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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 14

Die ÖDP in der Türkei

Ende eines noch nicht begonnenen Traums

Die Linke in der Türkei, die mit dem Militärputsch vom 12.September 1980 eine schwere Niederlage erlitten hatte, hat erst nach zehn Jahren Pause versucht, mit den Übriggebliebenen einen neuen Weg zu beschreiten.
Nach den nicht sehr fruchtbaren Diskussionen Anfang der 90er Jahre gelang es bei den Kommunalwahlen 1994 eine Einheit von radikalen Linken bis zu Moskauorientierten Linken herzustellen. Die daraus entstandene Vereinigte Sozialistische Partei (BSP) erzielte bei den Kommunalwahlen, die sie ohne Vorbereitung bestritt, 0,3% der Stimmen und wurde gestärkt.
Eine parallele Entwicklung zur BSP war die »Initiative für eine Gemeinsame Gestaltung der Zukunft«, die mehrheitlich von der alten Organisation Dev Yol (Revolutionärer Weg) getragen war. Beide Initiativen beschlossen schließlich den Zusammenschluss. Im Januar 1996 wurde dann die ÖDP (Partei der Freiheit und Solidarität), gegründet.
Die große Mehrheit der Bevölkerung hatte nach den Wahlen von 1995, wo eine konservative und eine islamistische Partei an die Macht kamen, erhebliche Zukunftsangst. Die ÖDP hatte in dieser Zeit die Führung von einer breiten Protestbewegung übernommen. Ein Beispiel ist der 1.Mai 1996, wo die ÖDP in der Gesamttürkei nur 10000 Mitglieder hatte, aber in Istanbul 11000 Demonstranten mobilisieren konnte. Einige Monate später, am 28.Februar 1997, als die Armee der Regierung ein Ultimatum stellte, hatte die ÖDP mit ihrer Kampagne »Weder die Armee, noch die Regierung« die Aufmerksamkeit der Massen gewonnen. Andererseits haben viele die Einmischung der Armee, die auch »der sanfte Putsch vom 28.Februar« genannt wird, als eine Garantie gegen die Islamisierung der Türkei nach dem Modell Irans oder Algeriens verstanden und für gut gefunden. Diese Ansicht verbreitete sich auch unter den Intellektuellen, wo die ÖDP ihre Wählerschicht hatte. Die oben erwähnten Entwicklungen und die größten Demonstrationen nach dem 12.September waren auch in dieser Zeit.
Trotz dieser Erfolge hat die Partei sich nicht etablieren und aufbauen können. Ihre Politik beschränkt sich aufs Reagieren und nicht aufs Intervenieren. Die kleinen oder großen Gruppierungen in der Partei haben sich nicht in der Erneuerung wiedergefunden und sich nur auf ihre Vergangenheit bezogen. Es gab in diesen zwei aktiven Jahren keine ernst zu nehmende politische oder programmatische Diskussion. Die ÖDP hatte ein Dilemma: Sie war beliebt bei den Massen, konnte dies aber nicht in eine aktive, wachsende Mitgliedschaft ummünzen. Dafür kamen die alten Verkrustungen ans Tageslicht und brachten die alten Probleme mit sich.
Die nächsten zwei Jahre waren gezeichnet von kleinen oder großen Spaltungen in den verschiedenen Gruppierungen der Partei, die eine allgemeine Tendenz für die Partei waren, die sich somit nicht wirklich erneuern konnte. Dies zeigte, dass die erste Spaltung kein einfaches inneres Problem war, sondern das Ergebnis des Mangels an echter Erneuerung der Partei.
Die Stagnationszeit, in der die Partei weder sich neu formieren noch erneuern konnte, dauerte vom Oktober 1997 bis zu den Parlamentswahlen im April 1999. Es gab vor den Wahlen nur eine große Meinungsverschiedenheit, die sich auf ein mögliches Wahlbündnis bezog.
Bei den Wahlen vom April 1999 waren einige unbedingt für ein Wahlbündnis mit HADEP. Der Hintergedanke war, dass eine unabhängige sozialistische Alternative, zumindest in kürzerer Perspektive, keine Alternative darstellte. Um ihren Vorschlag zu untermauern, behaupteten sie, dass die Mehrheit der Partei ein Bündnis mit der Republikanischen Volkspartei (CHP) erzwingen wollte.
In dieser Atmosphäre war die eigene Kandidatur gar nicht gut vorbereitet und das Ergebnis spiegelte diese Spaltung wieder: Die ÖDP bestritt die Wahlen allein und erzielte 0,8% der Stimmen. Dass sie unter 1% blieb, hatte die Partei unerwartet getroffen und der innerparteiliche Kampf tobte.
Der dritte Parteitag Anfang 2000 zeigte die ersten Auflösungserscheinungen: Von 30000 registrierten Mitgliedern war knapp über die Hälfte stimmberechtigt, die anderen hatten keine statutengemäßen Beiträge gezahlt. Eine Spaltung erwies sich als unvermeidlich und die Gründe wurden an der kurdischen Frage und der Frage der EU-Mitgliedschaft deutlich.
Die Gruppe, die die kurdische Frage als Hauptproblem sah, beschuldigte die Mehrheit der Befürwortung der EU und entwickelte dagegen eine Politik auf der »asiatischen Achse«. Die anderen, die sich an der Klassenfrage orientierten, waren für ein »Europa der Werktätigen«. Der Aufruf des HADEP-Vorsitzenden, der in dem Kongress eine Rede hielt, zu einer Art »Partei der Türkei«, das heißt zu einer anderen Partei, trieb die inneren Unruhen auf die Spitze.
So endete dieser Kongress praktisch mit einer Spaltung, auch wenn sie formell erst später vollzogen wurde. Heute gibt es kleine oder große Gruppierungen und eine von den Ex-ÖDP-Mitgliedern gegründete Partei. Dieser Kongress zeigte aber letztendlich, dass die Partei nicht eine Einheit darstellte, sondern die alten Spaltungen fortführte.
Wenn man eine Bilanz der ÖDP zieht, darf man nicht vergessen, dass in der Türkei keine sozialdemokratische Tradition im europäischen Sinne vorhanden ist. Die kurdische Bewegung hat seit der Verhaftung von Abdullah Öcalan ihre Radikalität und bei den letzten Wahlen zum ersten Mal ihre Wähler verloren. Die Antikriegsbewegung, die in vielen Ländern der Welt die Jugendlichen radikalisiert hat, hat in der Türkei keinen Einfluss gehabt. Trotz der Verarmung und Entrechtung sehen die Massen die Linken nicht als Alternative, sondern die liberalen Islamisten, besonders wegen ihrer ihnen nicht zugetrauten konsequenten Anpassung an die neue Weltordnung und ihrer EU- Orientierung.
Weder die linksliberale noch die sozialistische Linke ist in der Lage, sich zu erneuern. Sie braucht einen langen Prozess, um sich in der Gesellschaft zu verwurzeln. Dabei müssten die vergessenen Erfahrungen mit den neuen Bewegungen in Verbindung gebracht werden. Dies ist die neue Aufgabe der Linken.

Masis Kürkcügil

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