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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 24

Zum 200.Geburtstag von Ludwig Feuerbach

Sich besinnen!

Ludwig Feuerbach, geboren am 28.Juli 1804, war ein Hegel-Schüler, der später mit dem hegelschen »Idealismus« brach. Schon vorher, mit seiner ersten selbstständigen Schrift (zum Thema »Tod und Unsterblichkeit«), verscherzte sich Feuerbach die akademische Karriere. Er hatte sich über den Wunsch nach Unsterblichkeit lustig gemacht, dem er nichts abgewinnen konnte, da eine unbegrenzte Existenz notwendig qualitäts- und salzlos und mithin abgeschmackt sei. Das war in den damaligen Zuständen schon zuviel. Seine Ehefrau, Bertha Löwe, war Tochter eines Porzellanfabrikanten. Sie ermöglichte Feuerbach das Leben eines Privatgelehrten in einiger Behaglichkeit. Ein paar Jahre vor Feuerbachs Tod ging das Unternehmen pleite und beide verarmten.
Feuerbachs Lebensleistung ist seine Religionskritik, insbesondere seine Kritik des Christentums. Die »Aufklärung« hatte verschiedene Argumentationsmuster gegen die Religion hervorgebracht, die alle ihre Berechtigung hatten und doch nicht wirklich überzeugen konnten. Der Streit darüber, ob es Gott gibt oder nicht, oder überhaupt, ob dieses oder jenes religiöse Dogma wahr ist oder nicht, ist ein fruchtloser Streit. Der Fortschritt der Naturwissenschaften vertrieb Gott und Dogma aus gewissen Sphären, doch fanden beide Platz genug im weiten Feld des weiterhin Unverstandenen. Das Priestertrugstheorem, wonach die Pfaffen uns belügen, um uns auszubeuten, versagt vor dem Problem der religiösen Befangenheit großer Massen. Die moralische Kritik an einem zugleich allmächtigen und gütigen Gott, der soviel Schmerz und Leid zulässt, erledigt jesuitische Spitzfindigkeit mit links: Schmerz und Leid kamen mit den Sinnen und Gehirnen auf die Welt, und wer Gott dies vorwirft, legt ihm ungerechterweise zur Last, keine empfindungs- und sinn(en)lose Welt geschaffen zu haben.
Feuerbach argumentiert nicht gegen die Wahrheit der Dogmen, sondern erklärt sie. Sie sind ihm Projektionen menschlicher Wesenseigenschaften und Wünsche. Ein restlos erklärter Inhalt ist dem religiösen Dogma wirksam entrissen. Darum ist bis heute die theologische Apologetik machtlos gegen Feuerbach, und sie spricht dies auch aus (durch den Mund ihrer klügeren Vertreter wie Hans- Martin Barth oder Marcel Xhaufflaire).
Feuerbachs Kritik ist einfühlend, aber auch humoristisch und schneidend. Der bunt bemalte Holzpfahl, vor dem Menschen ihr Herz ausschütten, ist taub. Angesichts des Sakraments der Taufe bejaht Feuerbach unbedingt, dass die heilsame Wirkung des Wassers (wie auch die des Brotes und des Weines) gefeiert werden muss. Die so heilsam reinigende Wirkung des Wassers aber erschließt sich, so sagt er, nicht durch einmaligen Gebrauch! Die Christen sind demnach gewissermaßen Schmutzfinken.
Gott ist eine Apotheose der Menschheit, das Stammbuch, in das die Menschen ihre erhabensten Gedanken eintragen. Der Mensch ist des Menschen wahrer und einziger Gott. Warum sonst sagte Martin Luther in einer seiner Tischreden:
»Deus et Cultus sunt Relativa, Gott und Gottesdienst gehören zusammen, eins kann ohn das andere nicht sein, denn Gott muss je eines Menschen oder Volkes Gott sein und ist allzeit in predicamento relationis, referiert und ziehet sich aufeinander. Gott will etliche haben, die ihn anrufen und ehren, denn einen Gott haben und ihn ehren, gehören zusammen, sunt relativa wie Mann und Weib im Ehestand, keines kann ohn das andere sein.«
Der liebende Gott muss menschlich sein, denn wie sonst könnte er Menschen lieben — es sei denn so, wie Menschen Frösche oder Flöhe lieben, für die sie sicher nicht ihr einziges Kind zu Tode martern lassen würden? Entfernt die Religion die Gottheit hingegen allzusehr vom Menschen und macht sie zum unnahbaren Richter und zum leidensunfähigen abstrakt höchsten Wesen, dann entlarvt Feuerbach auch dies als menschliche Projektion — der menschlichen Vorstellung von der Natur und von der Bedeutung der puren Existenz. Außerdem jedoch bezahlt das Dogma solche Rückzüge Gottes in die Unnahbarkeit mit einem kaum verschleierten Rückfall in die Vielgötterei. Eine Heerschar von Propheten und Heiligen, Engeln und sonstigen (gar blutsverwandten) Mittlerpersonen erfüllen das Bedürfnis nach bildhafter und sinnlicher Konkretheit. Ohne sie ist Religion nur eine blasse Verstandesabart ihrer selbst und nichts für große Massen.
Feuerbachs Kritik der Religion hat ein enzyklopädisches Moment, da er alle religiösen Inhalte, die er kennt oder zu kennen glaubt, Revue passieren lässt und immer nach demselben Schema als fantastische Überhöhung bzw. falsche Konkretisierung eines durchaus zu bejahenden mehr oder weniger allgemeingültigen Aspekts des menschlichen Hoffens und Sehnens darstellt. Feuerbach heiligt die einfachen Dinge, die Menschen brauchen, er heiligt die Liebe und die Begeisterung für überindividuelle Zwecke — in diesem Sinne bleibt er »religiös«.
Feuerbachs Ansatz wurde von Marx aufgegriffen. Spätere (vorgeblich) »marxistische« Religionskritik ist häufig ein Rückfall in die vorfeuerbachsche Aufklärung gewesen (oder in einen manchmal unterhaltsamen, aber doch weitgehend witzlosen Antiklerikalismus). Revolutionär kann nur die Einfühlung in die Seelen der wirklich überzeugt religiösen Menschen sein, während rein konventionelle Religiosität unter aller Kritik steht.
Für Marx war die Religion »Seufzer der bedrängten Kreatur« und »illusorisches Glück« des Volkes. Aus seiner Sicht kann die Religion nur aufgehoben werden durch Eroberung des »wirklichen Glücks«. Die Trennung von Kirche und Staat ist keine sozialistische, sondern eine elementare bürgerlich-demokratische Forderung, die übrigens in Deutschland noch lange nicht erfüllt ist. Religion muss Privatsache sein, und es gibt viele Religionen. Die Schule muss darüber informieren, aber konfessioneller Unterricht ist unzulässig. Sozialistische Revolutionäre mit marxistischem Selbstverständnis begegnen religiösen Menschen allerdings weder überheblich noch belehrend, sondern versuchen, sie zu Schritten der Selbstbefreiung zu ermutigen.
Anfang und Endpunkt der Religion ist für Feuerbach das Gebet. Wenn wir nicht mehr beten, verlieren wir etwas. Zwar ist die Vorstellung vom Gesprächspartner falsch, wenn wir glauben, wir sprächen mit einer Gottheit (oder mit einem Mittlerwesen) als einer außer uns existierenden Person. In Wirklichkeit ist das Gebet ein Dialog mit dem eigenen Gemüt. Feuerbach sagt:
»Die positive, wahre Bedeutung und Lehre der Religion ist: Mensch, gehe in dich! Sei bei und in dir selbst zu Hause! Sammle dich: Bete! Beten heißt sich sammeln, den zerstreuenden Dialog des Lebens in den ernsten Monolog der Selbstbesinnung übersetzen. Hierin stimmt die Philosophie mit der Religion überein; hierin, und nur hierin allein, liegt die sittliche Heilkraft und die theoretische Wahrheit der Religion.«
Mir scheint, das wird zu wenig beherzigt. Dabei ist an dieser Stelle der fast unsichtbare Faden eingeflochten, der die mögliche Veränderung des einzelnen Menschen mit der Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse verbindet. Wer wie unter Zwang immer wieder dasselbe Unbefriedigende, Sinnlose, nach eigenem Urteil Falsche oder Böse tut, kommt da heraus durch ein einfaches Programm: Aufhören, sich besinnen, sich die wahren eigenen Wünsche erschließen, und dann endlich so menschenwürdig leben, wie die Umstände es zulassen. Dasselbe Programm, durchgeführt von einer großen Masse von Menschen, führt zur sozialistischen Revolution, wobei Menschen zugleich sich selbst und die Umstände ändern. Nur dass hier diese Selbstbesinnung der Vielen in ihren Tretmühlen — Was mache ich hier eigentlich? Was soll das? Muss das wirklich so sein? — einen neuen gesellschaftlichen Freiraum für selbstbestimmte Tätigkeit schafft, während das »Gebet« des Einzelnen zunächst »nur« die heilsame Umkehr dieses Einzelnen ermöglicht.
Das ist nun schon nicht mehr Feuerbach gewesen, sondern eine Skizze meiner eigenen Revolutionstheorie. Feuerbach war trotz des »nur anschauenden Materialismus«, den Marx ihm vorwarf, durchaus nicht »unpolitisch«. Er gehörte zur demokratischen Linken im Paulskirchenparlament und in der Revolution von 1848, obwohl er damals die Revolution »in den Köpfen« für das Wichtigste hielt und gegen das hitzige »Dreinschlagen« war. Er wollte die Köpfe von den »religiösen Residuen« befreien (etwa mit seinen »Heidelberger Vorlesungen« in der Revolutionszeit) und so eine demokratische Zukunft vorbereiten helfen. Die Christen nämlich seien insofern »unfähig zur Republik«, als sie »ihre Republik« bereits »im Himmel« hätten und sie hienieden daher nicht bräuchten. Ein wichtiger Gedanke! Die uns bekannten Religionen enthalten alle ein Stück Resignation, ein Stück Verzicht auf die Verwirklichung der Träume von einem besseren Leben.
Für Karl Marx und Friedrich Engels war mit Feuerbachs Beitrag die Kritik der Religion erledigt. Man musste nun zur Kritik des Jammertals übergehen, welches den religiösen Projektionen zugrunde liegt. Zugleich bezeichneten sie Feuerbachs Position als das »letzte Wort«, das überhaupt gesprochen werden kann vor dem Übergang zur Arbeit an der Umwälzung der bestehenden Verhältnisse:
»Feuerbachs ganze Deduktion in Beziehung auf das Verhältnis der Menschen zueinander geht nur dahin, zu beweisen, dass die Menschen einander nötig haben und immer gehabt haben. Er will das Bewusstsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie die übrigen Theoretiker, nur ein richtiges Bewusstsein über ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem wirklichen Kommunisten darauf ankommt, dies Bestehende umzustürzen. Wir erkennen es übrigens vollständig an, dass Feuerbach, indem er das Bewusstsein gerade dieser Tatsache zu erzeugen strebt, so weit geht, wie ein Theoretiker überhaupt gehen kann, ohne aufzuhören, Theoretiker und Philosoph zu sein.«
Vier Jahre vor seinem Tod las Feuerbach Marx‘ Kapital und trat der Sozialdemokratie bei. In einem Brief an einen Freund drückt er 1870 sein Bedauern darüber aus, sich nur noch lesend, passiv aneignend den beiden »Grundfragen der Zeit« widmen zu können, nämlich der Emanzipation der Arbeiterklasse und der Emanzipation des weiblichen Geschlechts. Er wollte nicht mehr nur im philosophischen Sinne »Gemeinmensch, daher Kommunist« sein, sondern auch das Bestehende umstürzen. Seine letzte Lebenszeit war von Krankheit und Armut überschattet. Er starb am 13.September 1872.
Feuerbach ist nun schon lange tot; und doch ist er aktuell geblieben. Vergleichen wir die heutige Zeit mit den 1970er Jahren, dann ist klar: Die Religion ist auf dem Vormarsch, dazu in Form des »Fundamentalismus«, d.h., in begeisterter, bildhaft-konkreter, ekstatischer Form. Das ist Ausdruck der zerschlagenen Hoffnungen, dass irdische Jammertal gestützt auf weltliche Konzeptionen umwälzen zu können. Darum müssen wir die Hoffnung neu erfinden und den Kampf für die bessere Welt, den Kampf um unsere Welt fortführen. Aber die sinnvolle Art und Weise, die Religion zu kritisieren, brauchen wir nicht neu zu erfinden. Dafür müssen wir uns nur auf Feuerbach besinnen.

Manuel Kellner

Von unserem Autor erschien beim ISP-Verlag: M.Kellner, Feuerbachs Religionskritik, Frankfurt 1988.
Eine umfassende Ausgabe der Werke Feuerbachs erschien bei Suhrkamp: L.Feuerbach, Werke in sechs Bänden (Hg. E.Thies), Frankfurt 1975.



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