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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 18

Klimakatastrophe

Die Welt auf dünnem Eis

Hollywoods jüngster Blockbuster, The Day After Tomorrow, hat »skeptische« Wissenschaftler im Sold der Energiekonzerne bewogen, eine Menge heiße Luft abzulassen.
Die industriefreundlichen Wissenschaftler fürchten, dass der Film die Aufmerksamkeit auf die sehr realen Gefahren der industriell verursachten globalen Erwärmung lenken könnte. Sie fürchten auch, dass das Ausmaß der Verantwortung ihrer Geldgeber und der Regierungen der reichen Länder für diese Krise offen gelegt wird.
Diesen »Skeptikern« wurde in den Filmbesprechungen der Medienkonzerne viel Platz eingeräumt. Die Rezensionen stürzen sich auf die karikierendsten Elemente des Films, um ihn zu entlarven, aber ihr eigentliches Ziel ist, die erschreckenden Wahrheit herunterzuspielen, die den Kern des Films ausmacht: Die globale Erwärmung ist eine Realität, es wird rasch schlimmer, und es müssen jetzt auf internationaler Ebene politische Maßnahmen ergriffen werden, wenn die schrecklichen und nicht vorhersehbaren Folgen vermieden werden sollen.
Der wissenschaftlich lächerlichste Aspekt des Films ist die zeitliche Abfolge, nach der die von der globalen Erwärmung ausgelöste Katastrophe abläuft. Die Eiskappen der Pole schmelzen, überfluten die Ozeane mit Süßwasser und bringen unmittelbar die ozeanischen Ströme zum Erliegen, die Europa und die Ostküste der USA erwärmen.
Tsunamiwellen schlagen über Sydney und New York herein. Ein globaler Megasturm bricht los und führt extrem abgekühlte Luft aus dem oberen Bereich der Atmosphäre auf die Oberfläche der Erde. Nordamerika friert rasch zu, in Neu-Delhi schneit es, und auf Tokyo gehen riesige Hagelklumpen herunter, während Tornados Los Angeles verwüsten. Innerhalb von zwei Wochen bricht auf der Nordhalbkugel eine neue Eiszeit herein (einziger Trost: der US-Präsident und die britische königliche Familie verwandeln sich in Eis am Stiel).

Treibhauseffekt geleugnet

Zu den häufig zitierten Skeptikern gehört Robert Balling, der Leiter der Abteilung für Klimakunde an der staatlichen Universität von Arizona. »Derselbe Typ [Regisseur Roland Emmerich] erzählte uns [in Independence Day] von einer Invasion von Aliens aus dem Weltraum«, machte sich Balling, der sich gegen Katastrophenszenarien ausspricht, über den Film lustig. »Nachdem ich Godzilla gesehen habe, habe ich auch nicht an meiner Hintertür nachgeschaut, ob eine Riesenechse in mein Haus eindringt«, spöttelte Balling in einem am 23.Mai in verschiedenen Zeitungen Kaliforniens erschienenen Artikel. »Dieser Film gehört in dieselbe Kategorie. Es ist Science Fiction.«
Balling nannte in The Satanic Gases: Clearing the Air about Global Warming den Klimawandel »eine drastisch übertriebene Gefahr, deren vorgeschlagene Lösungen schlimmer sind als das Problem«. Das Buch verfasste er im Jahr 2000 zusammen mit Patrick Michaels, einem Professor für Umweltfragen an der Universität von Virginia und Mitglied des politisch weit rechts angesiedelten Cato-Instituts. Michaels ist eine führende Leuchte in der kleinen, verschworenen Welt der Leugner des Treibhauseffekts, die von der Industrie finanziert werden. In der Werbung für das Buch wird die von Menschen verursachte globale Erwärmung als »Mythos« bezeichnet.
Kommentare in den Big-Business-Medien über The Day After Tomorrow stützen sich regelmäßig auf Michaels. Weitere Vertreter dieser Clique bezahlter Leugner des Treibhauseffekts, die regelmäßig aufgeboten werden, sind Sallie Baliunas und verschiedene Sprecher des gegen das Kyoto-Protokoll gerichteten Competitiveness Enterprise Institute.
Es ist wohl richtig, dass die durch Spezialeffekte hervorgerufenen Übertreibungen von The Day After Tomorrow der Propaganda der Leugner des Treibhauseffekts Munition liefern. Doch es sind deren Argumente gegen die Notwendigkeit durchgreifender internationaler Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung, die wahrlich Schöpfungen von Science Fiction sind.

Rasche globale Erwärmung

Die Konzentration von Treibhausgasen — vor allem Kohlendioxid (CO2) aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe sowie die Emission von Methan, Kohlenwasserstoff, Stickstoffoxiden und Wasserdampf — steigt in der Atmosphäre rasch an, diese Gase binden Wärme und verursachen so die globale Erwärmung.
Im Jahre 2001 warnten 2500 Wissenschaftler aus etwa 100 Ländern, die das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bilden, davor, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um 1,4—5,8°C steigen wird, wenn der Anteil an Treibhausgas nicht stabilisiert wird. Um eine Stabilisierung zu erreichen, müsste die Gesamtheit der Emissionen an Treibhausgasen innerhalb eines Zeitraums von 25 Jahren um mindestens 60% gesenkt werden. Jede geringere Reduzierung wird die globale Erwärmung nicht unter Kontrolle bringen.
Studien, die seitdem gemacht wurden, deuten an, dass das IPCC die Erwärmung womöglich noch unterschätzt. Im April 2002 erklärten Forscher an der Universität Bern, dass die Erdtemperatur mit 40%iger Wahrscheinlichkeit im Jahre 2100 höher sein wird als vom IPCC geschätzt.
Gleichzeitig kamen Wissenschaftler des englischen Hadley Centre for Climate Prediction and Research zur Auffassung, dass es bis 2080 in Großbritannien zu einem Temperaturanstieg von 7—8°C kommen könnte, weil die durch das wärmere Wetter und die geringeren Niederschläge abgestorbenen Bäume und sonstigen Pflanzen zusätzliches CO2 freisetzten und eine größere Anzahl von Warmwettermikroben im Erdboden ebenfalls mehr CO2 produzierten.
Die Durchschnittstemperatur der Atmosphäre war im Jahre 1998 die wärmste, seitdem man in den 1860er Jahren mit den Aufzeichnungen begonnen hatte — so die World Metereological Organization (WMO) der UNO. Das zweitheißeste Jahr war 2002, gefolgt von 2003 und 2001. Die globale Durchschnittstemperatur liegt um 0,6°C höher als gegen Ende des 19. Jahrhunderts, was hauptsächlich der Industrie geschuldet ist. 17 der 18 wärmsten Jahre fielen in die Zeit nach 1980, 10 davon in die Zeit nach 1990. »In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Erwärmung eindeutig beschleunigt«, so Kenneth Davidson (WMO) auf einer Pressekonferenz im Dezember 2002. »Die Zuwachsrate ist beispiellos für die letzten tausend Jahre.«
Die Temperaturänderungen spiegeln Änderungen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre wider. Laut den Zahlen des IPCC wird der CO2-Anteil in der Luft auf 650 bis 970 Teilen pro Million (ppm) steigen, wenn der Entwicklung nicht Einhalt geboten wird. Doch auch diese Schätzungen könnten sich als zu zurückhaltend herausstellen.
Am 20.März berichtete AP, Wissenschaftler am Mauna-Loa-Observatorium von Hawaii hätten die bisher höchsten CO2-Anteile in der Luft gemessen. Zehntausend Jahre vor der Industrialisierung betrug diese Konzentration etwa 280 ppm. Am 19.März 2004 erreichte sie die Rekordhöhe von 379 ppm, verglichen mit 376 ppm 2003 und 373 ppm 2002. Die Zuwachsrate ist nahezu doppelt so hoch wie im Durchschnitt des vergegangenen Jahrzehnts (1,8 ppm) und dreimal zu hoch wie in den 50er Jahren. Die derzeitige CO2-Konzentration ist die höchste in den vergangenen 420000 Jahren.
Der IPCC sagt einen graduellen Anstieg des Meeresspiegels voraus. Aufgrund der Erwärmung der Ozeane und der Gletscherschmelze soll der Meeresspiegel um 0,2 bis 1 Meter ansteigen, wenn die Treibhausemissionen nicht drastisch reduziert werden. Diese Zahlen setzen allerdings voraus, dass die Eiskappen der Polarregionen weitgehend intakt bleiben.
So verheerend dieses Szenario auch sein würde — mit ausgedehnten Überflutungen, extremeren Stürmen und Dürreperioden, die die Dritte Welt am härtesten treffen —, es verblasst im Vergleich zu der Katastrophe, die immer mehr Klimaforscher für realistisch halten, wenn die globale Erwärmung nicht gebremst wird.

Wenn die Erde sich erwärmt, wird es kälter

Die Wissenschaft hält kolossale Klimaveränderungen für möglich — diese könnten sich auch innerhalb kurzer Zeiträume vollziehen. Selbstverständlich nicht binnen Stunden, Tagen oder Wochen wie in The Day After Tomorrow, aber innerhalb eines Jahrzehnts oder der Lebenspanne eines Menschen. Dies ist ein winziger Bruchteil der Zeit, in der Klimaveränderungen normalerweise ablaufen.
Wissenschaftler geben freimütig zu, dass die Folgen der globalen Erwärmung so komplex sind, dass man unmöglich vorhersagen kann, welche Ereignisse dadurch ausgelöst werden und wann das der Fall sein wird. Doch sie sind sich darin einig, dass der Prozess, hat er erst einmal begonnen, nicht mehr aufzuhalten ist.
Im Februar 2002 veröffentlichte das angesehene Wissenschaftsmagazin Nature eine Analyse der staatlichen Universität von Oregon. Danach kann der Zustrom massiver Mengen von Süßwasser in die polaren Ozeane die globale thermohaline Zirkulation* verlangsamen oder gar zum Erliegen bringen. Diese gigantischen ozeanischen Ströme warmen Oberflächenwassers bewegen sich von den Tropen zu den Polarregionen, bis die Strömungen so kalt werden, dass sie sinken und zu den Tropen zurückkehren, wo sie wieder aufgeheizt werden.
Die Strömungen transportieren Wärme in den Nordatlantik. Infolgedessen sind die britischen Häfen im Winter auf derselben nördlichen Breite eisfrei, auf der die Häfen Kanadas und Russlands eingefroren sind. Wenn sich die atlantische thermohaline Zirkulation abschwächt, könnte dies atmosphärische Veränderungen auslösen, die zu weitaus kälteren Wintern in Europa und Nordamerika führen. Großbritannien würde dann Alaska ähneln und in einem großen Teil Nordamerikas würden sibirische Verhältnisse einkehren.
»Sollte die bisherige Zirkulation in den Ozeanen, die derzeit einen großen Teil des Nordatlantiks erwärmt, sich verlangsamen oder erliegen, könnten die Folgen drastisch sein«, äußert sich Peter Clark, einer der führenden Experten für prähistorische Klimaveränderungen, gegenüber Nature. »Dies könnte viel schneller eintreten, als sich das viele vorstellen. Wenn die [globale] Erwärmung stark genug ist und lang genug anhält, kann ein vollständiger Zusammenbruch [der thermohalinen Zirkulation] nicht ausgeschlossen werden.«
Die Paläoklimatologie — das Studium des Klimas vergangener Erdzeitalter — gibt uns Hinweise darauf, was geschehen könnte, wenn in der uns verbleibenden Gnadenfrist von 25 Jahren die globale Erwärmung nicht gestoppt wird. Daten, die von Eiskernen, Baumringen und Korallen gewonnen wurden, enthüllen, dass Perioden eines massiven, mit globaler Erwärmung verbundenen Klimawandels wiederholt in der Erdgeschichte aufgetreten sind.
Zum Beispiel verursachte vor etwa 12000 Jahren ein drastischer Treibhauseffekt die Erwärmung der Erde um 10°C in nur 20 Jahren, was zur Beendigung einer Eiszeit in wenig mehr als einem Menschenalter führte. Die Atmosphäre erwärmte sich infolge des plötzlichen Zustroms von Süßwasser aus schmelzenden Gletschern, Polareis und arktischer Tundra, zerstörte die nordatlantische thermohaline Zirkulation und löste ein Sinken der Temperatur auf der Nordhalbkugel binnen eines Jahrzehnts um 3—4°C aus.

Die Zeit drängt

Während die Leugner des Treibhauseffekts solche Szenarien schlichtweg abstreiten, werden sie von realistischeren Planern der herrschenden Klasse ernst genommen. Ein vom Pentagon in Auftrag gegebener Bericht über die Auswirkungen der Erderwärmung wurde im Oktober 2003 fertiggestellt und im Februar dem britischen Observer und dem US-Magazin Fortune zugespielt.
Verfasst von Peter Schwartz, einem früheren Planungschef des Shell-Konzerns, und Doug Randell vom Global Business Network, drängt der Bericht darauf, dass der Klimawandel »von einem Thema wissenschaftlicher Debatten zu einer Frage der nationalen Sicherheit der USA gemacht wird«. Die Autoren heben hervor, dass »es heute Anzeichen dafür gibt, dass die globale Erwärmung die Schwelle überschritten hat, bei der es zu heftigen Auswirkungen auf die thermohaline Zirkulation kommt«.
Natürlich empfehlen Schwartz und Randall keine politischen Aktionen, um eine solche globale Krise zu verhindern, sondern malen stattdessen eine an Mad Max erinnernde Vision aus, wie Washington sich militärisch durch die Führung von Kriegen die knappen Ressourcen an Energie, Trinkwasser und Nahrung sichern kann und die USA in eine Festung verwandeln, die Umweltflüchtlinge abwehrt, die Opfer steigender Meeresspiegel, extremer Wetterbedingungen, von Durst und Hunger wurden.
Es ist noch nicht zu spät für eine Wende, aber die Zeit ist knapp. Beim derzeitigen Ausmaß der Freisetzung von Treibhausgasen wird der kritische Pegel der CO2-Konzentration in der Atmosphäre schätzungsweise in 25 Jahren erreicht.
Die reichen kapitalistischen Länder weigern sich, die Emissionen ernsthaft zu reduzieren. Nordamerika, Europa, Japan, Australien und Neuseeland sind allein verantwortlich für über 80% der früheren und 75% der gegenwärtigen Emissionen. Doch ihre Regierungen stellen den Schutz der Profite und der »Wettbewerbsfähigkeit« ihrer Konzerne vor das Wohl der Weltbevölkerung.
Die USA sind die schlimmsten Missetäter. Sie zählen 4,5% der Weltbevölkerung und emittierten 1990 36,1% der Treibhausgase. Bis 2010 werden die Emissionen schätzungsweise um 30% zunehmen. Die Regierungen der USA und Australiens haben sich geweigert das Kyoto-Protokoll von 1997 zu ratifizieren, das das maßvolle Ziel einer Reduzierung um 5,2% gegenüber dem Stand von 1990 festlegt.
Grundlegende Änderungen in der Art und Weise, wie diese Welt organisiert ist, sind erforderlich. Das System des privaten Profits, das uns an den Rand der Katastrophe gebracht hat, muss durch ein System ersetzt werden, das die Menschen und den Planeten vor den Profit setzt.

Norm Dixon

Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.584, 2.6.2004 (Übersetzung: Hans-Günter Mull.)
*[Thermohaline Zirkulation — Meeresströmungen durch Dichteunterschiede des Meerwassers, die ihrerseits auf Unterschieden der Temperatur und des Salzgehalts beruhen.]



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