuchung, die die KPD bzw. SED 1946 gegen mehrere Häftlingsfunktionäre wegen ihres Verhaltens im Lager einleitete. Die Materialien belegen die Verfehlungen einzelner und verdeutlichen die ganze Ambivalenz des Häftlingslebens, insbesondere des Wirkens der Funktionäre innerhalb der sog. Häftlingsselbstverwaltung. Sie dokumentieren also zweifelsfrei, dass der Widerstand im KZ kein »sauberer« war, lassen sich bei kritischer wie sachkundiger Prüfung aber nicht nutzen, um ihn als inhuman bloßzustellen.
Ehe die angekündigte Quellenedition erschien, wurden der Presse durch interessierte Kreise Teile des archivarischen Materials zugespielt, woraufhin die Thüringer Ausgabe von Bild am 23.2.94 eine Serie unter Titeln wie »So halfen Kommunisten den Nazis beim Morden« und »Wer KPD-Bonzen stört, landet im Todesstollen« startete. Auch seriöse Blätter griffen die emotional äußerst aufgeladene Debatte begierig auf. Unter der Überschrift »Zusammenarbeit von SS und Kommunisten in Buchenwald« hieß es z.B. am 3.4.94 in Welt am Sonntag, aus den SED-Akten gehe hervor, »dass auch kommunistische Gefangene bei der Unterdrückung anderer Häftlinge mit den SS-Wachmannschaften kollaborierten«. Die FAZ wiederum schrieb am 1.9.94: »Formell unter, im Alltag aber oft genug neben der SS standen der Lagerschutz und die Häftlingsselbstverwaltung. Beide Organisationen lagen in den Händen der illegalen KPD … Die Grenzen zwischen Überlebensklugheit, Kollaboration und nacktem Terror waren dabei schwer zu bestimmen, in vielen Fällen sind sie überschritten worden.«

Rettende Kritik?

Lutz Niethammer, der inzwischen mit der Herausgabe der historischen Dokumente betraut worden war, kritisierte Bild wegen ihrer »marktschreierischen« Darstellungen scharf und meinte, sie habe dem wenigen ihr vorliegenden Material »jene sensationelle Authentizität« geben wollen, »die durch die Protokolle gerade nicht zu gewinnen ist«. Dabei kann gar nicht ganz ausgeschlossen werden, dass er selbst zum Kreis ihrer Informanten gehörte. Jedenfalls einigte er sich mit seinen Mitarbeitern über eine beschleunigte Fertigstellung der Quellenedition, angeblich um die öffentliche Debatte zu versachlichen.
In der Einleitung des 1994 von ihm herausgegebenen Dokumentenbands Der »gesäuberte« Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald beteuerte Niethammer, den Widerstand nicht »schmähen« zu wollen, sondern vielmehr »rettende Kritik« zu leisten. Man könne, schreibt er, der KPD weder »bewusste ideologische oder politische Kollaboration« attestieren noch ernstzunehmende Belege »einer rot-braunen Kameraderie in der entscheidenden Frage des Dritten Reiches, der Rassenideologie und gemeinhin des Rassenantisemitismus« finden. Stattdessen stellte er jedoch den Gruppenegoismus der kommunistischen Häftlinge in den Vordergrund und führte deren Übernahme von Lagerfunktionen primär auf eigennützige Motive zurück. So habe die KPD eine »mafiose Struktur kollektiver Selbstbehauptung« besessen und sei teils aus eigenem Antrieb, teils aufgrund günstiger Umstände bald in eine erste Phase der »Kooperation« mit der SS getreten bzw. »eine herrschende Zwischenschicht im Machtgefüge des Lagers« geworden.
Dass der Widerstand eher als Alibi einer überwiegend auf Selbsterhalt orientierten Politik gedient habe, könne man auch anhand der späteren Entwicklung verfolgen. Die zwischenzeitliche Vorherrschaft der kriminellen Häftlinge förderte bei den Politischen, so Niethammer, den Gruppenegoismus, »stärkte den Wunsch nach schützender Organisation und entlastete das Gewissen bei der Ausübung ordnender Gewalt im KZ«.
Das wesentliche Mittel zum Selbsterhalt der KPD, die als »konspirativer Klientelverband« betrachtet werden könne, habe im »Opfertausch« bestanden. Um diesen vor sich zu rechtfertigen, sei wiederum eine »rigide Identifizierung mit einem Kollektiv«, nämlich mit dem als höherwertig eingestuften revolutionären Kader, nötig gewesen, gleichermaßen aber auch die Definition anderer zu Minderwertigen bzw. Opfern, deren Leben »in kritischen Situationen ausgelöscht werden müsse«. Ein »konventionalisierter Sozialrassismus« gegenüber Kriminellen, »Asozialen« und Ausländern habe damit korrespondiert. All diese Bestandsaufnahmen ließen und lassen sich freilich oft nicht mal im Ansatz belegen.
Niethammer hatte also der Debatte durch seine Interpretation eine wesentlich denunziatorische Komponente verliehen, doch die Presse ging weit über ihn hinaus. In der FAZ, wo man ihm am 5.10.94 noch bescheinigte, »die Diskussion um das lange tabuisierte Thema der Kollaboration kommunistischer KZ-Häftlinge mit der SS« habe durch sein Buch »eine Grundlage« erhalten, kritisierte man ihn später ob seines Angebots zur »rettenden Kritik«. Die Versicherung, den Widerstand nicht schmähen zu wollen, »könnte als vorwissenschaftlicher Ansatz ausgelegt werden«. Außerdem sei die These von der »Affinität zwischen KPD-Angehörigen und den SS-Wachmannschaften« nicht entschieden genug vertreten worden (FAZ, 20.12.94). Der Berliner Tagesspiegel titelte am 4.3.95 reißerisch »Elite des Grauens: Deutsche Kommunisten in Buchenwald«, und als die Geschichte des Lagers anlässlich des 50.Jahrestags der Befreiung nochmals von den Medien thematisiert wurde, konnte man in der Welt lesen, dass »die ›Roten Kapos‹, die die deutschen Kommunisten mit Billigung der überforderten SS-Führung stellen durften, eine Schreckensherrschaft errichtet« hatten. »Bestens organisiert und, was Brutalität und Durchsetzung betraf, geistesverwandt mit den braunen Schindern, nahmen sie ihnen eine Menge Arbeit ab — bis hin zu Liquidierungen, an denen sie ›ein Interesse‹ hatten.« Vom Bild-Niveau hob sich das kaum noch ab.

Der Buchenwald-Report

Somit war eine Sichtweise im öffentlichen Bewusstsein verankert worden, derzufolge ein inhärenter Zusammenhang zwischen organisiertem Widerstand und verbrecherischen Handlungen bestehe. Die Revision der Buchenwald-Geschichtsschreibung, an der sich übrigens auch der Hildesheimer Historiker Manfred Overesch mit seinem 1995 herausgebrachten Buch Buchenwald und die DDR oder Die Suche nach Selbstlegitimation tatkräftig beteiligt hatte, drohte allerdings doch noch zu misslingen, als ein Jahr später der Buchenwald-Report erschien.
Sein Entstehen war dem Umstand geschuldet, dass Buchenwald das erste große, noch mit Insassen belegte KZ war, das den Westalliierten in die Hände fiel: Das sich hier bietende Bild des Grauens hatte die amerikanischen Militärs veranlasst, das Lager zum Gegenstand einer Aufklärungskampagne zu machen, die das Ausmaß der nazistischen Schandtaten ans Licht der Weltöffentlichkeit und auch ins Bewusstsein der deutschen Bevölkerung bringen sollte.
Am 16.April 1945 traf ein Team des Nachrichtendienstes der Abteilung für psychologische Kriegsführung des in Paris ansässigen alliierten Oberkommandos ein. Es stand unter der Leitung von Leutnant Albert G. Rosenberg und hatte die Aufgabe, einen Bericht über das Lager Buchenwald, seine Funktionsweise und Binnenstrukturen sowie den in ihm herrschenden Terror zu verfassen. Wenige Tage später wurde dem Team eine zehnköpfige Gruppe ehemaliger Häftlinge zur Seite gestellt. Ihr Leiter war der Österreicher Eugen Kogon, ein christlicher Journalist und Wirtschaftswissenschaftler. Zu seinen engsten Mitarbeitern gehörten der Sozialist Ferdinand Römhild, das ehemalige Mitglied der Zentrumspartei Werner Hilpert sowie der Kommunist Stefan Heymann. In weniger als vier Wochen lag das Ergebnis vor: ein Hauptbericht, den Kogon selbst geschrieben hatte, sowie, als Anlage, eine Sammlung von 168 Einzelberichten ehemaliger Häftlinge.
Dieses Werk, auf dem auch Kogons berühmtes Buch Der SS-Staat von 1946 fußt, verblieb in den Militärarchiven und galt jahrzehntelang als verschollen. Erst 1995 wurde es von David A. Hackett veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erschien 1996 unter dem Titel Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.

Vertane Chance

Mit der Herausgabe des Buches hätte also durchaus die Chance bestanden, jene unselige Debatte über das Verhalten der »roten Kapos« vom Kopf auf die Füße zu stellen. »Die Dokumente des Niethammer-Buches«, schrieb Georg Fülberth in Konkret (1/97), »werden durch den Buchenwald-Report nicht entkräftet, aber es wird der Kontext der gesamten Lagerrealität sichtbar. Die beiden Bände verhalten sich komplementär zueinander.« Die Lohnschreiber des Kapitals waren an diesem Kontext aber nicht interessiert, und so wirkte denn auch die Hoffnung des Neuen Deutschland (19./20.10.96), dass wegen der federführenden Mitarbeit vor allem nichtkommunistischer Autoren »niemand diesen Report als ›kommunistische Parteidarstellung‹ diffamieren« könne, eher wie ein frommer Wunsch.
Das Feuilleton der bürgerlichen Presse, das es an pflichtgemäßem Beifall über die Neuerscheinung nicht fehlen ließ, spie zuweilen Gift und Galle. So monierte Lutz Niethammer im Tagesspiegel (18.11.96), dass Kogon und sein Stab unter der Kontrolle der KPD gestanden hätten und nun in dem Report über die »Herrschaft der deutschen Kommunisten« rein gar nichts zu erfahren wäre. Die Generallinie hatte aber bereits die FAZ verkündet, deren nimmermüder Enthüller Siegfrid Stadler am 11.10.96 auf den vermeintlichen Skandal verwies, im Buchenwald-Report werde vor allem den Funktionshäftlingen »das Recht eingeräumt, Auskunft zu geben. Sie nutzten es, um sich nachträglich wieder unters Fußvolk zu mischen und nun auch den Alltag des Leidens darzustellen, den sie nur aus mittlerer Kommando- oder Verwaltungsebene kannten«.
Allerdings unterlief dem Herrn Stadler ein taktischer Fehler, indem er Kogon ins Feld führte, der sich ja auch gegen die Kommunisten verwerten ließ und hinter dessen Buch der Report nun deutlich zurückgeblieben sei. War denn die Übereinstimmung zwischen dem gescholtenen Report und dem Werk Kogons nicht allzugroß? Und konnte man dann ebendiesen Kogon noch weiter so verehren? Nein, das passte alles nicht. Da erschien als Retterin die Adjutantin Niethammers, Karin Hartewig, die am Vorwort des Gesäuberten Antifaschismus mitgearbeitet hatte. In der Zeit vom 22.11.96 ließ sie Kogon fallen: »Vielleicht sollte man es darüber hinaus als Ironie einer gesamtdeutschen Geschichte betrachten, dass die Westdeutschen ihr lange Zeit vorherrschendes Bild von den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, das über Eugen Kogons Analyse transportiert wurde, mittelbar auch einer ›dialektischen Volte‹ der kommunistischen Funktionshäftlinge und Lagerfunktionäre zu verdanken haben.« Vulgo: Kogon, der dumme Kerl, habe seinen Namen hergegeben für einen Report, der in Wirklichkeit vom Pressebüro der KPD diktiert worden sei.
Georg Fülberth in Konkret: »Das Buch Der SS-Staat als Mogelpackung eines roten ›Mythos Antifaschismus‹, der zugleich eine Lebenslüge der BRD war — irgendwann musste es gesagt werden, und jetzt ist es eben passiert.«
Damit war die Buchenwald-Debatte im Grunde beendet. Nachdem sich die Thesen Niethammers und Overeschs durchgesetzt hatten, nachdem sie Allgemeingut geworden waren und die Buchenwaldforschung der DDR als abgewickelt betrachtet werden konnte, änderten sich auch die Forschungsschwerpunkte. Hasko Zimmer machte den sprichwörtlichen »Buchenwald-Konflikt« selbst zum Gegenstand kritischer Betrachtung (1999), und das Augenmerk richtete sich auf detaillierte Untersuchungen, wovon z.B. Jens Schleys Buch über die Beziehungen zwischen dem Lager Buchenwald und der Stadt Weimar (1999) sowie Wolfgang Rölls Studie über die auf dem Ettersberg inhaftierten Sozialdemokraten (2000) zeugen.
Bloß die Revision revidierte man nicht mehr. Bei Niethammer wird fleißig abgeschrieben und die Einträge in wichtigen Lexika sind längst geändert. Gewiss mag die von mir 2003 herausgebrachte Untersuchung über den Buchenwalder Widerstand wieder Licht ins Dunkel der eigentlichen Geschichte bringen, aber hierfür interssiert sich allein eine kleine Gegenöffentlichkeit. Denn von der Gegenseite erfährt solche Forschung, was ihr gebührt: Missachtung.

Ulrich Peters

Ulrich Peters ist Autor des Buches Wer die Hoffnug verliert, hat alles verloren. Kommunistischer Widerstand in Buchenwald (Köln: Papyrossa, 2003). Siehe SoZ 5/04.



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