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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 14

UN-Truppen in den Irak?

Keine neutrale Instanz

Unter Friedensaktivisten oder PDS-Mitgliedern erheben sich bisweilen Stimmen, die für den Rückzug der angloamerikanischen Besatzer aus dem Irak eintreten, aber stattdessen für die Entsendung von UN-Friedenstruppen plädieren, die im Irak den Aufbau eines unabhängigen demokratischen Staates sichern sollen. Der folgende Beitrag zeigt, dass diese Haltung auf einer falschen Vorstellung von den Vereinten Nationen beruht.

Die UNO ist keine neutrale Instanz. Die UNO ist kein Weltschiedsrichter, der kämpfende Hunde auseinanderhält. Sie spiegelt das internationale Kräfteverhältnis wider und drückt somit die Vorherrschaft der USA aus. Würde jedes Mitgliedsland bei den Beschlüssen der UNO dasselbe Gewicht haben, würden die USA aus der Weltorganisation austreten.
Das Verfahren, mit dem die Entschließungen gefasst werden, bewirkt, dass eine Großmacht ihr Vetorecht anwenden kann, um bspw. Sanktionen gegen Israel zu verhindern. Aber alle lateinamerikanischen und asiatischen Staaten zusammen können die USA z.B. wegen ihres kriminellen Patents auf Medikamente oder der Zerstörung der lokalen Märkte durch die Multis nicht bestrafen.
Für den Schriftsteller und Aktivisten Tariq Ali ist die UNO »die Maske, hinter der sich die USA verbergen, wenn sie keine direkte Verantwortung übernehmen wollen. Die USA stürzen sich in ein Abenteuer, und wenn es ihnen unter den Füßen zu heiß wird, brauchen sie auf einmal die UNO, damit der Eindruck entsteht, dass alles wieder sauber ist. Kofi Annan und Brahimi sind brave Leute, die die Toiletten reinigen, nachdem vorher jemand einen Scheißhaufen hineingemacht hat. Die UNO ist das Reinigungsteam des nordamerikanischen Imperiums.«
Also die UNO reformieren? Das ist gutgemeint, aber Wunschdenken und somit unrealistisch. Da die UNO der Ausdruck des internationalen Kräfteverhältnisses ist, kann sie nur reformiert werden, wenn dieses Kräfteverhältnis radikal verändert wird.
Manche behaupten, dass im Irak das Chaos regieren wird, wenn bei einem Rückzug der US-Truppen dies nicht durch Blauhelmsoldaten ersetzt werden. Für Tariq Ali ist dies ein Argument, das nach Rassismus riecht, denn es suggeriert, dass die Iraker dumm seien und sich gegenseitig massakrieren, wenn keine weißen Soldaten aus westlichen Ländern anwesend sind. Solche Argumente werden seit 150 Jahren vorgebracht, um koloniale Präsenz zu rechtfertigen.
Bisweilen beschuldigt man uns, »Abstentionisten« zu sein, verantwortungslose Nichtstuer, die die Werte von Menschenrechten und Demokratie nicht überall in der Welt gegen die Diktaturen verteidigen. Bei genauerem Hinsehen sind es gerade die Staaten, die unter dem Vorwand der »Verteidigung der Menschenrechte« intervenieren, die die meisten Massaker, Kriege, Diktaturen und elenden Zustände auf dem Gewissen haben (koloniale Kriege, imperialistische Kriege, Kriege im Nahen Osten ums Öl, der Soziozid am palästinensischen Volk, Interventionen gegen Befreiungsbewegungen…). In Rwanda war es die [rwandische] FPR, die den Genozid gestoppt hat, nicht die französischen oder belgischen Truppen.
Laut einer Umfrage betrachten 70% der Iraker die aktuelle provisorische Regierung als eine Agentur der USA. Selbst die Kurden, die die US-Intervention unterstützt hatten, fangen allmählich an, auf Abstand zu gehen. Die überwältigende Mehrheit der Iraker will keine »UNO-Friedenstreitmacht«, denn sie sieht keinerlei Unterschied zwischen den grünen Helmen der USA und den Blauhelmen der UNO.
Die Aktion der UNO im besetzten Irak zeigt, dass sie keine neutrale Instanz ist. Als der gemäßigte Schiitenführer Ali Sistani von der UNO verlangte, seine Forderung nach direkter Wahl der neuen Regierung zu unterstützen, weigerte sich die UNO, um die USA nicht zu brüskieren. Heute erklären die Vereinten Nationen, dass sie sich im Irak engagieren… unter der Voraussetzung, dass ihre Sicherheit von den GIs gesichert wird, womit sie eine illegale Besatzung gutheißen und das Problem auf den Kopf stellen: die »Sicherheitsprobleme« im Land werden von der Präsenz der US-Truppen hervorgerufen. Damit wird auch die Fiktion aufrechterhalten, der Irak könne eine souveräne Nation im Schatten der Bajonette der US-Besatzer werden.
Eine direkte Unterstützung für den Volkswiderstand, Sanktionen gegen die Länder, die die Ursache für derartige Konflikte sind (Israel, Türkei, USA, Spanien, Großbritannien…) — das sind weit wirksamere Aktionen als eine Entsendung von »Friedenstruppen«. Wenn die ölproduzierenden arabischen Länder — und die linke Chávez-Regierung in Venezuela — den Ölhahn zudrehen, damit sich Israel aus Palästina und die USA aus dem Irak zurückziehen, ist das wirksamer als alle Blauhelmsoldaten und die feierlichen Resolutionen der UNO.
Es gibt auch das Recht auf Selbstbestimmung, das uns Marxisten so teuer ist. Im Irak bedeutet dies den sofortigen Rückzug aller ausländischen Truppen, die Errichtung einer Regierung der nationalen Einheit (einschließlich aller Bestandteile des Widerstands) und die direkte Wahl einer Konstituierenden Versammlung, die ein neues, auf den Föderalismus basierendes Staatsmodell entwickeln muss. Dieses Schema ist nicht vereinbar mit der Präsenz einer ausländischen Streitmacht, wozu auch UNO-Truppen gehören.

Chris Den Hond

Aus: La Gauche (Brüssel), Juni 2004 (Übersetzung: Hans-Günter Mull). Der Autor ist Mitglied der POS/SAP (belgische Sektion der IV.Internationale). Zur Rolle und zum Charakter der UNO siehe auch den Beitrag Die "Vereinten Nationen von Amerika" / Feigenblatt für imperiale Abenteuer von Tariq Ali in SoZ 4/2003



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