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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 20

Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!

Rebellische Widerworte, Hamburg: Edition Nautilus, 2004

»Mit einer ernsthaften Lust zum Scherzen ausgestattet gehen wir heute los, um ein Stück Geschichte zu machen, zu erzählen, aufzubauen, zu schreiben. Wir sind entschlossen, dem Ganzen einen Sinn zu geben.«
Solche Zitate allein machen schon das Buch empfehlenswert, und der Herausgeber Lutz Schulenburg hat davon viele zusammengestellt — aus Anlass des 30-jährigen Verlagsjubiläums. Aus der Geschichte der Rebellionen in Taten, Worten, Kunst und Politik wird hier ein Fundstück nach dem anderen präsentiert. »Tu, was du willst«, steht über der Tür eines anarchistischen Bergmanns aus der Borinage, von Victor Serge in seiner kommunistischen Kolonie aufgesucht. Diese Menschen wollen sich nicht gefallen lassen, dass ihnen versprochen wird, die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft müsse durch ihren Verzicht errungen werden.
Texte aus mehreren Jahrhunderten, von Hölderlin und Büchner, Flora Tristan und Louise Michel aus dem 19. bis zu Schriften und Reden der letzten Jahre etwa von Subcomandante Marcos, Arundhati Roy und José Bové sind in dem Buch verbunden, das als Titel Che Guevaras Worte zitiert.
Hier sind nebeneinander gestellt Radikale der vergangenen Revolutionen, der Arbeiterbewegung, Anarchisten und rebellische Frauen und Männer, die schon immer fanden, dass »eine andere Welt möglich« sei, und dass sie nicht zu warten haben, bis die Mächtigen ihnen diese erlauben würden. Auch Dieter Kunzelmann, Inge Viett und TonSteineScherben sind vertreten.
Mir gefällt, dass das Buch nicht nur eine Sammlung von programmatischen Texten ist, sondern über lebendige Menschen berichtet, die ihre Ideen entwickeln oder einfach in der Praxis zeigen, was sie anderes haben wollen. So über Margret Zimbal, eine Frau aus dem spanischen Bürgerkrieg, zu Georg von Rauch, zu Joe Hill, einem Arbeiterorganisator und Liedermacher, zu denen, die nicht im Vordergrund stehen, wenn über »Geschichte« geschrieben wird.
»Ich fordere die Rechte der Frau, die nicht die Dienerin des Mannes ist … Ich kämpfe nicht zum Vergnügen, sondern wie ein Mensch, der wirklich kämpfen will und der es an der Zeit findet, den sozialen Verbrechen ein Ende zu machen« schreibt Louise Michel, Teilnehmerin an der Pariser Kommune, gibt damit ein Stichwort für viele in diesem Buch.
Viele quer zur »herrschenden« Revolution denkende Menschen, anarchistisch oder libertär denkend und handelnd, sind vertreten. Mir gefällt, was Emma Goldmann 1924 nach der russischen Revolution schreibt: »Es gibt keinen größeren Irrtum als den Glauben, Ziele und Zwecke seien eine Sache, Methoden und Taktiken eine andere. Diese Konzeption bedeutet eine potenzielle Bedrohung aller sozialen Erneuerung ... Das Endziel aller revolutionären sozialen Veränderung ist die Heiligkeit des Lebens, die Würde des Menschen, das Recht des Individuums auf Freiheit und Glück … Ihr erster ethischer Grundsatz ist die Identität der angewandten Mittel mit den verfolgten Zielen … Revolution ist der Spiegel des kommenden Tages.«
Mir fehlt in dem Buch eine genauere Lebensgeschichte der Autorinnen und Autoren, da viele doch nicht so bekannt sind. Der Herausgeber setzt wohl darauf, dass die Quellen, aus denen er die Texte zusammengestellt hat, im ausführlicheren Original gelesen werden.
Ein Anregung für weiteres Denken, Lesen und Handeln ist damit gemacht.

Rolf Euler

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