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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 5

Daimler-Kollegen auf der Straße

Stimmung für Gegenoffensive ist vorhanden

Nach den Aktionstagen der Beschäftigten von DaimlerChrysler in mehreren Produktionsstätten in Deutschland führte Rolf Euler für die SoZ mit TOM ADLER, Betriebsrat des Werkes in Untertürkheim und IG Metaller, ein Interview — trotz der großen Anspannung und vielen Aktionen. Er drückte die Befürchtung aus, dass womöglich in den nächsten Tagen ein fauler Kompromiss eingegangen würde.

Die Standortdebatte meldet sich mit Wucht zurück: Opel will Zafira in Polen produzieren, Daimler droht mit Verlagerung der C-Klasse- Produktion von Stuttgart nach Bremen. Ist die Drohung ernst zu nehmen?

Tom Adler: Ernst zu nehmen sind solche Drohungen grundsätzlich schon deshalb, weil unabhängig von ihrem Realitätsgehalt allein der Aufbau der Drohkulisse Ängste erzeugen soll, gigantische öffentliche Wirkung hat und dazu beitragen soll, allgemeine Verzichtsbereitschaft in die Köpfe zu prügeln. Im konkreten Fall ist die Drohung meiner Meinung nach Teil einer tiefgehenden Offensive des Kapitals, koordiniert zwischen den großen Konzernen und der Politik.
Nach dem erfolgreichen Versuch bei Siemens Bocholt/Kamp Lintfort soll jetzt wohl DaimlerChrysler die nächste große Angriffswelle anführen. Ford, Bosch und General Motors sind auch alle dabei in der Erpresserriege. Allerdings haben sich Schrempp und Hubbert ziemlich verkalkuliert, wie leicht die Belegschaften in die Knie zu kriegen wären. Die Kampfbereitschaft übertrifft alles, was ich in diesem Betrieb jemals erlebt habe. Sie haben mal wieder den Fehler begangen, von der Verzagtheit und Perspektivlosigkeit vieler führender IG Metaller in den Betriebsräten und im hauptamtlichen Apparat auf die Masse der Kolleginnen und Kollegen zu schließen.

Was verlangt der Vorstand?

Zunächst einmal wird behauptet, mindestens 500 Millionen Euro an Personalkosten müssten jährlich eingespart werden, um akzeptable Rahmenbedingungen für die in Frage gestellten Investitionen in den deutschen Werken zu schaffen. Um diese 500 Millionen zu kriegen, wird der komplette Katalog von Zumutungen gefordert, der derzeit landauf landab in den Betrieben aufgetischt wird: unbezahlte Arbeitszeitverlängerung in den verschiedensten Formen, von der verlängerten Wochenarbeitszeit über die Streichung der bezahlten Erholzeitpause (»Steinkühlerpause«) und der bezahlten AZG-Pause im 3-Schicht-Betrieb bis zur Bezahlung betrieblich notwendiger Qualifizierungsmaßnahmen aus dem persönlichen Zeitkonto. Außerdem wird inzwischen offen Lohnsenkung verlangt — Zuschläge für Spätschichtarbeit sollen gekürzt, die ersten 100 Überstunden ohne Überzeitzuschlag gearbeitet werden, der Samstag soll Regelarbeitszeit werden, also ein normaler obligatorischer Arbeitstag ohne Zuschläge.

Die Standorte der multinational agierenden Konzerne wurden schon öfter gegeneinander ausgespielt. Aber bisher schienen die Belegschaften von Daimler-Benz noch immer mit einem »blauen Auge« davon zu kommen. Was hat sich für den Konzern geändert, dass jetzt so reagiert wird?

Der Erpressungsversuch des Daimler-Vorstands ordnet sich ein in die koordinierte aggressive Offensive von Kapital und Politik, mit der sie alle Schutzwälle einreißen wollen — Agenda 2010 und die Erpressungskampagnen von Siemens über Bosch bis VW und Daimler sind zwei Seiten derselben Medaille. Daimler hat sowenig ein ökonomisches Problem wie Siemens — dort wird ja übrigens die Rendite in der Handyproduktion durch die unbezahlte Arbeitszeitverlängerung auch nur marginal vergrößert. Das aktuelle Vorgehen von Schrempp und Hubbert ist meines Erachtens ganz direkt politisch motiviert und nur indirekt Ausdruck sich verschärfender Konkurrenz- und Verwertungsbedingungen für den Konzern.

Der Autoexport »brummt«, Daimler ist führender Hersteller, also kommt der Verdacht auf, dass die Belegschaft für die verfehlte Konzernpolitik mit Chrysler und Mitsubishi bezahlen soll und die Globalisierung mehr als Vorwand benutzt wird.

Stimmt. Und zum Glück nimmt das auch die Belegschaft so wahr. Die Bilanz soll durch Verzicht der Belegschaft um 500 Millionen jährlich verschönt werden. Auch diese heuchlerische Pose, dass man wegen EU-Erweiterung usw. ja leider gar nicht mehr anders könne, als die Standards zu senken, wird langsam durchschaut: jeder weiß doch, dass die Konzerne hochbezahlte Lobbyistenstäbe bei der EU unterhalten, die dafür sorgen, dass die Transportkosten lächerlich niedrig und die in Osteuropa abzugreifenden Investitionssubventionen attraktiv hoch sind.

Vor kurzem ging die Debatte noch um die Höhe der Lohnnebenkosten und deren Senkung mit Hilfe politischer Maßnahmen. Heute heißt es, die Lohnkosten müssten insgesamt um rund ein Drittel runter (VW Hartz, Opel). »Das ist mit uns nicht zu machen«, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Daimler. Was ist mit ihm zu machen?

Weniger als ein Drittel eben. Oder ein Drittel aufgeteilt in mehrere Tranchen über einen längeren Zeitraum. Das mag vielleicht etwas krass klingen angesichts der Massenmobilisierungen der Daimler-Belegschaften gegen das Erpressungsprogramm. Die Tatsache, dass auch die Bremer Daimler- Kollegen in die Mobilisierung einbezogen wurden und ihren Protest unübersehbar auf die Straße getragen haben, ist wirklich ein deutliches Signal gegen den Standortegoismus.
Aber leider lassen die Kollegen aus der GBR-Spitze in der Regel, auch öffentlich, keinen Zweifel daran, dass sie die Ansichten »ihres« Unternehmens über die Probleme mit der Konkurrenz und der Kostensenkung teilen und an der »Verbesserung« der Situation mitarbeiten wollen. Das neoliberale TINA — »There is no alternative« — ist in ihren Köpfen so tief drin wie bei entsetzlich vielen führenden hauptamtlichen Gewerkschaftern.
Der aktuelle Konflikt hat seine Dynamik u.a. auch dadurch bekommen, dass Hubbert die bereits laufenden geheimen Kostensenkungsverhandlungen mit dem GBR öffentlich gemacht und den GBR damit überfordert und brüskiert hat. Konkret bietet der GBR bisher den Verzicht auf 2,79% der Lohnsumme, dazu Arbeitszeitverlängerung und Lohnsenkung in den sog. »Dienstleistungsbereichen«, 40-Stunden-Woche in den Entwicklungs- und Zentralbereichen und Verhandlungen über die geplante Daimler- eigene PSA, in die künftig erst mal alle ausgelernten Azubis und Neueingestellte gehen sollen. Bis vor kurzem war dieses »Wanderarbeiterprojekt« vom GBR korrekterweise scharf abgelehnt worden.

Die Vereinbarung über die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche bei Siemens hat viel aufgewirbelt — vor allem auch in der IG Metall — und hat ein schlimmes Zeichen in die Landschaft gesetzt. Wie ist bei Daimler die Position des Betriebsrats, der Gewerkschaft?

Die Siemens-Vereinbarungen sind auf breite Ablehnung gestoßen, sowohl im Untertürkheimer Betriebsrat als auch in der IG Metall. Allerdings ist auch hier genaueres Hinschauen nötig: Der GBR, namentlich Erich Klemm, hatte schon im März, kaum dass die Tinte unter dem Pforzheimer Tarifabschluss trocken war, dem Vorstand öffentlich angeboten, in Entwicklung, Forschung, Planung und Zentrale 100% 40-Stunden-Woche zu ermöglichen. Also für rund 20000 Kolleginnen und Kollegen in der Region Stuttgart. Die GBR-Spitze hatte also längst vor Siemens ihren Aufschlag für die Arbeitszeitverlängerungsdebatte gemacht! Nach heftigen Protesten an der Basis der IG Metall wurde dieser Vorstoß erstmal wieder eingepackt, um jetzt wieder im Konzessionsangebot aufzutauchen.

Welche Haltung nehmen die Gewerkschaftslinken jetzt ein, was kann getan werden? Die Position, dass kein Standort gegeneinander ausgespielt werden soll, dass für alle ein gemeinsames Konzept her muss, dass gemeinsam Widerstand geleistet werden soll, wie ist das zu realisieren?

Zunächst einmal muss die Gewerkschaftslinke dazu beitragen, dass die Dimension, die Tiefe des Kapitalangriffs begriffen wird. Solange die einzige Antwort der Gewerkschaften auf die Frage: »Wie weiter nach dem 3.4.?« eine Unterschriftensammlung ist, fehlt diese Erkenntnis offensichtlich im Gewerkschaftsapparat und in vielen Betriebsratsspitzen.
Zweitens kann die Schlussfolgerung aus dieser Einschätzung doch nur sein, dass es in so einer Situation eine Bündelung aller Kräfte geben muss, die Widerstand leisten können und wollen, über den Betrieb und die Gewerkschaftsgrenzen hinaus. Dort, wo die Gewerkschaftslinke es kann, muss das je nach Kräften vorgeschlagen, eingefordert und in konkrete Aktionsvorschläge übersetzt werden. Das ist sicher örtlich unterschiedlich. Warum z.B. in Stuttgart nicht als nächste Eskalationsstufe z.B. alle Stuttgarter Metallbetriebe plus die gebeutelten Kollegen im ÖD zu einem Aktionstag mit Arbeitsniederlegungen zusammenholen? Und warum nicht schärfere Aktionsformen wählen? Wenn 2000 Mettinger Daimler-Kollegen am Daimler-Aktionstag die B10 — eine der Hauptverkehrsadern in der Region! — besetzen konnten, was können dann erst 100000?
Franz Steinkühler hat in Interviews dieser Tage völlig richtig davor gewarnt, jetzt die Auseinandersetzung durch Konzessionen zu beenden, weil man sich im Rückwärtsgang viel schlechter wird verteidigen können. Er hat im Gegenteil geraten, den Kampf nach Kräften zu verschärfen. Der Mann hat im kleinen Finger mehr Verständnis und Gespür für die politische Situation und was man mit der für uns günstigen Massenstimmung machen könnte und müsste, als die ganze Führungsspitze der IG Metall zusammen. Schon die Proteste nur bei Daimler beeinflussen doch die veröffentlichte Meinung in unserem Sinne. Kein Wunder, dass Schröder jetzt vor Klassenkampf warnt: Der »Rohstoff« für eine Gegenoffensive gegen Kapital und herrschende Politik ist vorhanden!

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