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Die deutsche Innenpolitik debattiert wieder einmal über das Demonstrationsrecht, nachdem Spiegel Online und andere
Medien über einen Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium zur Änderung des Versammlungsgesetzes berichteten. Nach diesen
Plänen, die in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und mit dem Bundesjustizministerium abgestimmt wurden, soll das Versammlungsgesetz in zwei
Punkten verschärft werden. Zum einen soll die Möglichkeit vorgesehen werden, an bestimmten Orten der Erinnerung von »nationaler
Bedeutung«, Demonstrationen generell zu verbieten oder zu beschränken. Zum anderen sollen die Voraussetzungen erweitert werden, unter denen
Demonstrationen im Einzelfall verboten werden können.
Für Orte, die »in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten
menschenunwürdigen Behandlung« erinnern und die »als nationales Symbol für diese Behandlung anzusehen« seien, sollen per
Rechtsverordnung des Bundesinnenministers mit Zustimmung des Bundesrats generelle Versammlungsbeschränkungen und -verbote verhängt
werden dürfen. Versammlungen an diesen Orten, die in den Augen der Versammlungsbehörden geeignet seien, »diese
menschenunwürdige Behandlung der Opfer zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen«, könnten dann leichter verboten oder mit
Beschränkungen belegt werden.
Vor Augen bei dieser Neuregelung hat man ganz offensichtlich Naziaufmärsche an dem
zukünftigen Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas in Berlin, die man verhindern möchte. Ursprünglich geht
diese geplante Neuregelung auf Vorschläge der CDU aus dem Jahr 2000 zurück, die sich zu aller erst um das Ansehen Deutschlands im Ausland
sorgte, als die Bilder von Neonaziaufmärschen durch das Brandenburger Tor um die Welt gingen.
Die CDU forderte deshalb Bannmeilen um historische Stätten von
»herausragender nationaler Bedeutung« und brachte einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Der scheiterte zwar an der
SPD/Grünen-Mehrheit, jedoch erreichte der damalige Berliner Innensenator Eckhart Werthebach in der Innenministerkonferenz, dass die Innenminister der
Länder die Bundesregierung aufforderten, eine Einschränkung des Versammlungsrechts zu prüfen und einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorzulegen.
Der jetzt vorgelegte Vorschlag geht auf ein vom Bundesinnenministerium in Auftrag
gegebenes Gutachten des Ex-Verfassungsrichters und jetzigen Professors an der Berliner Humboldt-Universität Dieter Grimm zurück. Nach seinem
Ende 2001 vorgelegten Gutachten seien Beschränkungen wegen des Anliegens der Protestierenden oder wegen des Ortes der Demonstration wegen der
fundamentalen Bedeutung der Versammlungsfreiheit mit dem Grundgesetz grundsätzlich unvereinbar. Einzig an Orten, die an staatlich organisierte
Entwürdigung und Ausrottung von Personen, etwa wegen ihrer Rasse, erinnern, seien Verbote für bestimmte Demonstrationen wegen des Vorrangs
der Menschenwürde vor der Versammlungsfreiheit denkbar.
Es ist aber zu befürchten, dass sich diese vordergründig nur gegen neonazistische
Aufmärsche richtende Vorschrift auch linke Demonstrationen treffen könnte. So könnte eine antifaschistische Kundgebung vor einem KZ, die
sich gegen die Relativierung des NS-Regimes durch die Gleichsetzung der Konzentrationslager mit den dortigen Internierungen durch die sowjetische
Besatzungsmacht nach Kriegsende richtet, mit der Begründung verboten werden, sie leugne die organisierte menschenunwürdige Behandlung der
dort internierten Deutschen.
Erinnert sei auch an den 50.Jahrestag der Befreiung des KZ Sachsenhausen 1995, als die
Polizei mittels Platzverweisen und »Ingewahrsamnahmen« Antifaschistinnen und Antifaschisten von den offiziellen Schlussstrichfeierlichkeiten
fernhalten wollte. Es besteht die Gefahr, dass eine bestimmtes Verständnis historischer Ereignisse zementiert wird, indem mittels solcher
»Bannmeilen« diejenigen Orte, die das entsprechende Geschichtsbild symbolisieren, der öffentlichen Debatte entzogen werden können.
Daneben sieht der Gesetzentwurf die Erweiterung der bisherigen Gründe für ein
Demonstrationsverbot im Einzelfall vor. Demonstrationen sollen zukünftig verboten werden können, wenn mit ihnen die
»nationalsozialistische oder [eine] andere Gewalt- und Willkürherrschaft« oder angebliche terroristische Vereinigungen oder Terrorakte im
In- und Ausland »in einer Weise verherrlicht oder verharmlost« werden, »die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu
gefährden«.
Damit sollen Versammlungsverbote in den Fällen ermöglicht werden, bei denen
nach bisheriger Rechtslage noch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Diese Voraussetzung ist nach der Ansicht der
Verwaltungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts erst erfüllt, wenn durch eine Demonstration Straftaten drohen. In der Vergangenheit gelang es
den Versammlungsbehörden meist nicht, derartiges für neonazistische Aufmärsche zur Zufriedenheit der Gerichte nachzuweisen, sodass diese
die zuvor erteilten Versammlungsverbote wieder aufhoben.
Mit der Neuregelung will das Bundesinnenministerium erreichen, dass Versammlungen
verboten werden können, bei denen das NS-Regime unterhalb der Strafbarkeitsschwelle verherrlicht werde.
Der zweite Teil dieser Verschärfung soll sich vornehmlich gegen
Sympathiedemonstrationen für arabische oder islamische Organisationen, die im Ausland Anschläge verüben, richten. Jedoch ist auch hier zu
befürchten, dass diese Änderung früher oder später auch gegen linke Demonstrationen angewandt wird.
Wird dieser Vorschlag Gesetz, wäre es z.B. kein Problem, eine Kundgebung gegen die
Aufnahme des kurdischen Kongra-Gel in die EU-Terrorliste mit der Begründung zu verbieten, mit ihr würde eine terroristische Organisation
verherrlicht. Die Parallele zu §129b StGB ist dabei unübersehbar. Ist doch die Strafverfolgung wegen Mitgliedschaft in einer außerhalb der
EU ansässigen »terroristischen Vereinigung« nur mit einer sog. Ermächtigung des Bundesjustizministeriums zulässig.
Dass es hierbei um politische Justiz in Reinkultur geht, wurde selbst von offizieller Seite im
Gesetzgebungsverfahren unumwunden zugegeben, hieß es doch, Sinn dieser Ermächtigung sei auch die »außenpolitische sinnvolle
Handhabung der Strafrechtspflege«. Neu für den Bereich des Versammlungsrechts ist lediglich, dass sich nunmehr jeder Landrat als
zuständige Versammlungsbehörde anmaßen dürfte, Weltpolizist zu spielen und zu entscheiden, welche bewaffnet kämpfende
Gruppe als terroristische Vereinigung oder als Befreiungsorganisation zu qualifizieren sei.
Angesichts des bisherigen Verlaufs der Diskussion ist zu befürchten, dass dieser
Referentenentwurf Gesetz werden wird. Zwar lehnten führende Innenpolitiker der SPD und der Grünen bisher die nun bekannt gewordenen
Pläne ab, jedoch ist nach den Erfahrungen unter anderem aus dem Gesetzgebungsverfahren zum »Terrorismusbekämpfungsgesetz« zu
erwarten, dass nach kosmetischen Korrekturen am Ende doch noch ein fauler Kompromiss herauskommt.
Es wäre daher eigentlich nötig, dass die Versammlungsfreiheit gegen diese
Angriffe von denjenigen verteidigt wird, die auf sie angewiesen sind. Und das am besten dort, wo sie sie brauchen: auf der Straße.
Marten Mittelstädt
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