SoZSozialistische Zeitung |
Teutschenthal heißt der Ort, in dem dieser Film überwiegend spielt. Diesen Ort gibt es wirklich, er liegt im
südlichen Sachsen-Anhalt in der Nähe von Halle. Dort geht es im Film auch sehr »teutsch« (deutsch wurde bis ins 19.Jahrhundert mit t
geschrieben) zu. Man glaubt sich nicht nur in die tiefste Provinz sondern auch um einige Jahrzehnte zurück versetzt.
Hier ist die Kirche noch im Dorf und der Musikverein spielt ausschließlich teutsche
Musik. Das ausdauernde Klingeln an einem zu lange geschlossenen Bahnübergang, um den Beamten zum Öffnen der Schranken zu bewegen, ist das
Rebellischste, was die teutschen Teutschenthaler zu bieten haben. Ansonsten herrscht Ruhe und Ordnung. Auch der Verlust der Arbeitsplatzes wird ruhig und
ordentlich hingenommen. Immerhin bekommt man zum Abschied ein teutsches Bergmannslied gesungen. Was will der Teutschenthaler mehr?
Auch Schultze und seine beiden Kumpels sind tief in dieser teutschen Biederkeit verwurzelt.
Sie putzen ihre Gartenzwerge, pflegen ihren Schrebergarten, angeln, trinken ihr Herrengedeck in der Dorfkneipe, spielen dort Skat und Polka im Musikverein.
Denn Schultze ist Musikant. Er spielt im Musikverein auf dem Akkordeon die Polka, die dort auch bereits sein Vater gespielt hat. Das erwarten seine
Mitmusikanten von ihm. Was würde letzten Endes sein Vater von ihm denken, wenn er noch lebte? So scheint in Teutschenthal alles in schönster
teutscher Ordnung zu sein, bis Schultze eines Abends das Radio anstellt. Dort hört er Akkordeonklänge, die so ganz anders sind als die
Teutschenthaler Polka. Die Melodie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf und schließlich beginnt er sie nachzuspielen. Es handelt sich um Cajun, Musik aus
dem US-Bundesstaat Louisiana, die aus einer Mischung von afrikanischen, französischen und Country-Elementen entstanden ist.
Die Ereignisse nehmen ihren Lauf, als Schultze auf dem Jubiläumsfest des Musikvereins
seine neue musikalische Errungenschaft vorführt. Außer seinen beiden Kumpels, deren Ehefrauen und einer nur kurz in Teutschenthal weilenden
Flamenco tanzenden Kneipenbedienung reagieren die Musikfreundinnen und -freunde ablehnend bis empört. »Negermusik« schallt es aus
dem Saal, was in ganz Teutschland schon immer das vernichtendste Urteile über Musik war, das bereits in den 20er Jahren über den Jazz
gefällt wurde. Schultzes Freundinnen und Freunde stoßen zwar ausdrücklich auf die »Negermusik« an, können die
Stimmung im Saal aber nicht wenden. Die Teutschenthaler Musikantinnen und Musikanten zeigen sich aber versöhnlich und schicken Schultze in die
Teutschenthaler Partnerstadt New Braunsfeld in Texas. Auf dem dortigen Musikfest geht es aber fast noch teutscher zu als in Teutschenthal. Es wird gejodelt und
Blasmusik gespielt und zum Schluss ertönt gar die teutsche Nationalhymne. Da wird es Schultze zu viel, er flieht mit einem Boot nach Louisiana, der
Heimat des Cajun. Trotz fehlender Englischkenntnisse kommt er gut zurecht, trifft nette Menschen unterschiedlicher Nationalität und schließlich
landet er auf einer Cajun-Party.
Der Film verbreitet einen melancholischen Optimismus. Trotz der dargestellten Tristesse zeigt
er mehrere Charaktere, die sich nicht unterkriegen lassen. An erster Stelle Schultze, dessen Vornamen wir nicht erfahren. Horst Krause, der bereits in Wir
können auch anders glänzte, ist auch in diesem Film als Darsteller des depressiven Frührentners Schultze nicht nur seinem Leibesumfang
nach gigantisch. Er spielt die wortkarge Figur sehr glaubwürdig und ohne jede Übertreibung. Krause ist Schultze. Seine Odyssee durch Amerika
ähnelt der Reise der Leningrad Cowboys in Kaurismäkis Leningrad Cowboys go America. Man sieht den unspektakulären, ländlichen
Teil der USA, der in Hollywood-Filmen meistens nicht zu sehen ist. Die Menschen stehen dabei im Mittelpunkt. Geredet wird nicht viel, Gesten reichen oft aus,
wenn dadurch auch ein schwerwiegendes Missverständnis entsteht.
Der Film fängt Stimmungen eher durch Bilder als durch Worte ein und das gelingt sehr
überzeugend. Ein paar Aufnahmen von Teutschenthal und seiner Umgebung und man weiß, wo man ist: In der tiefsten deutschen Provinz. Auch die
amerikanische Provinz wird ähnlich eingefangen, wirkt aber weniger deprimierend, weil sie für Schultze auf seinem Boot Befreiung aus der Enge, in
der er bisher gelebt hat, bedeutet.
Die letzte Szene ist die schönste, trotz ihres traurigen Hintergrundes. Teutschenthal hat
sich zum Besseren verändert und Schultze hat dazu beigetragen. Auch tiefster teutscher Biedersinn und Provinzialismus lassen sich besiegen, nicht nur in
Teutschenthal.
Andreas Bodden
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04