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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 18

Hearing gegen den Irak-Krieg

Bundesweite Auftaktkonferenz in Berlin erhebt Anklagepunkte

»Die Kriegsverbrechen müssen verfolgt werden« forderte am vergangenen Samstag die deutsche Auftaktkonferenz für ein internationales Tribunal über den Angriffskrieg gegen den Irak in Berlin. Denn, »wer einfach zur Tagesordnung übergeht, kapituliert vor den nächsten Kriegen«, heißt es im Abschlusskommuniqué der gut besuchten Veranstaltung im Audimax der Humboldt-Universität. Die Verantwortlichen für den Irakkrieg müßten wegen ihrer schweren Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden.
Nachdem Prof. Wolfgang Richter von der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) die Tribunalidee vorgestellt hatte, wiesen im ersten Teil der Veranstaltung renommierte deutsche und internationale Völkerrechtler wie Prof. Norman Paech, Prof. Gregor Schirmer und Prof. Lennox Hinds die Verbrechen gegen den Frieden und auch die deutsche Mitschuld nach. Im zweiten Teil berichteten Prof. Bill Browning aus England, Prof. Osamu Niikura aus Japan, Prof. Michail Kusnezow aus Moskau und der Priester und Soziologe Prof. François Houtart aus Belgien über den Stand der weit fortgeschrittenen Vorbereitung der Hearings in ihren Ländern.
Im dritten Teil begann die Beweisaufnahme der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Augenzeugenberichte, Dokumente, Fotos und Videos wurden von den Referenten als Beweis eingeführt. Als erstes dokumentierte Rainer Rupp, mit welchen juristischen Winkelzügen Juristen des US-Justiz- und des US-Verteidigungsministeriums die Folter »legalisiert« haben. Diese werde insbesondere in einer Reihe von geheimen Gefängnissen der US-Armee praktiziert. Der Irak-Kenner, Archäologe und Augenzeuge Prof. Walter Sommerfeld zeigte im Anschluss Fotodokumente, die beweisen, dass US-Soldaten bei den Plünderungen und Zerstörungen von Museen und Krankenhäusern ermutigend dabeistanden. Haifa Sangana, die irakische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, bestürzte die Anwesenden mit ihren Augenzeugenberichten über die drastische und systematisch Verschlechterung der Lage der Frauen im Irak seit Beginn der US-Besatzung. Von allen Bevölkerungsgruppen seien die Frauen, die zuvor mehr oder weniger gleichberechtigt waren, am schlimmsten betroffen. Haifa Sangana, die selbst lange Jahre unter dem Regime von Saddam Hussein im berüchtigten Gefängnis für Regimegegner Abu Ghraib eingesperrt worden war, forderte den unverzüglichen Abzug der Besatzungstruppen: »Wir haben nicht 30 Jahre gekämpft, nur um am Ende einen Folterer gegen einen anderen Folterer auszutauschen.«
Prof. Hussain Al-Saadi, Biologe an der Universität Bagdad, wies anhand einer ökologischen wissenschaftlichen Arbeit die verheerenden Umweltauswirkungen des ersten US-Krieges gegen Irak nach. Besonders alarmierend waren die Daten über eine ganze Reihe von plötzlich aufgetauchten, vorher noch nie im Irak festgestellten Pflanzenschädlingen, die bereits im Jahr 1993 große Teile der irakischen Getreideernte vernichteten.
Stehende Ovationen bekam der engagierte belgische Notarzt und Experte für Gesundheitsvorsorge Dr. Geert van Moorter, der seit Jahren im Auftrag der Organisation »Medizinische Hilfe für die Dritte Welt« regelmäßig in den Irak reist, um dort der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Laut Dr. Geert van Moorter sind Folter, Misshandlungen, sexueller Mißbrauch, Verhinderung medizinischer Hilfe keine Einzelaktionen sondern systematisch und weit verbreitet. Dazu gehört auch die absichtliche Erschießung von medizinischem Personal, der Beschuss von gekennzeichneten Krankenwagen und der darin transportierten Patienten. Dies seien eindeutige Verstöße gegen die Genfer Konvention, so Moorter.

Ulla Jelpke/Rainer Rupp

Aus: junge Welt vom 21.Juni 2004.


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