SoZSozialistische Zeitung |
Für einen Tag gabs in Bild einen Aussetzer. Die Armut in Deutschland wurde zum Titelthema. 650 Berufe gibt es
laut einer Aufstellung des Ministers für
Wertschöpfungsgemeinschaft
in Deutschland, wo legal und tariflich weniger als 6 Euro pro Stunde verdient wird, von den
illegalen und nichttariflichen Löhnen wurde noch geschwiegen. Der Spitzenplatz geht an einen von der IG Bau unterzeichneten Tarifvertrag in Sachsen,
nach dem ein Angestellter im Gartenbau 2,74 Euro Stundenlohn erhält. Laut Gerichtsurteil wären es ab 2,24 Euro pro Stunde illegaler Lohnwucher.
Für diesen Tarifvertrag »Wucher plus 50 Cent« hatte der IG-Bau-Vorsitzende Wiesenhügel auf dem Perspektivenkongress in Berlin
keine Erklärung, außer der, dass es »auch in den eigenen Reihen offensichtlich Pflaumen gibt«.
Der Niedriglohn als Stammtischthema wir danken Bild, auch wenn klar ist, dass der
Aussetzer zum Normalfall gehört, wie die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Schon einen Tag später gab es die
dieckmannschen Stinkbomben der üblichen Art. Eine »große Bild-Umfrage« hätte ergeben, dass drei Minister aus
Schröders Kabinett sofort abtreten müssten: Trittin, das war klar, dazu noch Ulla Schmidt und Stolpe.
Der beliebteste Minister bei der Umfrage war Otto Schily, »der härteste
Innenminister aller Zeiten«, der »entzückt lächelt, wenn die Kreissäge der Polizei leise schnurrend den Stahl durchtrennt, mit
dem sich ein Castor-Demonstrant an die Bahngleise gekettet hat«. Bild vermutet, dass die Wandlung vom Saulus zum Paulus bei Schily 1984 eintrat,
»als Schily zum ›Krawattenmann des Jahres‹ gewählt wurde«. Vielleicht, so vermuten jetzt wir, hat er eine seiner Krawatten
zu fest zugezogen und damit den Sauerstoffzufluss zum Hirn unterbrochen.
In einem Spiegel-Interview outet sich der senile Otto auf jeden Fall als reif für den
geschlossenen Vollzug. »Ich bin überzeugt, dass alle irgendwie verfügbaren Informationen viel stärker zentralisiert ausgewertet und
international … ausgetauscht werden müssen … Wir lernen auch daraus wieder, dass wir zum frühest möglichen Zeitpunkt aktiv
werden müssen. Wir müssen schon die Gewitterneigung erkennen und dürfen nicht erst handeln, wenn der Blitz einschlägt.« Da
klingt der alte Konterpart des 70er Jahre RAF-Anwalts Schily durch, der BKA-Chef Herold mit seiner »Sonnenstaats-Fantasie«, in der die Polizei
alles wissen müsse, um »vor dem Täter beim Tatort zu sein«. Und zur vorauseilenden Täterfestsetzung gehört
natürlich auch die einstweilige Erschießung.
»Wenn ihr den Tod so liebt, dann könnt ihr ihn haben«, bescheinigt Schily
»den Terroristen«. Das wäre natürlich keine Todesstrafe, sondern Notwehr, die im äußersten Fall auch die Tötung
einer Person rechtfertige. Aber man müsse zwischen Europa und dem Rest der Welt unterscheiden. Im eigenen Reich würde gegen die Terroristen
nur gekämpft werden, und da reiche der »finale Rettungsschuss«. Aber im Ausland darf es schon mal mehr als Kampf, nämlich Krieg
sein mit dem primären, präventiven Rettungsschuss als Regelfall. Und was tun mit den »Terroristen«, die nicht gleich
getötet werden können? Abschieben ist immer gut, und das sollte der Innenminister in wichtigen Fällen allein entscheiden. Bleibt als letztes
Problem, die Existenz von »gefährlichen Menschen« in dieser Gesellschaft, denen zwar nichts nachzuweisen wäre, die sich nichts zu
Schulden haben kommen lassen und sogar von Gerichten ausdrücklich freigesprochen wurden. Die müssen halt »für eine Weile in
Haft« genommen werden. Genau das hatte Schily vor wenigen Wochen noch als »den ersten Schritt in Richtung Guantánamo«
bezeichnet, aber: »Es hindert mich ja niemand, noch einmal nachzudenken. Wir müssen die Frage beantworten: Was tun wir, wenn wir
gefährliche Personen nicht außer Landes bringen können?«
»Jetzt sitzt Otto Schily«, so dichtet Bild, »wieder hinter Panzerglas, im
13.Stock seines Ministeriums am Berliner Spreebogen.« Er ist das vom deutschen Stammtisch so geliebte Paradebeispiel des wild
gewordenen Kleinbürgers, dem die Staatsräson inzwischen aus den Ohren quillt. Seinen Regierungsbunker lässt er sich im Übrigen von
jungen Wachleuten schützen. Sie erhalten laut Tarifvertrag knapp 5 Euro die Stunde. Vielleicht wäre es am besten, um den Lohnwucher vor der
Tür zu beenden, gleich den Innenminister davonzujagen.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04