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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 12

Vor 90 Jahren

SPD stimmte Kriegskrediten zu

Am 28.Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, nachdem Serbien ein bewusst unannehmbar formuliertes Ultimatum hatte verstreichen lassen. Die deutsche Reichsregierung war diplomatische Komplizin dieses Abenteuers, das bereits den zeitgenössischen Kommentatoren als wahrscheinliches Vorspiel eines Weltkriegs erschien.
An diesem Tag gingen Hunderttausende auch in Deutschland gegen die Kriegstreiberei auf die Straße. Die sozialdemokratische Presse hatte bis dahin gegen den drohenden Krieg angeschrieben. Am 25.Juli 1914 hatte der SPD-Vorstand zu Friedenskundgebungen aufgerufen. Sein Aufruf gipfelte in den Worten: »Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!«
Auf den Kongressen der II.Internationale in Stuttgart 1907 und in Basel 1912 waren Resolutionen verabschiedet worden, die gegen imperialistische Kriege die internationale Solidarität der Arbeiterklasse setzten und auch die Perspektive ausgaben, im Falle des Ausbrechens eines solchen Krieges die Bevölkerung aufzurütteln und den Sturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu beschleunigen.
Doch Ende Juli, Anfang August änderte sich die Haltung der sozialdemokratischen Presse in Deutschland. Plötzlich wurde in ihren Spalten versichert, dass die sozialdemokratische Arbeiterschaft zur Verteidigung des Vaterlands bereit sei. Formulierungen wie die folgende wurden gängige Münze:
»Wenn die verhängnisvolle Stunde schlägt, werden die Arbeiter das Wort einlösen, das von ihren Vertretern für sie abgegeben worden ist. Die vaterlandslosen Gesellen werden ihre Pflicht erfüllen und sich darin von den Patrioten in keiner Weise übertreffen lassen.«
Das Wort, das nunmehr eingelöst, die Pflicht, die nun erfüllt werden sollte, waren nicht in Stuttgart und Basel 1907 und 1912 formuliert worden, und auch auf keinem der vorangegangenen Parteitage der deutschen Sozialdemokratie. Vielmehr war man nun »bereit, mit dem letzten Blutstropfen die Unabhängigkeit und Größe Deutschlands gegen jeden Feind zu verteidigen«. Gegen welchen Feind?
»In der Pflicht der Landesverteidigung gegen das Blutzarentum lassen wir uns nicht zu Bürgern zweiter Klasse machen.« Ja, es ging darum, von der herrschenden grundherrschaftlich-bürgerlichen Politikerkaste als Vollbürger des Deutschen Reichs anerkannt zu werden! Eine Reihe führender Sozialdemokraten formulierte dies Motiv, um ihre Unterstützung des imperialistischen Krieges verständlich zu machen. Und einer der klügeren Vertreter der genannten Kaste hatte seine Mitstreiter schon einige Zeit vor dem August 1914 beruhigt, man solle die Antikriegsagitation der SPD nicht allzu ernst nehmen: »Wenn es gegen den Zarismus geht, dann marschiert die ganze Sozialdemokratie!«
Wie eine kriecherische Replik auf diese Häme klingen die Worte der sozialdemokratischen Frankfurter Volksstimme vom 31.Juli 1914, die von den »deutschen Arbeitern« sagt, »ihre ganze Energie und ihre ganze Sehnsucht als Krieger im Felde würde sich zuwenden dem Sturz des Zarismus und seines Blutregiments«.
Am 4.August 1914 stimmte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den Kriegskrediten zu. Die ganze Fraktion? Ja, die ganze. Die 14-köpfige Minderheit, die sich dagegen ausgesprochen hatte, hielt sich an die »Fraktionsdisziplin«. Auch Karl Liebknecht. Erst bei der zweiten Abstimmung zur Bewilligung weiterer Kriegskredite votierte er am 2.Dezember 1914 als einziger im Reichstag dagegen — die große Mehrheit derjenigen, die intern gegen die Zustimmung gesprochen hatten, beugte sich wiederum der »Disziplin«. Welcher Disziplin? War es denn gerechtfertigt, Karl Liebknecht »Disziplinlosigkeit« vorzuwerfen?
Es stellte sich rasch heraus, dass es keinerlei Parteitagsbeschluss gab, der sozialdemokratische Abgeordnete zwang, in Parlamenten gegen ihre Überzeugung abzustimmen. Es lag auch auf der Hand, dass die Zustimmung zu den Kriegskrediten gegen alle Beschlüsse der Internationale und der Partei verstieß, und zwar nicht nur gegen die Beschlüsse in Sachen Krieg.
Eine Zustimmung zu den Haushalten bürgerlicher Regierungen war nämlich bis dahin in der Sozialdemokratie verpönt und verboten gewesen, und als es auf Landesebene vorkam, dass Mehrheiten von Parlamentsfraktionen sich nicht daran hielten, dann wurden diese Mehrheiten formell gerügt und die standhaften Minderheiten gerechtfertigt. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten jedoch bedeutete einen noch viel gravierenden Blankoscheck für eine reaktionäre Regierung als die Zustimmung zu einem normalen Haushalt.
Die mutige Tat und Haltung, zu der sich Liebknecht schließlich durchgerungen hatte, spielte eine sehr wichtige Rolle für die Entwicklung der Bewegung, die schließlich 1918/19 zum Sturz des Kaisers und zu Arbeiter- und Soldatenräten führte. Ebenso wichtig war sie für den politischen Differenzierungsprozess, der zur Abspaltung der USPD von der SPD, zur Entstehung der KPD und schließlich 1920 beim Zusammenschluss der KPD mit der USPD-Linken zur VKPD führte, zu einer revolutionären Massenpartei mit 350000 Mitgliedern.

Manuel Kellner

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