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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 11

Stabilitätspakt

Neuer Kompromiss

Vom Handelsblatt bis zur jungen Welt wurde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über den Umgang mit dem Stabilitätspakt als eine Stärkung der EU-Kommission interpretiert.

Der Kommentar im Handelsblatt schließt, nach nochmaliger Schelte der deutschen und französischen Regierung wegen ihrer laxen Haushaltspolitik, mit sichtlicher Erleichterung: »Die Europa-Richter haben jetzt bewiesen, dass die EU nicht nach orwellschen Regeln funktioniert. Vor dem Europäischen Recht sind alle gleich. Punkt.« Schauen wir genauer hin.
Von den zwölf Ländern der Eurozone liegen derzeit vier über der Defizitgrenze von 3% für Regierungshaushalte: Frankreich (—4,1%), Deutschland (—3,9%), Griechenland (—3,2%), Niederlande (—3,2%). Als erster meldete in 2002 Hans Eichel, dass er die Grenze überschreiten werde. Aus Brüssel kam ein Blauer Brief mit der Auflage, dies im Verlauf des Jahres zu korrigieren. Das geschah nicht.
Der Rat der Finanzminister (EcoFin) leitete deshalb gegen Deutschland im November 2002 (gegen Frankreich im April 2003) ein Defizitverfahren ein. Danach hätte Eichel innerhalb von vier Monaten wirksame Sparbeschlüsse vorlegen müssen. Der Ministerrat hätte sie bestätigen und die Bundesregierung sie danach umsetzen müssen. Auch dies ist nicht erfolgt.
Im Ausland gab es große Aufregung, weil Deutschland (später auch Frankreich, also ausgerechnet die »großen« Länder) angeblich Extrawürste briet, wo doch offenkundig ist, dass eine deflationäre Politik in Zeiten schlechter Konjunktur keine Wachstumsimpulse schaffen kann und Haushaltslöcher, die durch massive Steuersenkungen gerissen werden, nicht allein durch Umverteilung von unten nach oben gestopft werden können. Diese Politik wird aber inzwischen in allen EU-Ländern gleichermaßen betrieben, angestiftet von der Europäischen Zentralbank; somit droht auch allen die gleiche Entwicklung.
Deutschland setzte sich über den Stabilitätspakt hinweg, für den Theo Waigel so sehr gefochten hatte — den er 1992 zur Voraussetzung machte, um dem Euro überhaupt beizutreten und die »harte D-Mark« aufzugeben. Der Rat der Finanzminister hätte jetzt ein verschärftes Defizitverfahren einleiten müssen, Stufe 3: konkrete Vorgaben, wie viel der Sünder einsparen muss. Vor den Konflikten, die dies zwischen den europäischen Regierungen ausgelöst hätte, scheute der Rat jedoch zurück und setzte das Verfahren aus.
Die Kommission fühlte sich in ihrer Rolle als oberste Hüterin des Stabilitätspakts und generell europäischer Richtlinien verletzt, in ihrer Macht beschnitten, und rief den EuGH an. Das Urteil des EuGH betraf somit nicht allein den Stabilitätspakt, sondern auch - mal wieder — das Kräfteverhältnis zwischen den EU-Institutionen. Ähnlich wie in Deutschland entwickelt sich auf europäischer Ebene somit ein Richterrecht; maßgebliche Fortschritte in der europäischen Integration sind auf EuGH-Urteile zurückzuführen.
Was hat der EuGH nun beschlossen? Dem Rat der Finanzminister hat er bescheinigt, er habe gegen europäisches Recht verstoßen, weil er das Defizitverfahren ausgesetzt hat. Er hat aber nicht geurteilt, das Verfahren hätte entsprechend dem Stabilitätspakt fortgesetzt werden, Stufe 3 und Stufe 4 (Sanktionen) hätten in Kraft treten müssen. Einen solchen »Automatismus«, wie Eichel schimpft, hat der EuGH nicht gefordert, wohl wissend, dass die Kommission ihn nicht durchsetzen kann und es auch keine andere Institution gibt, die das könnte.
Der EuGH hat also das im Stabilitätspakt vorgesehene Verfahren nicht bestätigt. Vielmehr bescheinigt er dem Rat der Finanzminister, dass er nicht verpflichtet ist, den Empfehlungen der EU-Kommission zu folgen. Der Rat habe das Recht, eine Empfehlung der Kommission für einen strikteren Sparkurs oder gar für Sanktionen zurückzuweisen. Das hätte er auch im Fall Deutschland tun dürfen. Allerdings müsse der EcoFin dann den Fall an die Kommission zurückverweisen und ihr Gelegenheit geben, neue Empfehlungen vorzulegen. Dies habe der Rat versäumt, darin besteht sein Verstoß gegen europäisches Recht.
Wenn es nun so aussieht, dass die Kommission wieder in ihre Initiativrolle eingesetzt wird, so ist es doch eine andere Rolle als vorher: Konnte die Kommission sich vorher als Instanz begreifen, die gegenüber den Regierungen europäisches Recht durchsetzt, kommt sie nun in die Moderatorenrolle. Sie moderiert die Kompromissfindung zwischen dem Rat und sich selbst.
Der Stabilitätspakt wird jetzt aufgeweicht werden, das ist keine Frage mehr, damit wächst die Gefahr, dass die nationalen Haushaltspolitiken auseinander driften. Der Kommission fällt nun die Rolle zu, dafür zu sorgen, dass der Rat der Finanzminister in Krisenfällen zu einer einheitlichen Position findet.
Das kann man schwerlich als »Stärkung der Kommission« bezeichnen. Es ist eher ein Anzeichen für das Gegenteil: Bei nachhaltiger »Wachstumsschwäche« wird besonders spürbar, dass die EU trotz aller Fortschritte in der Integration ein föderales Gebilde geblieben ist, dem eine »Zentralregierung« fehlt. Unter neoliberalen Bedingungen, wo die Konkurrenz zwischen Regionen und Mitgliedstaaten gefördert wird, ist damit immer auch die Gefahr des Auseinanderbrechens der EU der 25 verbunden.
Die Kommission soll diese Gefahr eindämmen, aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine letztendliche Instanz dafür fehlt.

Angela Klein

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