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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 23

Gemüse, Sex und Sozialismus

Seit Urzeiten, seit der damalige Schülerunion-Vorsitzende in Hamburg und jetzige Erste Bürgermeister der Hansestadt auf einer Schülervollversammlung Redeverbot für den Autor dieser Zeilen forderte, verfolgen wir den Krankheitsverlauf der jungen Christdemokraten von der Wasserkante mit persönlichem Interesse. Während z.B. die CDU-Frauenunion in Hamburg echten Internationalismus zeigt und zweisprachige Bus- und Bahnansagen fordert, verlangen die Jungunionisten, dass künftig vor allen Hamburger Schulen die Nationalflagge dauerhaft weht, um »gesunden Patriotismus« und »die Kraft der Symbole für die Persönlichkeitsbildung junger Menschen« zu stärken. Und wer dann später Unternehmer wird, wird sich patriotischer zeigen als die Herren mit der Parzelle in Ungarn. Oder nicht?
Doch allein Fahne und Patriotismus bringen es zuweilen auch nicht. Ostunternehmerin Christine Schmittroth hatte für 3350 Euro zugunsten der Eichel-Kasse im Internet eine früher auf dem Reichstag wehende BRD-Fahne, 6,40 mal 4,50 Meter, ersteigert. Die wollte sie auf ihrem Sexunternehmen »X-Carree« in Halle an der Saale wehen lassen, damit der deutsche Freier leichter einen hoch kriegt. Aber einem pensionierten Beamten gefiel dieser Patriotismus gar nicht. »Es handelt sich um ein Nationalsymbol, das nicht besudelt werden darf.« Also folgte eine Anzeige wegen Verunglimpfung des Staates. Nun wird die Fahne erneut im Internet angeboten.
Der Patriotismus ist sicherlich die hohlste Standorttugend, die bald nur für Stammtische und Kofferträger der Ideologieproduktion noch prickelt. Der moderne Kapitalist und noch mehr der Arbeiter haben kein Vaterland, je mehr sie davon schwätzen, desto weniger. Das Anschwellen nationalistischer Bocksgesänge ist deshalb ein unmittelbares Krisenindiz des Kapitalismus, und die nationalistischen Banden sind seine Eiterbeulen.
Die Herren Paul Zak und Stephen Knack, beides Ökonomen aus den USA, haben sich einer viel interessanteren Frage gewidmet, was zum Gelingen einer intakten Ökonomie noch alles so erforderlich ist. Sie untersuchten die Rolle des Vertrauens. Sie widerlegten die alte These, dass die Menschen nur »ökonomisch«, das heißt rational und auf den persönlichen Gewinn orientiert, handeln würden. In wissenschaftlichen Rollenspielen und durch umfangreiche empirische Studien zeigten sie auf, dass trotz fast 400 Jahren Kapitalismus, trotz Geldfetischismus, Konkurrenz und Patriotismusideologie der Mensch immer noch stark auf soziales, kollektives und auf Vertrauen aufbauendes Handeln orientiert ist. Wie wenig erstaunlich, ermittelten Zak und Knack, dass Vertrauen umso mehr prägend ist, je mehr die Gesellschaften wohlhabend sind, die Kluft zwischen Arm und Reich klein ist, ein intaktes Rechtssystem und demokratische Freiheitsrechte existieren. Das sind für Marxisten keine neuen Erkenntnisse, wissen sie doch schon lange, dass auch der Kapitalismus in seiner höchsten Form Plan, Kommunikation und eben Vertrauen erfordert, wenn auch in Form des auf dem Kopf gestellten Prinzips, dass man sich allseits ehrlich anscheißen muss.
Wie schön eine Gesellschaft sein muss, die das Vertrauen zur allgemeinen Geschäftsgrundlage macht, wagen sich die Forscher dagegen kaum vorzustellen. Der Name dafür ist am Eingangstor der ökonomischen Fakultäten ja auch abzugeben: sozialistische Planwirtschaft.
Stattdessen stürzen sich Knack und Zak auf biologische Erkenntnisse, dass Vertrauen auch mit der Produktion des Körperhormons Oxytocin gesteuert wird. Je mehr Vertrauen in ökonomische Handlungen eingebracht wird, desto höher der Oxytocinpegel. Für die Umkehrung dieser These und damit für Theorien, mittels künstlicher Zufuhr des Hormons an die Akteure die Profitrate der kapitalistischen Gesellschaften zu erhöhen, fehlten den Forschern noch der Mut und die Beweise. Aber sie spekulieren damit. Das Hormon, so verraten sie jedenfalls, könne man sich aber auch leicht anders aneignen: Bewegung in gesunder Luft, viel Gemüse essen, viel Knoblauch und Sojaprodukte und regelmäßiger Sex treiben den Oxytocinspiegel in die Höhe.
Das aber wussten wir schon lange: »Gemüse, Sex und Sozialismus« ist die Kurzformel für die Zukunft der Menschheit.

Thies Gleiss

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