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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 4

Hartzreform vollzogen:

Wer hat gesiegt?

von FRANZ SEGBERS

Die Sektkorken knallen. Die politische und ökonomische Klasse hat es geschafft. »Es gibt keine Gerechtigkeit«, stellte die Welt am 29.Juni klar und gab den Gewerkschaften, die noch immer nicht klein beigeben wollten, den Rat: »Und der Markt wird am Ende der Sieger sein.« Am Tag darauf einigte sich die informelle große Koalition aus Regierung und Opposition im Vermittlungsausschuss über die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, genannt Hartz IV.
Schon einen Tag später gab der gerade vereidigte Bundespräsident Horst Köhler in seiner ersten Rede die Losung aus:«Der Sozialstaat hat sich übernommen.« Diese Mahnung verband er mit einem Hinweis auf solch vorbildliche Ideen wie jene der Berliner Stadtmission. Diese hatten, ohne auf den Staat zu warten, allein mit privaten Spendern und Firmen das »Zentrum Lehrter Straße« errichtet, eine Anlaufstelle für Wohnungslose und Strafgefangene.
Der preußische Hofprediger Adolf Stöcker war einmal Leiter dieser Berliner Stadtmission gewesen, doch das im Berlin nach 1877 — in einer Zeit also, als von einem Sozialstaat noch längst keine Rede war. Dorthin will der Bundespräsident wohl wieder zurück. Der barmherzige Neoliberale will einen Staat, der Hilfe nur für die wirklich Bedürftigen bereit hält, und am besten ist es, wenn diese auch noch durch Spenden privatisiert wird. Diese politischen Rezepte sind Gegenreformen in eine Vergangenheit, wo wir schon einmal waren.
Der Bundespräsident im Auftrag der politischen und ökonomischen Klasse, Horst Köhler, hat sich seine Sporen wenige Tage nach der großen Demontration gegen den Sozialabbau am 1.November 2003 verdient. Als IWF- Präsident mahnte er die Bundesregierung, nicht vor dem Druck der Straße zurück zu weichen: »Wir sind sehr erfreut über die deutsche Hinwendung zu strukturellen Reformen. Agenda 2010 ist ziemlich genau das, was wir vom IWF immer wieder gefordert haben. Besonders trifft das auf den Bereich des Arbeitsmarktes zu, in dem die Reformen des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe eine sehr wichtige Maßnahme sind. Aber auch auf dem Gebiet der Gesundheits- und Rentenpolitik gibt es ein paar sehr, sehr gute Anfänge ... Die Arbeitsmarktreformen müssen über die Zukunft auch noch verbessert werden, insbesondere um die Arbeitslosen mehr dazu zu bringen, angebotene Jobs zu akzeptieren und beim ›hiring and firing‹ mehr zu deregulieren.«
Hartz IV ist das größte Enteignungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die politische Klasse hat den Arbeitslosen, den Kranken, den Armen und den Sozialhilfeempfängern einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum entrissen und ihn unter sich verteilt. Der Verfassungsrichter Siegfried Broß jedenfalls stellt im Tagesspiegel am 29.Juni fest: »Das Grundgesetz stellt einen ganz engen Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und dem Sozialstaat her ... Dieser Zusammenhang wird verletzt, wenn mindestens eine Million Arbeitslose auf einmal massiv schlechter gestellt werden, ohne dass ihnen der Staat adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten in Aussicht stellen kann.«
Die Grundidee kam als Verwaltungsreform daher: Es sei doch gut, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. Doch hinter der Verwaltungsreform vollzog sich eine neoliberale Umdeutung. Jede Arbeit gilt nunmehr als zumutbar. Wer künftig arbeitslos ist, kann vom Staat keine Unterstützung mehr erwarten. Erst wird das Einkommen des Partners angerechnet, dann die Lebensversicherung und das Häuschen verkauft. Hier kassiert der Staat privates Vermögen der kleine Leute, die nichts dafür können, dass es kaum Arbeit gibt. Das Motto lautet: Bei geringstem Lohn sind die Arbeitslosen zur Aufnahme von Arbeit zu jedem Preis und um jeden Preis bereit. Die Opfer werden zu Tätern. Heribert Prantl hat Recht, wenn er in der Süddeutschen Zeitung am 1.Juli schreibt, dass die Aufsteiger in der SPD jetzt die Strickleiter einziehen. Es reicht nicht mehr für alle. Die anderen sollen unten bleiben.
Jetzt heißt es: Wenn schon Arbeitslosigkeit, dann wenigstens billiger. So kassiert man durch Hartz IV für die Haushaltssanierung 5—7 Milliarden Euro bei denen da unten und schenkt den Vermögenden im Lande allein durch die Senkung des Spitzensteuersatzes im Dezember 2004 ca. 6 Milliarden Euro. Bis 2003 hatte der Staat mit der Steuerreform schon einmal auf Einnahmen in der Höhe von ca. 80 Milliarden Euro verzichtet — es waren Steuergeschenke für die Wirtschaft und die Vermögenden.
Ein heißer Herbst für Gerechtigkeit steht bevor.

Franz Segbers ist Dozent für Theologie und Sozialethik an der Ev. Sozialakademie Friedewald.



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