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Die politische Lage in Norwegen ist vom Rückgang der Gefolgschaft für die Sozialdemokratie geprägt: Bei
den Kommunalwahlen von 2003 ging ihre Stimmenzahl von etwa 35% auf 25% zurück. Die Ursache dafür liegt im Übergang von einer
sozialdemokratischen zu einer sozialliberalen Politik. Gleichzeitig ist auch die gemäßigte regierende Christliche Volkspartei von 12% auf
67% zurückgegangen. Die Unterstützung für den Krieg der USA im Irak kam sie teuer zu stehen. Wähler gewinnen konnten auf
der Linken die Sozialistische Linkspartei (SV) und auf der Rechten die populistische Fortschrittspartei (FrP).
Die SV erzielte bei den Kommunalwahlen ihr bislang bestes Resultat: landesweit 13%, mit
guten Ergebnissen in den großen Städten: 22% in Tromsø, 20% in Oslo, 18% in Trondheim. Die rechte FrP konnte ihren Anteil auf 16% steigern.
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (AP) hat eingesehen, dass sie zur Regierungsbildung
bei den Wahlen zum nationalen Parlament, dem Storting, im Jahr 2005 die SV benötigt. Andererseits will die traditionelle konservative Partei, Høyre
(»Rechte«), nicht erneut mit den Parteien der Mitte die Regierung bilden. Somit kann die FrP, die wegen ihres kaum verheimlichten Rassismus
bislang als Regierungspartei nicht in Frage kam, zum ersten Mal in die Regierung kommen.
Eine Regierung aus Høyre und FrP würde eine Offensive der Bourgeoisie gegen die
Reste des norwegischen Sozialstaats eröffnen. Für die Linke würde eine solche Regierung eine Niederlage mit schwerwiegenden und
langfristigen Folgen bedeuten. Daher haben Sozialdemokraten, Linkssozialisten und revolutionäre Marxisten ein gemeinsames Interesse daran, dass eine
Alternative zu Høyre und FrP aufgebaut wird.
Zwischen führenden Kreisen der AP, der SV und der Zentrumspartei, einer Partei der
Kleinbauern, finden bereits Gespräche statt. Aber auch an der Basis und unter den Wählern gibt es ein klares Bewusstsein darüber, dass eine
solche Allianz erforderlich ist. Damit bleibt die zentrale Frage, was für eine Politik eine solche Regierung durchführen soll.
Die Linke ist in zwei Parteien organisiert: in der SV und in der RV (Rote Wahlallianz). Die RV
hat ihre Wurzeln in der starken norwegischen ML-Bewegung, nach dem Massaker auf dem Tienanmen-Platz vollzog sie jedoch einen teilweisen Bruch mit dem
Stalinismus und Maoismus.
Ihre Hoch-Zeit hatte sie zwischen 1993 und 1997. Die RV hatte einen Abgeordneten im
Storting und 70 Abgeordnete in den Provinz- und Kommunalparlamenten. 1997 und 2001 gelang es ihr nicht mehr, in das Storting einzuziehen, sie scheiterte an
der 4%-Klausel. Hatte sie 1997 noch 43000 Stimmen, erhielt sie 2003 32000 Stimmen (1,5%), soviel wie bei den Kommunalwahlen 1991 und 1995.
Bei den Kommunalwahlen 1999 konnte die RV die Zahl ihrer Abgeordneten auf 90 erhöhen. Das war zu dem Zeitpunkt, als die Führung der SV
die NATO-Bomben auf Kosovo befürwortete. Dagegen gab es in der SV starken Widerstand. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten bildete sich eine lockere
Tendenz, das sog. »SV-Netzwerk«, zur Bekämpfung der Rechtsentwicklung. Sosialistisk Ungdom (SU), die Jugendorganisation der SV, die
bis Ende der 90er Jahre ziemlich weit rechts stand, machte nun einen Linksschwenk.
In der SV ist das Verhältnis zur AP und die Möglichkeiten, mit ihr an die
Regierung zu kommen, stets umstritten gewesen. Hier gibt es einen rechten Flügel, der nur Einfluss darauf haben will, wie der Kapitalismus verwaltet
wird. Die meisten Mitglieder der Partei haben keine klare Auffassung, wie eine Regierungszusammenarbeit mit der AP aussehen soll. Die SV-Linke ist kein
politisch einheitlicher Flügel. Sie ist skeptisch gegenüber einer Regierungszusammenarbeit mit der AP, weil das die Rechtentwicklung in der SV
stärken würde. Sie will vermeiden, dass die SV dasselbe Schicksal erleidet wie die französische KP oder die deutschen Grünen.
Die Herausforderung für diese Linke besteht darin, dass die einfachen Leute in der
Gewerkschafts- oder Umweltbewegung eine Alternative zu Høyre und der FrP wollen. Die SV wird die entscheidende Rolle spielen, wenn es um das
Koalitionsprogramm geht. Die RV könnte die SV nach links drücken. Sie könnte in Oslo und in Bergen, wo sie über 34% der
Wähler verfügt, gemeinsame Listen auf einem korrekten politischen Programm vorschlagen.
Doch die RV hat die ganzen 90er Jahre hindurch nur sehr vorsichtig Kritik an der SV
geübt. Vorschläge seitens trotzkistischer Gruppen in der RV, die SV dadurch herauszufordern, dass man auf einer gemeinsamen Liste kandidiert,
wurden mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Die Ursache für dieses eingefleischte Sektierertum liegt darin, dass die RV immer noch
nicht vollständig mit Stalinismus und Maoismus gebrochen hat.
Dadurch ist die Partei sehr anfällig für Kritik seitens der SV. Äußerer
Druck könnte sie vor eine Spaltung stellen. Ihre Passivität gegenüber der SV ist außerordentlich bedauerlich. Denn obwohl sie klein ist,
könnte die RV eine wichtige Stütze für die Linke in der SV sein.
Die Tatsache, dass die antikapitalistischen Kräfte in Norwegen sowohl in der RV als
auch in der SV organisiert sind, ist ein großes Hindernis dafür, dass sie die aktuellen politischen Möglichkeiten nutzen können. Denn
Norwegen bietet gute Voraussetzungen für eine alternative Politik.
Nach wie vor gibt es starke sozialdemokratische Traditionen, ein hohes Ausbildungsniveau und
nicht zuletzt einen großen Haushaltsüberschuss durch die Öleinkünfte. Umfassende ökonomische Reformen sind möglich,
ohne in eine direkte ökonomische Konfrontation mit der Bourgeoisie zu kommen. Ein großer Vorteil ist auch, dass Norwegen nicht Mitglied der EU
ist.
Eine Linksallianz könnte die sozialstaatliche Ordnung, die zu Hoch-Zeiten der
Sozialdemokratie etabliert wurde, bewahren. Sie könnte umfassende Musterreformen mit einem Sechsstundentag im frauendominierten Gesundheitssektor,
Lohnangleichungen, einer ökologischen Umrüstung von Landwirtschaft und Fischerei und zahlreichen Umwelmaßnahmen einführen.
Ein Jahr vor der nächsten Wahl ist die Lage jedoch offen. Der rechte Flügel in der
AP hat die Hoffnung, eine Zusammenarbeit mit der SV zu vermeiden, nicht aufgegeben. Der rechte Flügel der SV verhandelt im Geheimen mit Teilen der
AP. In der RV hat der stalinistische Flügel, jeden Versuch, die SV zu beeinflussen, abgelehnt, der nichtstalinistische Flügel hat es nicht geschafft,
Initiativen zu ergreifen. Die RV hat sich selbst ins Abseits gestellt.
Nur die SU und die Linke in der SV können verhindern, dass die SV dasselbe Schicksal
erleidet wie die deutschen Grünen. Aber diese Linke ist sehr heterogen, sie hat schwache organisatorische Traditionen und nicht zuletzt scheut sie den
Vorwurf des Fraktionismus. Welchen Weg die SV wählt, wird der Parteikongress im März 2005 entscheiden.
Anders Ekeland
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