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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 12

Die Rolle von IWF und Weltbank

Rwanda — 10 Jahre nach dem Völkermord

Vor zehn Jahren, am 6.April 1994, wurden in Rwanda über eine Million Menschen in einem drei Monate andauernden Blutbad massakriert. Die Toten waren hauptsächlich Angehörige der ethnischen Minderheit der Tutsi, die etwa 14% der damals 8 Millionen zählenden Bevölkerung des ostafrikanischen Landes ausmachten.
Während die verderbliche Rolle der westlichen Regierungen sowie die Unfähigkeit der UNO, das Morden zu stoppen, in progressiven Kreisen anerkannt ist, ist die zentrale Rolle der wichtigsten internationalen Finanziers des Habyarimana-Regimes — IWF und Weltbank — kaum bekannt. Eric Toussaint enthüllt die von den internationalen Finanzinstitutionen damals diktierte Politik und wie sie den Prozess beschleunigte, der zum Genozid führte.
Die Geschichte Rwandas wäre nicht vollständig ohne eine Untersuchung der Rolle der internationalen Geldgeber. Als in den frühen 80er Jahren die Schuldenkrise der Entwicklungsländer ausbrach, ließen IWF und Weltbank ihre Politik der aktiven Darlehen plötzlich fallen und begannen stattdessen, Austerität zu predigen. Überall, doch nicht in Rwanda.
Als Washington begann, große Summen auszuleihen, war das Land extrem gering verschuldet. Rwandas Auslandsverschuldung stieg von 1976 bis 1994 um das 20-fache, von 49 Millionen auf mehr als eine Milliarde Dollar. Der größte Teil dieser Zunahme fand nach 1982 statt.
Die Anleihen erfolgten mit der klaren Zielsetzung, Rwanda vollständig in die globale Ökonomie einzugliedern, indem es ermutigt wurde, seine Kapazitäten beim Export von Kaffee, Tee und Zinn zulasten der für den heimischen Gebrauch bestimmten Anbaufrüchte auszubauen. Ein bedeutender Teil der Exportgewinne und Darlehen landete in den Taschen des Habyarimana-Regimes.
Doch die wachsende Abhängigkeit vom Weltmarkt führte Mitte der 80er Jahre, als die Preise auf dem Weltmarkt zusammenbrachen, rasch zum Verfall. Als die USA dann noch Anfang der 90er Jahre das Kaffeekartell aufbrachen, verlor Rwandas Wirtschaft ihre Hauptdevisenquelle, was zum Ruin der Wirtschaft führte. Die Exportgewinne gingen von 1987 bis 1991 um 50% zurück, und auf dem Lande traten Hungersnöte auf.
Nach dem Zusammenbruch der Kaffee- und Zinnpreise beruhte die persönliche Bereicherung der rwandischen Elite zunehmend auf der Veruntreuung von Auslandshilfen. Einige Wochen, bevor die von den Tutsi geführte RPF ihre Offensive im Oktober 1990 lancierte, stimmten die rwandischen Behörden der Durchführung eines Strukturanpassungsprogramms (SAP) von IWF und Weltbank zu, das ab November greifen sollte.
Zu den ersten Maßnahmen gehörte eine 67%ige Abwertung des rwandischen Franc. Im Gegenzug bot der IWF rasch auszahlbare Darlehen, um das Land zu befähigen, den Fluss von Importen aufrechtzuerhalten. Das führte zu einem kometenhaften Anstieg der Preise für Importgüter — die Benzinpreise verdoppelten sich beinahe. In Übereinstimmung mit den SAP- Bedingungen wurden die öffentlichen Ausgaben durch Einfrieren der Löhne und Entlassungen im öffentlichen Sektor gekürzt. Diese Einsparungen wie auch die Gewinne aus dem Verkauf importierter Güter auf dem heimischen Markt wurden in die Besoldung der Armee umgeleitet.
Auch die Militärausgaben, die sich zwischen 1990 und 1992 verdreifachten, wurden unmittelbar durch IWF/
Weltbank-Anleihen finanziert. Dank eines mangelhaften Systems der Buchhaltung, das es Rwanda ermöglichte, für importierte Güter alte Rechnungen zu präsentieren, konnte das Regime den massiven Kauf der Waffen finanzieren, die später für den Genozid eingesetzt wurden.
Von 1990 bis 1994 waren Rwandas Hauptwaffenlieferanten Frankreich, Belgien, Südafrika, Ägypten und China. China lieferte u.a. 500000 Macheten. Ägypten — dessen für afrikanische Angelegenheiten zuständiger Außenminister war damals niemand anderer als Boutros Boutros-Ghali — gewährte Rwanda 1991 einen zinslosen Kredit über 6 Millionen Dollar, um Waffen für seine Infanteriedivisionen zu kaufen. Noch als der Völkermord im Gange war, lieferten Frankreich und die britische Firma Mil- Tec über den Flughafen Goma in Zaire, nahe der Grenze zu Rwanda, Waffen an die marodierende Armee. Damit verstießen sie gegen das von der UNO am 11.Mai 1994 gegen Rwanda verhängte Waffenembargo.
IWF und Weltbank entsandten in dieser Zeit mehrere Expertendelegationen, die vor allem, wie vorauszusehen war, die positiven Züge der Sparpolitik des Habyarimana-Regimes hervorhoben. Sie drohten allerdings auch, die Kredite zu sperren, wenn die Militärausgaben weiter anstiegen. Die rwandischen Behörden fanden Auswege. Für die Armee importierte Lkw wurden auf das Konto des Verkehrsministeriums gebucht, ein bedeutender Teil des für die Miliz und die Armeefahrzeuge vorgesehenen Kraftstoffs auf das Konto des Gesundheitsministeriums, usw.
Als IWF und Weltbank die Kreditvergabe schließlich Anfang 1993 einstellten, versäumten sie, die großen Geldsummen auf ausländischen Bankkonten einzufrieren, von denen das Regime seine Waffenkäufe bezahlte. Auf diese Weise unterließen sie es, die Verwendung der verliehenen Gelder zu überwachen, obwohl sie dazu verpflichtet waren. Sie hätten bereits Anfang 1992 die Kreditvergabe stoppen müssen, als klar wurde, dass die Gelder für militärische Ausgaben verwendet wurden. Sie hätten die UNO alarmieren müssen.
Seit 1991 hatten Menschenrechtsorganisationen über Massaker berichtet, die dem Völkermord vorangingen. Durch fortgesetzte Finanzierung bis 1993 halfen IWF und Weltbank systematisch der Diktatur, diesen Genozid vorzubereiten. Sie taten dies, weil das Regime ein Verbündeter der USA, Frankreichs und Belgiens war.

Verelendung

Für die Durchführung des Genozids bedurfte es allerdings mehr als nur eines Plans und militärischer Ausrüstung. Es bedurfte auch einer verarmten, verzweifelten Bevölkerung, die bereit war, das Unvermeidliche zu tun. Zwischen 1982 und 1994 erlitt die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung — die große Mehrheit der Gesamtbevölkerung — eine solche Verelendung.
Während die Importpreise nach oben schnellten, wurden die Preise, zu denen die lokalen Bauern den Kaffee verkauften, eingefroren. Verarmte Kaffeebauern und die ärmsten Sektoren der städtischen Bevölkerung wurden zu einem permanenten Rekrutierungsreservoir der Armee und der Interahamwe, der extremistischen Jugendmiliz der Diktatur. Ein winziger Teil der Bevölkerung wurde jedoch ungeheuer reich. Noch 1982 bezogen die wohlhabendsten 10% der Bevölkerung 20% der ländlichen Einkommen; 1992 waren dies 41% und Anfang 1994 51%.
Die katastrophalen sozialen Auswirkungen der von IWF und Weltbank diktierten Politik und der Kollaps der Kaffeepreise auf dem Weltmarkt spielten eine zentrale Rolle für die rwandische Krise. Das Habyarimana-Regime vermochte es, die massive soziale Unzufriedenheit für seine Völkermordpläne zu instrumentalisieren.

Nach dem Genozid

Auch nach dem Sturz der Diktatur im Juli 1994 und trotz der vollständigen Kenntnis dessen, was geschehen ist, haben die westlichen Regierungen und die Washingtoner Institutionen ihre zerstörerische Politik in Rwanda fortgesetzt, als ob nichts geschehen wäre.
Einige der zentralen Anführer des Völkermords wurden vom französischen Staatspräsidenten empfangen; mit Unterstützung der französischen Armee wurde die Zentrale der rwandischen Nationalbank in Goma errichtet. Bis August 1994 gab die Bank Fonds aus, um die Schulden aus vorangegangenen Waffenkäufen zu begleichen und neue Waffen zu kaufen. Privatbanken (u.a. Belgolaise, Générale de Banque, BNP und Dresdner Bank) akzeptierten Zahlungsanweisungen von für den Völkermord verantwortlichen Personen und zahlten die aus, die ihn finanziert hatten.
1994 erreichte Rwandas Auslandsverschuldung nahezu 1 Milliarde Dollar — auch juristisch gesehen eine verbrecherische Schuldenlast, die von einem despotischen Regime aufgehäuft wurde, um die eigene Macht zu stärken und die Bevölkerung zu unterdrücken. Dementsprechend müsste die neue rwandische Regierung von der Rückzahlung vollständig befreit werden — wie es kürzlich die USA in Bezug auf den Irak nach Saddam vorgeschlagen haben.
Doch IWF und Weltbank verweigern sich dem ohne die geringste Rechtfertigung und drohen mit der Streichung jedweder Unterstützung, sollte die neue Regierung darauf bestehen. Stattdessen haben sie neue Kredite angeboten und versprochen, künftige Schulden zu streichen, wenn Rwanda über die Unterstützung des Habyarimana-Regimes durch die internationalen Finanzinstitutionen Stillschweigen bewahrt.
Washington forderte auch, dass die neue rwandische Regierung die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Sektor auf die Hälfte dessen, was vor dem Völkermord vereinbart worden war, reduziert. Leider hat die neue Regierung dem zugestimmt.
Die Konsequenzen sind verheerend: fortgesetzte »Strukturanpassung« mit schlimmen sozialen und wirtschaftlichen Folgen sowie eine weitere Zunahme der Auslandsverschuldung. Hilfen, die anfänglich die USA und Belgien leisteten, gingen für die Rückzahlung der Schulden des Habyarimana-Regimes an die Weltbank drauf. Seitdem ist kaum noch westliche Finanzhilfe ins Land geflossen, trotz der Dringlichkeit, die Infrastruktur wieder aufzubauen und für die über 800000 Flüchtlinge zu sorgen, die sich seit November 1996 in Rwanda aufhalten.
Die landwirtschaftliche und industrielle Produktion hat noch nicht den Stand von vor dem Genozid erreicht. 1996 schätzte die Weltbank, dass 85—95% der rwandischen Bevölkerung unterhalb der Schwelle absoluter Armut leben. Die Zahl der von Frauen geführten Haushalte hat erheblich zugenommen: von 21,7% vor dem Völkermord auf 29,3% heute, mit Spitzenwerten von 40% in manchen Regionen. Ihre Situation ist besonders beunruhigend, da Frauen bei Erbschaften, beim Zugang zu Krediten und bei Eigentumsrechten massiv diskriminiert werden. Auch vor dem Genozid verdienten 35% der Frauen, die Haushaltsvorstände waren, weniger als 5000 Rwandische Francs (etwa 17 Euro) im Monat (gegen 22% der Männer). Nur 65% der Kinder besuchen eine Grund- oder Hauptschule, nur 8% eine höhere Schule. Schließlich bleiben trotz hoher Adoptionsraten wegen der tödlichen Mischung von Genozid und AIDS 95000—150000 Waisen ohne Familie.
In den Augen der Weltbank, des IWF und der Regierungen der Gläubigerländer hat die rwandische Regierung den Status des »Musterschülers« erworben. Seit August 1998 unterstützt sie die anglo-amerikanischen Bemühungen, die benachbarte Demokratische Republik Kongo durch Beteiligung an der militärischen Besetzung und der Ausplünderung ihrer natürlichen Ressourcen zu schwächen. Doch die verbrecherische Schuld von 1 Milliarde Dollar aus 1994 ist mittlerweile um 15% angewachsen, obwohl Rwanda in den vergangenen 14 Jahren »Strukturanpassungsprogramme« durchgeführt hat. Der IWF und die Weltbank halten zusammen neun Zehntel dieser Schuld.
Zehn Jahre nach dem Völkermord ist es höchste Zeit, dass die Bevölkerung Rwandas von der Schuldenlast und der Diktatur der Institutionen von Bretton Woods befreit wird.

Eric Toussaint

Der Autor ist Vorsitzender des CADTM (Komitee für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt) und Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums. Er ist u.a. Autor von Profit oder Leben. Neoliberale Offensive und internationale Schuldenkrise (Köln: Neuer ISP-Verlag, 2000). (Übersetzung: Hans-Günter Mull.)


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