SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite

Die in Frankfurt am Main am 17. und 18.Juli versammelten Organisationen und Einzelpersonen haben einen Aufruf für ein Sozialforum in Deutschland im Juli 2005 in Erfurt beschlossen.

Wir bekommen ein Sozialforum

Das war eine schwere Geburt. Seit 2002 gibt es in Deutschland einen Initiativkreis, der die deutsche Beteiligung am Weltsozialforum koordiniert; 2003 ist die Beteiligung am Europäischen Sozialforum hinzugekommen. Während die bundesweite Initiative den Sozialforumsgedanken publik gemacht und Organisationen und Initiativen gewonnen hat, sich aktiv in den Prozess auf internationaler Ebene einzubringen, haben sich parallel lokale und regionale Sozialforen gebildet. Inzwischen sind es über 40 Foren, die oft ein sehr unterschiedliches Verständnis von ihrer Arbeit haben.
Auf Bundesebene gibt es bis jetzt nichts. Dabei ruft die gesellschaftliche und politische Entwicklung in diesem Land immer lauter danach, sich nicht nur an einzelnen Angriffen wie den Hartz-Gesetzen oder der kalten Wiedereinführung der 40- Stunden-Woche abzuarbeiten, sondern die ganze Bandbreite der kapitalistischen Offensive ins Blickfeld zu nehmen und eine globale Gegenstrategie zu entwickeln, die eingebettet ist in die weltweite globalisierungskritische Bewegung. Die Bündnisse gegen Sozialraub, die sich im letzten Jahr entwickelt haben, nehmen ja nur Teilbereiche aufs Korn, der soziale Widerstand ist nach wie vor zersplittert.
Ein Sozialforum in Deutschland, auf Bundesebene, kann dem Abhilfe schaffen. Es kann die unterschiedlichsten Bereiche, die von den neoliberalen Angriffen betroffen sind, an einen Tisch bringen, sie miteinander ins Gespräch bringen. Es kann zudem, wenn es erfolgreich ist, auch in Deutschland so etwas wie eine Versammlung der sozialen Bewegungen schaffen, die von allen (oder fast allen) aktionsorientierten Gruppen und Organisationen als Referenzpunkt für die Verabredung gemeinsamer Aktionen anerkannt wird. Gegenüber dem jetzigen Zustand, wo selbst die Kraft, die am 3.April eine halbe Million Menschen auf die Straße gebracht hat, wieder zerläuft, wäre das ein großer Fortschritt.

Umwege

Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. Zwar bezeichnete sich die bundesweite Initiative von Anfang an als eine »für ein Sozialforum in Deutschland«. Doch eineinhalb Jahre hindurch waren sich die Aktiven unschlüssig, ob die Idee hier zünden würde. Das war die Zeit, die die zweite Schröder-Regierung brauchte, um die Mitglieder in SPD und Gewerkschaften in Scharen gegen sich auf zu bringen und ein riesiges Loch zu reißen.
Diese Lücke will gefüllt werden, und das Aufpflanzen einer neuen Wahlpartei wird dafür zu wenig sein. Neue Formen der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an gesellschaftlichen Debatten und politischen Entscheidungen müssen entwickelt und eingeklagt werden. »Immer weniger Menschen fühlen sich in ihren Anliegen vertreten. Wir müssen uns daher selbst auf den Weg machen«, heißt es jetzt im Aufruf für Erfurt 2005.
Die Demonstration am 1.11., das ESF in Paris und schließlich die Perspektive auf eine bundesweite Großmobilisierung am 3.April brachten eine neue Aufbruchstimmung. So fasste ein der Initiativkreis im Februar schließlich den Beschluss: Wir wollen ein Sozialforum auch in Deutschland. Die Struktur des Initiativkreises war dafür jedoch nur bedingt geeignet, weil er traditionell mit der Vorbereitung des ESF beschäftigt war — so auch diesmal für den Herbst in London.
So kam es immer wieder zu Terminüberschneidungen, die den Kreis zerrissen in diejenigen, die ESF, und diejenigen, die SFiD »machen«. Während es auf dieser Ebene zu Disfunktionalitäten kam, gewann die Idee bei anderen an Unterstützung: Bsirske erklärte öffentlich, Verdi werde ein solches Forum unterstützen; Attac, Medico, Greenpeace, selbst die IG Metall wollen dabei sein. Der Trägerkreis des Perspektivkongresses im Mai bekundete ein solches Interesse einhellig.
Namhafte Vertreter dieser Organisationen ließen sich auf dem Vorbereitungstreffen im Juli dennoch nicht sehen; man will wohl abwarten, was sich da entwickelt.
Entscheidenden Schwung erhielt die Initiative von anderer Seite: Das frisch konstituierte Thüringer Sozialforum hat sich die Idee zu eigen gemacht und die Einladung ausgesprochen, ein solches Sozialforum im Juli nächsten Jahres in Erfurt stattfinden zu lassen. Nun gibt es einen Ort, und vor Ort auch mit Gewerkschaften eine solide Struktur.

Neuer Ruck

Auf dem Vorbereitungstreffen in Frankfurt gelang es, die in den vergangenen Wochen aufgetretenen Unstimmigkeiten zu überwinden und fast einstimmig eine gemeinsame Struktur zu finden, wie das Sozialforum vorbereitet werden kann. Das Sozialforum in Deutschland (SFiD) versteht sich als Teil des Weltsozialforums und arbeitet auf der Grundlage der Charta von Porto Alegre. Ein Aufruf wurde verabschiedet; die Webseite wird neu gestaltet und erhält den Namen: www.sozialforum2005.de. Eine AG Erweiterung kümmert sich darum, dass die bestehenden örtlichen und regionalen Sozialforen eingebunden werden und überhaupt ein möglichst breiter Kreis an Interessierten gewonnen wird, mit in die Vorbereitung einzusteigen.
Drei Vorbereitungskonferenzen sollen organisiert werden, die erste davon am 11./12.September in Erfurt; sie dienen zugleich der Mobilisierung. Die Arbeitsstruktur soll über das Internet soweit wie möglich transparent gemacht werden und zur Mitarbeit einladen. Eine Finanzgruppe legt im September einen Kostenplan vor und betreibt ein professionelles Fundraising. Es wird ein gemeinsames Logo und Werbematerialien geben. Die Septemberkonferenz wird die wichtige Aufgabe haben, die Grobstruktur des Programmablaufs festzulegen.
Jetzt hängt alles daran, dass möglichst viele für diese Idee Feuer fangen. Das geschieht in dem Maße, wie sie erkennen, dass sie sich aktiv einbringen können.
Die Versammlung im Juli war etwas hin- und her gerissen: Die erfahrenen Sozialforumsaktiven sind sich der Dynamik, die ein solcher Prozess auslöst, sicher — zumal in der jetzigen Situation, wo sich gesellschaftliche Kämpfe zuspitzen und politische Alternativen vermehrt gefragt sind. Sie können sich eine Teilnehmerzahl um die 10000 im nächsten Jahr vorstellen. Die meisten anderen halten eine solche Erwartung noch für abwegig. Aber haben wir nicht auch die Beteiligung am 1.11. und am 3.April bis kurz davor für »abwegig« gehalten?

Angela Klein

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