SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 7

Ausgequetscht und weggeworfen

Jugendliche erhalten »Chance« bei den Sozialverbänden

Die Wohlfahrtsverbände Caritas, Rotes Kreuz, der Paritätische Wohlfahrtsverband und in einigen Regionen auch das Diakonische Werk gehören zu den Glücksrittern von Hartz IV. Sie wollen arbeitslose Jugendliche zu einem Stundenlohn von 1—2 Euro beschäftigen. Die angekündigten Arbeitsgelegenheiten sind nicht sozialversichert. Die 1-Euro-Jobs sind ein Nachfolgeprojekt zum Programm »Hilfe zur Arbeit«, mit dem die Wohlfahrtsverbände zusätzliche Stellen eingerichtet hatten, um Sozialhilfebeziehende ein Jahr zu beschäftigten.
Der Wuppertaler Selbsthilfe- und Arbeitslosenverein Tacheles sieht darin einen Paradigmenwechsel. Seine Kritik richtet sich hauptsächlich gegen die Caritas, die dies als erste angekündigt hatte. Bisher sei man sich einig gewesen, Hartz IV abzulehnen. Nun nutzten die Sozialverbände den Arbeitszwang, der auf den Jugendlichen lastet, um sich billige Arbeitskräfte zu verschaffen. Der Arbeitszwang im Hartz IV-Gesetz werde damit gesellschaftsfähig gemacht. Die Caritas will im Niedrigstlohnsektor mehrere zehntausend »Arbeitsgelegenheiten« für Erwerbslose schaffen, die ALG II beziehen. Auch die AWO rechnet mit 2500 Neueinstellungen im eigenen Haus im nächsten Jahr.
Harald Thomé vom Tacheles e.V. hat die Sozialverbände aufgefordert, sich eindeutig auf die Seite der Betroffenen zu stellen. Aus seiner Sicht macht eine solche Beschäftigung keinen Sinn. Da sie nicht sozialversichert ist, erhalten die Betroffenen kein Arbeitslosengeld, wenn die Beschäftigung zu Ende ist. Sie bekommen deshalb auch keine Chance, in den ersten Arbeitsmarkt einsteigen zu können. Die Jugendlichen drehen sich — mit und ohne unterbezahlte Jobs — in einem Kreislauf der Armut. »Junge Menschen aber brauchen Qualifikation und Training, keine Zwangstätigkeiten.«
Die Caritas hat angekündigt, damit mehrere tausend unbesetzte Zivildienststellen besetzen zu wollen. Ihr Sprecher im Bistum Essen, Rudi Löffelsend, hat die Kritik zurückgewiesen, der Verband wolle auf diese Weise reguläre Arbeitsplätze abbauen. »Es handelt sich nur um zusätzliche Arbeiten, die z.B. in der Pflege nicht notwendig sind, aber die Lebensqualität der Gepflegten erheblich erhöhen.« Der gesetzliche Pflegeschlüssel schreibe auch vor, wie viele Fachkräfte pro Station vorhanden sein müssen. Hartz IV schreibt vor, dass die »Arbeitsgelegenheiten« nur zusätzliche Stellen sein dürfen. Harald Thomé hält diese Vorschrift jedoch für nicht überprüfbar.
Auch die Diakonie lehnt solche Arbeitsplätze nicht generell ab. Sie setzt sich vielmehr dafür ein, dass »solche Jobangebote mit einer garantierten Mindestdauer angeboten und sozialpädagogisch begleitet werden«, erklärte Diakonie-Präsident Jürgen Gohde. Die diakonischen Träger sollten sich an Modellprojekten beteiligen. »Wir haben Interesse am Erfolg der Arbeitsmarktreform.«
Die Diakonie will zusammen mit den kommunalen Arbeitsverwaltungen und der Bundesagentur für Arbeit ein gemeinsames Konzept für Niedrigstjobs entwickeln. Andere Stellungnahmen aus der Diakonie warnen allerdings vor einem »Verdrängungswettbewerb« auf dem Arbeitsmarkt. Die bei Sozialhilfebeziehenden üblichen Hilfe zur Arbeit habe ohnehin den »Charakter von Schikane« äußert sich die Direktorin Susanne Kahl-Passoth. Für dringender hält sie es, dass die Diakonieberatungsstellen Erwerbslosen beim Ausfüllen des Fragebogens zum Arbeitslosengeld II helfen. Diese Befragung sei »menschenunwürdig«. Die Wohlfahrtsverbände sollten auch gemeinsame mit den Arbeitsagenturen verhandeln.
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) möchte mit dem Projekt »Gemeinwohlarbeit« schon im Herbst starten.
Die AWO sieht sich »aufgefordert, den Prozess des ›Förderns und Forderns‹ aktiv mit zu gestalten. Denn alle bisherigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente und Maßnahmen haben die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit nicht beseitigen können.Deshalb verdienten Hartz IV und andere Instrumente eine Chance zum Neuanfang«, heißt es in einer Pressemitteilung der AWO.

Angela Klein

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