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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 6

Weder Bürgerversicherung noch Kopfpauschale

Eine soziale Alternative in der Gesundheitsreform

Die aktuelle politische Diskussion über Modelle der Bürgerversicherung einerseits und Kopfpauschalen oder Gesundheitsprämien andererseits wurde im April letzten Jahres durch zwei Vorschläge aus der Rürup-Kommission zur langfristigen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgelöst. Seither transportiert die öffentliche Diskussion das Bild, dass wir es hier mit einer Richtungsalternative zu tun hätten, wobei die Bürgerversicherung sich grundsätzlich an Solidarität und sozialer Gerechtigkeit orientiere, während das Modell der Gesundheitsprämien die neoliberal inspirierte Option sei. Das Bild wird dadurch gestützt, dass sich um das Modell der Gesundheitsprämien ziemlich rasch ein Spektrum von CDU/CSU über die Arbeitgeberverbände bis hin zu radikalen neoliberalen Gruppierungen wie der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« sammelte, während die Bürgerversicherung von Rot- Grün und den Gewerkschaften unterstützt wird. Das Bild trifft jedoch nicht zu. Eine soziale und sozialstaatliche Alternative müsste anders aussehen.

Alle Mitglieder der Rürup-Kommission verfolgten das Ziel, die »Lohnzusatzkosten« zu begrenzen und die Bindung der Sozialversicherung an die Arbeitskosten zu lockern — ein Ziel, das sich aus den bekannten Gespensterdiskussionen um Globalisierung und Wettbewerbsfähigkeit, zu hohen Arbeitskosten und zu hohen Lohnnebenkosten herleitet und vorgibt, durch Senkung der Sozialversicherungsbeiträge einen Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung herbeizuführen. Die Kommission hatte den Auftrag, Vorschläge für die kurz- und langfristige Umsetzung dieser neoliberal inspirierten Strategie zu machen. All ihren Mitgliedern ging es darum, wie der Beitrag der Arbeitgeber zur Sozialversicherung im Allgemeinen und zur Gesetzlichen Krankenversicherung im Besonderen reduziert werden kann. Zu den gemeinsamen Grundsätzen der Kommissionsempfehlungen gehört denn auch die Orientierung auf mehr Markt und Wettbewerb im Gesundheitswesen und auf mehr Eigenverantwortung, will heißen: auf die Privatisierung von Krankheitsrisiken.
In kurzfristiger Perspektive hat die Kommission zunächst Sparoperationen in Form von Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen vorgeschlagen — also gezielte Mehrbelastungen für Kranke und Versicherte, wie sie im Wesentlichen mit der Gesundheitsreform ab dem 1.Januar auch umgesetzt wurden. Diese Gesundheitsreform hat bekanntlich drei Stufen:
1. ab 2004 massive Mehrbelastungen für Kranke,
2. ab 2005 Privatisierung der Kosten für Zahnersatz zulasten aller Versicherten,
3. ab 2006 Privatisierung der Kosten fürs Krankengeld — auch zulasten aller Versicherten.
Parteienübergreifender Konsens ist, dass damit der Arbeitgeberbeitrag bis 2007 auf 6% gedrückt wird, wie es die Arbeitgeberverbände seit langem fordern. Der Arbeitnehmerbeitrag steigt hingegen auf 7% — weil Zahnersatz und Krankengeld zusätzlich abgesichert werden müssen. Zusatzbelastungen der Kranken durch Leistungsausgrenzung und Zuzahlungen sind darin noch nicht enthalten.
Der Streit in der Rürup-Kommission zwischen Rürup und Lauterbach um die längerfristigen Finanzierungsmodelle ging nun darum, nicht ob, sondern auf welchem Wege der Rückzug der Arbeitgeber aus der Finanzierung nach 2007 fortgesetzt werden kann. Der zunächst gemeinsame Weg gabelte sich also in zwei verschiedene Pfade, die aber gleichwohl zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der gemeinsamen Ziele der Kommission führen — die Reduzierung der Arbeitskosten.

Rürups Gesundheitsprämie

Das Rürup-Modell der Kopfpauschalen oder Gesundheitsprämien sieht vor, die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung vollständig von den Arbeitskosten abzukoppeln und das Risiko künftiger Beitragssatzsteigerungen vollständig den Versicherten aufzuerlegen. Mit der Auszahlung des früheren Arbeitgeberbeitrags als Teil des Bruttolohns wäre das Thema Krankenversicherung für die Arbeitgeber damit ein für allemal erledigt.
Alle erwachsenen Versicherten sollen nach diesem Modell eine einkommensunabhängige Versicherungsprämie zahlen, die für alle Versicherten einer Kasse gleich hoch ist. Jede Kasse soll aber ihre eigene Prämie kalkulieren, damit die Kassen mit verschieden hohen Prämien konkurrieren können. Die Höhe der Prämie errechnet sich dabei grundsätzlich aus den durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben der jeweiligen Krankenkasse.
Für den Durchschnitt aller Kassen errechnete Rürup auf Basis der seinerzeit verfügbaren Werte zunächst eine Monatsprämie von 210 Euro, was 9,5% vom durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entsprechen soll. Dabei ist klar, das die Belastung um so höher ausfällt, je kleiner das Einkommen, und um so geringer, je höher das Einkommen ist.
Den Versicherungen soll zugleich ermöglicht werden, unterschiedliche Tarife anzubieten, um im Sinne von »mehr Eigenverantwortung« oder »Wahlfreiheit der Versicherten« zum Beispiel »Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten« zu setzen — also etwa Abschläge für die Teilnahme an Präventionsmaßnahmen oder die Übernahme bestimmter Risiken in »Eigenverantwortung«, oder Zuschläge für eine Absicherung, die über das sog. »medizinisch Notwendige« hinausgeht.
Rürup betont, dass sich die Krankenversicherung mit dem Modell strikt nach dem Äquivalenzprinzip richte, wie es in der privaten Versicherungswirtschaft gilt. Ein Anspruch auf einen gleichen Umfang von Leistungen setzt da eben eine gleich hohe Prämie voraus. Auch die Gesetzliche Krankenversicherung würde damit stärker nach Mechanismen funktionieren, wie sie bisher für die private Krankenversicherung gelten.
Innerhalb der Krankenversicherung findet kein Solidarausgleich zwischen ärmeren und reicheren Versicherten mehr statt. Weil die hohen Pro-Kopf-Prämien offensichtlich ohne sozialen Ausgleich zu sozialen Verwerfungen führen würden, die selbst für Neoliberale nicht diskutabel sind, sieht das Rürup-Modell vor, dass es einen steuerfinanzierten Ausgleich gibt, der die Belastungen für niedrige Einkommen begrenzt. Im Kommissionsbericht finden sich jedoch keine Angaben darüber, wie dieser Ausgleich aussehen soll, welches Volumen an Steuermitteln dafür erforderlich wäre und wie es aufgebracht werden soll.
Es gibt allerdings den Hinweis, dass dazu Steuermehreinnahmen eingesetzt werden sollen, die durch die Versteuerung der ausgezahlten früheren Arbeitgeberbeiträge entstehen. Wegen des erheblichen Umfangs der erforderlichen Steuermittel für den Ausgleich steht das Kopfpauschalenmodell im Verdacht des Utopischen. Anders ausgedrückt: Das Versprechen, dass es zu einem angemessenen sozialen Ausgleich kommen wird, der auch nicht vorrangig durch Steuererhöhungen zulasten unterer und mittlerer Einkommen gegenfinanziert wird, ist sehr wenig glaubwürdig.

Lauterbachs Bürgerversicherung

Auch der Gegenvorschlag von Lauterbach unter der Überschrift »Bürgerversicherung« zielt darauf, den Finanzbeitrag der Arbeitgeber zur Krankenversicherung zu senken und Arbeit billiger zu machen. Dazu will Lauterbach auf der Seite der Versicherten Mehreinnahmen erzielen, mit denen die Absenkung der Beiträge auf Arbeitnehmereinkommen, die für sich genommen paritätisch bleiben, gegenfinanziert wird. Anders ausgedrückt: das Beitragsaufkommen der Versicherten soll im Volumen steigen, damit das Beitragsaufkommen der Arbeitgeber sinken kann. Auch hier wird also der Grundsatz der paritätischen Finanzierung unter dem Strich aufgegeben.
Um bei den Versicherten mehr Geld einzunehmen, hat Lauterbach einige Vorschläge aufgegriffen, die zuvor meist eher im Lager derer verortet wurden, die für soziale Gerechtigkeit eintreten. Die Versicherungspflicht soll die gesamte Wohnbevölkerung und mit Blick auf die Beitragserhebung alle Erwerbstätigen erfassen. Die Versicherungspflichtgrenze entfällt. Auch Bezieher von Einkommen oberhalb der bisherigen Pflichtversicherungsgrenze von gegenwärtig 3450 Euro monatlich werden pflichtversichert, also auch Selbstständige, Manager, Beamte, Abgeordnete und Minister. Der Kreis der Beitragszahler würde dadurch um Personen mit höheren und hohen Einkommen und eher geringeren Risiken ausgeweitet.
Neben den Erwerbseinkommen sollen auch andere Einkommensarten der Versicherten in die Beitragspflicht einbezogen werden, z.B. Vermögenseinkommen aus Zinsen oder Dividenden oder aus Vermietung und Verpachtung. Der Versichertenbeitrag würde so nicht mehr allein auf das Erwerbseinkommen, sondern auf das effektive Einkommen erhoben. Dadurch kann im Prinzip mehr Belastungsgerechtigkeit zwischen Versicherten mit und ohne zusätzliche Vermögenseinkommen entstehen — allerdings nur im Einkommensbereich bis zur Beitragsbemessungsgrenze (heute 3450 Euro).
Der Beitragseinzug soll von den Finanzämtern vorgenommen werden, die dabei das steuerpflichtige Gesamteinkommen zu Grunde legen. Von den Finanzämtern sollen die Beiträge über den Risikostrukturausgleich an die einzelnen Kassen fließen. Die Mehreinnahmen aus der Verallgemeinerung des Versichertenkreises und der Verbeitragung aller Einkommensarten sollen kurzfristig eine Senkung des allgemeinen Beitragssatzes um 1,3%, und langfristig, wenn alle Erwerbstätigen einbezogen sind, um insgesamt 2% ermöglichen. Die Ausweitung des Versichertenkreises kann wegen des Vertrauensschutzes derjenigen, die zuvor schon privat versichert sind, nur schrittweise im Wege der Aufnahme von neuen Versicherten vollzogen werden.
Für den Zeitraum 2010—2030 schlägt Lauterbach eine schrittweise Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das in der Renten- und Arbeitslosenversicherung geltende Niveau vor, das sind heute 5100 Euro. Dabei weist er zum einen darauf hin, dass die mit einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze verbundene Mehrbelastung der Unternehmen durch die vorherige Senkung der Beitragssätze kompensiert wäre. Zum anderen erwartet er von den Beitragssatzsenkungseffekten der höheren Beitragsbemessungsgrenze eine Förderung von Unternehmen, die im Niedriglohnsektor tätig sind, mit Entgeltstrukturen, die sich insgesamt unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze bewegen. Bei den Versicherten kommt es zwar unterhalb dieser Grenze zu einer gerechteren Umverteilung von Beitragslasten. Aber die höheren, hohen und höchsten Erwerbs- und Vermögenseinkommen bleiben nach wie vor gänzlich außen vor.
Wie schon bisher sinkt bei den Einkommen oberhalb der angehobenen Beitragsbemessungsgrenze die Beitragsbelastung umso stärker, je höher das Einkommen ist — ein Mechanismus, der dem Gedanken einer solidarischen Finanzierung entsprechend der wirtschaftlichen Belastbarkeit grundsätzlich widerspricht. Daran will Lauterbachs Bürgerversicherung nichts ändern.
Der Wegfall der Versicherungspflichtgrenze bedeutet nicht etwa das Aus für die privaten Krankenversicherungen. Sie sollen zwar verpflichtet sein, auch im Bereich der Pflichtversicherung in gleicher Weise wie die gesetzlichen Kassen tätig zu werden. Darüber hinaus können sie aber auch weiterhin Zusatzversicherungen oder Leistungspakete mit erhöhtem Umfang anbieten. Und ihre Tätigkeit bleibt insgesamt auf Gewinnerwirtschaftung ausgerichtet.
Die Abgrenzung zwischen dem, was in den gesetzlichen Leistungsumfang fällt, und dem, was darüber hinaus als freiwillige Zusatzversicherung angeboten werden kann, liegt im Begriff des »medizinisch Notwendigen«. Der Auftrag der GKV bezieht sich ja schon bisher auf die Absicherung des »medizinisch Notwendigen«, nicht mehr und nicht weniger. Wie aber die Entwicklung des Leistungskatalogs in der Vergangenheit zeigt, unterliegt der Begriff des »medizinisch Notwendigen« der Definitionsmacht der Politik. Der ganze Kostenberg an Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen, der mittlerweile auf den Kranken lastet, zählt per Definition nicht zum »medizinisch Notwendigen«. Dieser politisch gestaltbare Begriff markiert auch bei Lauterbach die Grenze, jenseits derer das Privatgelände der privaten Versicherungswirtschaft liegt, auf dem sich nach wie vor die erste Klasse der Versicherten aufhält.
Die Abschaffung der Pflichtversicherungsgrenze bedeutet nicht nur nicht das Aus für die Privaten. Sondern dadurch entsteht erst ein einheitlicher Krankenversicherungsmarkt, auf dem dann die privaten und die bisherigen gesetzlichen Krankenversicherer zu gleichen Wettbewerbskonditionen gegeneinander konkurrieren. Bisher kann der Wettbewerb zwischen Privaten und Gesetzlichen nur um Versicherte mit Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze gehen. Mit Lauterbachs »Bürgerversicherung« ginge er für beide grundsätzlich um alle Versicherten. Der Wettbewerb zwischen den Privaten ist bisher begrenzt auf das Neukundengeschäft, weil bisher der bei einer privaten Versicherung aufgebaute Kapitalstock nicht zu einer anderen Privatversicherung mitgenommen werden kann (nicht »portabel«). Im Zusammenhang mit der Bürgerversicherung wird daher auch darüber diskutiert, wie die Portabilität von Kapitalstöcken hergestellt werden kann.
Unter dem Wettbewerbsdruck auf einem einheitlichen Markt wird es zu einer Angleichung von gesetzlichen und privaten Kassen kommen. Die Privaten werden den Gesetzlichen dadurch ähnlich, dass sie für alle auch die Absicherung zu den gesetzlichen Konditionen anbieten und dabei auf risikoabhängige Beiträge verzichten müssen. Die Beschränkung auf die risikoarme Klientel der Besserverdienenden entfällt. Die Gesetzlichen werden den Privaten dadurch ähnlich, dass sie sich im Wettbewerb zu behaupten haben. Das Gewicht unterschiedlicher Leistungspakete, Bonussysteme und anderer Wettbewerbsinstrumente nach dem Motto »mehr Wahlfreiheit« wird wachsen.
Es liegt auf der Hand, dass Rürups Prämienmodell gleichsam die radikale neoliberale Variante darstellt, Lauterbachs Bürgerversicherung die moderate. Bei Lauterbach bleibt der Ausgleich zwischen niedrigen und höheren Versicherteneinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze noch im Krankenversicherungssystem, statt mit zweifelhaften Versprechungen in die Steuertransfers ausgelagert zu werden. Und ein Schein paritätischer Finanzierung wird noch gewahrt, weil der Beitrag auf Arbeitsentgelte abhängig Beschäftigter weiterhin aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag besteht. Das Risiko von Beitragssatzsteigerungen wird nicht vollständig, sondern nur zu einem Teil auf die Versicherten überwälzt.
Allerdings unterscheiden sich beide Modelle auch hinsichtlich der Praktikabilität. Der radikale Systemwechsel zum Kopfpauschalensystem wäre ziemlich hochschwellig, insbesondere auch hinsichtlich der Akzeptanz in der Bevölkerung. Man könnte sagen, es handele sich heute noch um eine neoliberale Utopie. Die Bürgerversicherung wäre dagegen leichter umsetzbar, weil sie weitaus stärker an das bestehende System anknüpft. Unter Akzeptanzgesichtspunkten würde der Umstieg umso leichter werden, je mehr die Gesundheitsprämie als unsoziale Bedrohung wahrgenommen wird.

Eine soziale Alternative

Beide Konzepte stellen tatsächlich nur zwei Wege zum gleichen vorrangigen Ziel der weitergehenden Entlastung der Arbeitgeber dar. Was könnten nun Eckpunkte eines Konzepts sein — ich nenne es mal »Bürgerversicherung Plus«, das stattdessen Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit und der Sozialstaatlichkeit Rechnung trägt?
Erstens müsste eine solche Konzeption maßgeblich auf eine Erneuerung der paritätischen Finanzierung zielen. Der Grundsatz der Parität ist nicht irgendwas. Es handelt sich immerhin um einen unmittelbaren Ausfluss des Verfassungsgrundsatzes von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Zu den Grundsätzen des »rheinischen« Sozialstaats zählte eben, dass die Kapitalseite zur Hälfte für die Finanzierung von sozialer Sicherheit gegenüber den großen Lebensrisiken zuständig ist. Wenn also zur Stärkung der Finanzbasis der Gesetzlichen Krankenversicherung durch die Verbeitragung aller Markteinkommen — auch der Vermögenseinkommen — Mehreinnahmen auf Seiten der Versicherten erzielt werden, muss es andererseits einen zusätzlichen Beitrag der Kapitalseite geben. Nur dadurch kann erreicht werden, dass das Risiko künftiger Beitragssatzsteigerungen nicht überwiegend bei den Versicherten landet.
Dazu wäre eine ergänzende Wertschöpfungsabgabe der Unternehmen einzuführen, die als Beitrag von der betrieblichen Bruttowertschöpfung erhoben wird. Das wäre gleichsam auch eine Kompensation dafür, dass die Dauerkrise der Finanzierung der GKV letztlich darauf zurückzuführen ist, dass die beitragspflichtige Entgeltsumme seit über einem Vierteljahrhundert sinkt, während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen spiegelbildlich steigen — wegen Massenerwerbslosigkeit, zunehmender prekärer Beschäftigung und zurückbleibender Entwicklung der Tarifentgelte. Ein solcher ergänzender Beitrag der Wirtschaft ist bereits in den späten 70er Jahren unter dem Begriff »Maschinensteuer« diskutiert worden.
Zweitens muss der Grundsatz der Belastungsgerechtigkeit und der Solidarität bei der Beitragserhebung konsequent zum Tragen kommen. Dazu wäre neben der Verbeitragung von Vermögenseinkommen auch eine schrittweise Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze vorzusehen. Auch hohe und höchste Einkommen sind mit dem gleichen Prozentsatz wie die untersten sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmereinkommen zu beteiligen. Der erste Schritt wäre die sofortige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Renten- und Arbeitslosenversicherung, aber dabei darf es nicht stehen bleiben. Auch in den anderen Zweigen der Sozialversicherung ist die Beitragsbemessungsgrenze ein sachlich nicht begründbarer Bruch mit dem Solidarprinzip — gleichsam eine Solidaritätsfluchtgrenze.
Drittens muss sichergestellt werden, dass die Mehreinnahmen, die der Krankenversicherung zufließen, vorrangig für Leistungsverbesserungen eingesetzt werden. Für Leistungsverbesserungen, die den umfassenden und gleichen Versicherungsschutz für alle sicherstellen, ohne Naturschutzgebiete für Privatversicherer. Da geht es darum,
dass die einseitigen Kostenabwälzungen auf Kranke (in Gestalt von Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen) sowie auf Versicherte (Zahnersatz, Krankengeld und volle Beitragsbelastung von Rentnern) zurück genommen werden;
dass seit langem beklagte Lücken im Leistungskatalog geschlossen werden — etwa in der Suchtkrankenhilfe, der häuslichen Krankenpflege oder der ambulanten psychiatrischen Versorgung;
insbesondere geht es um Investitionen auf breiter Front in Prävention und Gesundheitsförderung. Soweit dann noch Mittel frei bleiben, können sie nachrangig zur Senkung des Beitragssatzes eingesetzt werden.
Viertens sollte die Vorstellung der gesetzlichen Krankenversicherung als kapitalistischer Wettbewerbsmarkt grundsätzlich abgelehnt werden. Warum sollen Hunderte von Krankenversicherungsträgern in einen Wettbewerb gegeneinander getrieben werden, dessen zerstörerische Dynamik über ein kompliziertes System des Risikostrukturausgleichs gleichsam nachsorgend eingehegt werden muss?
Wäre es nicht bedeutend sinnvoller, Marketingkosten und Verwaltungskosten dadurch zu reduzieren, dass Kurs auf die Schaffung eines einheitlichen Trägers der Gesetzlichen Krankenversicherung genommen wird, wie das bei der Arbeitslosenversicherung schon immer war und wie es gegenwärtig bei der Gesetzlichen Rentenversicherung entwickelt wird?
Eine »Bürgerversicherung Plus« mit den vorgenannten Eckpunkten wäre eine soziale Richtungsalternative — sowohl zur Vorstellung der Gesundheitsprämie als auch zu den Bürgerversicherungskonzepten, wie sie bisher diskutiert werden.

Daniel Kreutz

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