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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 20

Über Walter Moßmann

Flugblattlieder und mehr

Walter Moßmann: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie & Apokrüfen, München: Trikont-Verlag, 2004. 4 CDs und Booklets mit Anmerkungen, Dokumenten, Fotos und kritischen Kommentaren von Walter Moßmann. 30 Euro

»Eins ist klar«, so Walter Moßmann in den 70er Jahren, »man kann keine politisch noch so genussvolle Stimmung schaffen, mit scheinbar politischen Liedern, wo eigentlich kein Gedanke mehr vermittelt wird. Die Gefahr ist bei Liedern sehr groß, weil Musik ja immer etwas sehr unkontrolliertes, archaisches hat, gerade bei Liedern, die auch mit alten, traditionellen Mustern arbeiten. Deshalb versuche ich bei den Liedern, die ich mache, die Sprache und das Wort ziemlich in den Vordergrund zu stellen.«
Viele kennen den sprachlich versierten Liedermacher Moßmann noch als den Sänger der Anti-AKW-Bewegung aus den 70er und 80er Jahren. Der Trikont-Verlag hat nun seine gesammelten Lieder von 1964 bis 1983 herausgebracht. Und für sein Schaffen hat Walter Moßmann Anfang Juli in Rudolstadt den renommierten Ehrenruth-Preis für Folksänger bekommen.
»Ein Sonntag im tiefsten Frieden: Die Bäume sind grün, die Erdbeeren blühen, und die Nachbarin trägt schwer an ihrem Gebetbuch. Es riecht nach Schweinebraten. Ein Sonntag im tiefsten Frieden. Alles blitz und blank, dem Herrgott sei Dank, für Speis und Trank, außerdem haben wir Fernsehen. Es riecht nach Schweinebraten.«
Bei Walter Moßmann platzt am Sonntag, den 1.Mai 1983, in diese vordergründige Idylle seiner badischen Heimat die Nachricht vom Tod seines Freundes Tonio Pflaum. Ein gewaltsamer Tod. Eine wahre Geschichte.
»Gegen Mittag ruft mich die Christiane an. Sie sagt: Ich weiß nicht, ob du es schon weißt, aber: Sie haben den Tonio erschossen. Es war im Norden von Nikaragua. Sie haben einen Bus angehalten, sie haben 14 Menschen gezwungen, auszusteigen. Dann haben sie alle 14 abgeknallt. Einer von den 14 war der Tonio.«
Walter Moßmann, der singende Egon Erwin Kisch, verarbeitete diese Geschichte zum »Unruhigen Requiem«, seinem wohl bekanntesten musikalischen Stück, für das er den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielt. Das »Unruhige Requiem« nennt Walter Moßmannn selbst eine Chantstory, eine mit Chansons durchsetzte Geschichte. Sie kündet auch eine neue Periode seines künstlerischen Schaffens an: Sprache und Wort stehen anders als bei seinen Flugblattliedern aus den 60er und 70er Jahren nicht mehr allein im Vordergrund. Das »Unruhige Requiem« ist ein atmosphärisch dichtes Kollektivwerk, das er gemeinsam mit dem Frankfurter Jazzmusiker Heiner Goebbels geschaffen hat: Walter Moßmann dichtete, komponierte und spielte die Gitarre, Heiner Goebbels untermalte mit einer Ton- und Geräuschcollage. Beide treten in einen Dialog. Gemeinsam brechen sie, sprachlich und musikalisch, die deutsche Spießeridylle mit der brutalen Realität in Nikaragua. Aber es bleibt nicht bei Betroffenheit. Walter Moßmann beschreibt nicht nur, er hinterfragt und klagt an.
»Die Mörder kommen aus US-amerikanischen Trainingscamps. Aber das Wort meint keine Zeltlager, in denen Leichtathleten trainieren, das Wort meint Kasernen, in denen Menschen zu Killern abgerichtet werden. Die Lehrmeister werden geschickt aus Washington, die Mordwerkzeuge werden bezahlt aus Washington. In Washington nennt man die Killer Freiheitskämpfer. Ich habe mich daran gewöhnt, das alles zu wissen … Mein Blick weicht aus zu den Mördern. Wenn ich ihre Spur zurückverfolge, komme ich im Fernsehen an. Dort sehe ich den Hauptdarsteller des freien Westens, den Komödianten mit der Dallas-Fresse, daneben steht einer der Hauptdarsteller in Bonn. Der macht einen Bückling und sagt: Wir stehen, wo wir stehen müssen, auf der Seite der Freiheit, auf der Seite unserer Freunde. Er sagt nicht: Wir stehen auf der Seite der Killer. Das sagt er nicht …
Schlecht eingerichtet im Pariser Exil stellt die Stimme Lateinamerikas die alten Fragen, die bei uns aus der Mode gekommen sind: ich frage die Anwesenden: ist euch der Gedanke so fremd, dass die Welt uns allen gehört und nicht nur denen, die das Geld haben? … Ist euch der Gedanke so fremd, dass uns das gehört, was unsere Hände schaffen?«
Das »Unruhige Requiem« mündet schließlich in ein Lied von Daniel Viglietti, einer der großen Stimmen Lateinamerikas. Das ist typisch für Walter Moßmann. Wie seine eigenen Lieder sah er auch die der Kollegen als Gemeineigentum an, das er benutzte und verfremdete. In dieser Sammlung auf vier CDs, die viele seiner Balladen, Chansons und Flugblattlieder von 1964 bis 1983 umfasst und im Juli herausgegeben wurde, finden sich zahlreiche Beispiele dafür. Er bediente sich nicht nur bei lateinamerikanischen Liedermachern, sondern auch bei der Kirche, z.B. in seinem »Lied vom leistungsgerechten Tod«, das er 1976 geschrieben hat. In diesem Lied singt Walter Moßmann gegen immer lauter läutende Kirchenglocken an und landet in der letzten Strophe schließlich im Fortissimo.
»Erst im Akkord ein armes Schwein, dann auf‘m Müll, mit Stempelschein, dann bloß noch die soziale Last: Hier mal ein Bruch und dort im Knast. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, wenn einer so zu Boden fällt? Der Bischof glänzt im Goldornat, die Kirche küsst den Vater Staat. ›Der Aufschwung kommt! Es werde Licht!‹ Sagt uns ein Fernseh- Grinsgesicht. So wollen wir all danken dir, unserm Erlöser für und für. Die Stadt kauft ein, die Luft ist lau. Da fällt ein Mensch, der Mensch ist blau. Die Leute gehen still vorbei und denken fromm an Polizei. Da leidet einer bittere Not, vor Augen steht der kalte Tod. Es stirbt sich schnell in diesem Staat, wo jeder seine Chance hat: Wenn oben einer arriviert, dann bloß, weil unten wer krepiert. Ihr Wolken brecht und kotzt euch aus, aufs Gottes- und aufs Herrenhaus.«
»Ich habe«, so Walter Moßmann, »jedenfalls als ich wieder angefangen habe, Lieder zu machen, so um 1974, in erster Linie nur Lieder veröffentlicht, von denen ich dachte, sie hätten einen öffentlichen Gebrauchswert. Also ganz eindeutig politische Lieder.«
Obwohl seine Lieder wie das vom »leistungsgerechten Tod« angesichts neoliberaler Politik heute einen besonders hohen Gebrauchswert haben, sieht Walter Moßmann in seiner jüngsten Veröffentlichung beim Trikont-Verlag nicht in erster Linie eine Botschaft an die heutige Gesellschaft, sondern Zeitdokumente. Sie sollen eine Lücke in der Darstellung einer historischen Periode schließen, sagt er. Viele seiner Kollegen und frühen Weggefährten aus den frühen 60er Jahren, z.B. Franz-Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp, traten später vor allem auf Pressefesten und Festivals der DKP auf. Doch Walter Moßmann war alles andere als ein Parteigänger Moskaus und fühlte sich der Anti-AKW-Bewegung und der undogmatischen Linken zugehörig.
»Die eisernen Stanzen verbot die Zensur nach Stalins blutigem Verrat. Seither parodieren seine Nachfolger nur den Refrain von Petrograd: Lobt mir den Roten Oktober nicht, ihr Fälscher auf Staatstribünen.«
Das Lied »Roter Oktober« schrieb Walter Moßmann eigens für eine Veranstaltung in Hamburg 1967, die zu Ehren der Oktoberrevolution stattfand. Das Lied verfehlte nicht den beabsichtigten Eklat: die eine Hälfte des Publikums klatschte, die andere pfiff ihn aus. Ihn trennt heute aber auch vieles von Wolf Biermann, den er damals gegenüber den DKP-Barden verteidigte. Biermann, der heute auch für die politische Rechte aufspielt, stößt bei Walter Moßmann auf Unverständnis. Wenn wir uns manchmal treffen, sagt Walter Moßmann, sind wir zwei ältere Männer, die zusammen einen Rotwein trinken und bestimmte Themen aussparen. Die Zeit habe sie damals zusammengewürfelt, aber das gemeinsame Dritte, das sie damals verbunden hätte, sei verschwunden.
Verschwunden wie auch viele Weggefährten der 68er. Einige auch durch Selbstmord. Einen solchen Tod besingt Walter Moßmann in seinem Lied »Fehlanzeige« und hat dabei, so sagt er, sehr viel Persönliches projiziert.
»Seit 68 lebt er provisorisch im Hinblick auf die Revolution. Sein Kopf erwartet so was wie ein Weltgericht, sein Bauch erwartet eine Explosion. Sein Haar wird langsam grau, die Sache zieht sich, die Macht hat sich verdammt stabilisiert. Die Massen lutschen Politik am Fernsehschirm und Marx ist tot und Mao balsamiert.«
Auch wenn viele seiner Lieder, besonders die aus den 80er Jahren, melancholische Züge tragen, bezeichnete Walter Moßmann seine Haltung in einer WDR-Sendung von 1985 noch als optimistisch. Rückblickend speiste sich dieser Optimismus weniger aus seiner eigenen Person, sondern entsprang dem Glück, so sagt er, in den 70er und 80er Jahren am Oberrhein gelebt zu haben. Dort, im Dreiländereck, gab es die grenzüberschreitenden Bewegung gegen das Kernkraftwerk in Wyhl. Sie war verbindlich und erfolgreich, das hat man nicht so oft im Leben, sagt heute Walter Moßmann, dessen Lieder so untrennbar mit dieser Bewegung verbunden waren.
Seitdem hat er Rückschläge erfahren, auch persönlich. Durch Kehlkopfkrebs, der ihm in den 90er Jahren das Singen unmöglich gemacht hat. Dass er nicht mehr als Sänger auftreten kann, bekümmert ihn nicht so sehr. Er hat heute andere Bühnen gefunden: Er schreibt Theaterstücke und Opern, in denen er zum Beispiel die Wendehälse der 1848er Revolution in Baden beschreibt und damit auch Lebenswege vieler 68er verarbeitet; er engagiert sich im ukrainischen Lemberg für die dortige Avantgardekultur der 20er Jahre, die hierzulande weitgehend unbekannt ist. Und weil die EU-Außengrenze den regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch in der polnisch-ukrainischen Grenzregion stark behindert, ist auch diese Grenze zur Zielscheibe seiner Kritik geworden. Auch hier arbeitet er, wie damals im Dreyeckland, an grenzüberschreitenden Initiativen.
Was er aber trotz der Aktivitäten nicht verschmerzt ist der Verlust des Körpergefühls, das er beim Singen gespürt hat. Für ihn war es ein kraftvoller Lebensausdruck, der nicht zu ersetzen ist.

Gerhard Klas

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