SoZSozialistische Zeitung |
Helmut Kohl hat es gut, er hat seinen Platz in der herrschenden Geschichtsschreibung sicher. Nicht als der Kanzler der geistig-
moralischen Wende, als der er angetreten war. Auch nicht als deutscher Ronald Reagan oder deutsche Maggie Thatcher, die ihm politisch-ideologisch damals
Vorbild waren. Das wussten vor allem die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung mit ihrem Kampf um die 35-Stunden-Woche und ein alternatives Milieu, das
damals noch überwiegend links und in der Lage und willens war, politisch zu intervenieren, recht erfolgreich zu verhindern. Eine von allen Beteiligten
unerwartete Laune der Geschichte, gleichsam jene Gnade der späten Geburt, auf die er sich immer so gerne berufen hatte, machte ihn im Angesicht einer
weltpolitischen Dynamik, auf die er selbst keinen Einfluss hatte und zu einer Zeit, als er eigentlich schon gestürzt war, immerhin noch zum »Kanzler
der deutschen Einheit«.
Gerhard Schröder dagegen hat es schlecht, er muss um seinen Platz in der
Geschichtsschreibung der Herrschenden noch kämpfen. 1998 angetreten als Kanzler einer sozialen und ökologischen Modernisierung, wusste dies
das deutsche und internationale Kapital zu verhindern. Es kam zu jener denkwürdigen Kabinettssitzung vom 10.März 1999, als Schröder
erstmals die Vertrauensfrage stellte und seine Minister Trittin (Umwelt) und Bergmann (Frauen und Familie) wegen vermeintlich wirtschaftsfeindlicher Politik
persönlich angriff: »Es ist weltweit einmalig, was sich da zusammenbraut«, zitierte der allzeit wohl informierte Spiegel Schröder,
»dass sich die gesamte Wirtschaft zurückhält mit Investitionen und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Es wird einen Punkt geben,
wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde!« Als Oskar Lafontaine damals verstand, dass Schröder
nicht dem investitionsstreikenden Kapital einen Riegel vorschieben wollte, sondern jenen Reformern, die Ansprüche formulierten und um deren
Durchsetzung rangen, trat er zurück. Die Würfel waren gefallen.
Seitdem herrschen Schröder und sein grüner Adlatus Joschka Fischer reichlich
unbeschränkt. Nicht mehr der Regierungsauftrag der ohnmächtigen Wählerschaft treibt sie seitdem an, sondern der jener ökonomischen
Machtelite, von deren Wohlwollen sie abhängig sind. Und den Inhalt dieses Auftrages hat jüngst der brandenburgische SPD-
Ministerpräsident Platzeck offen auf den Punkt gebracht, als er sich auf einer Wahlkampfveranstaltung verteidigte, dass es Rot-Grün deswegen so
schwer habe, weil sie das umzusetzen hätten, was in diesem Lande »zwanzig Jahre unerledigt geblieben« wäre. Man hätte es
kaum deutlicher sagen können: Rot-Grün ist die Aufgabe gestellt, jenen qualitativen Durchbruch in der Demontage des »rheinischen«
Sozialstaats zu vollbringen, den Kohl und Co. nur zu beginnen vermochten. Und man muss ihnen zugestehen, dass sie die mit dieser Aufgabe gleichsam
naturwüchsig verbundene »geistig-moralische Wende« ausgesprochen erfolgreich gemeistert haben. In der neokonservativen Kohl-Ära
jedenfalls wäre es undenkbar gewesen, dass ein solch lupenreiner neoliberaler Apparatschik wie Horst Köhler so unwidersprochen
Bundespräsident geworden wäre.
Gerhard Schröder hat keine Rücksichten mehr zu nehmen. Zwei
Legislaturperioden sind mehr, als er sich wahrscheinlich erträumt hat. Wenns mit der dritten nicht klappt, seis drum. Wichtiger ist, wie er
(und sein grüner Adlatus) in die herrschenden Geschichtsbücher eingehen wird. Da es mit dem Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen wohl nicht so schnell klappen dürfte und da der aufrechte Kämpfer europäischer Interessen gegen den US-Welthegemon in seine
diesbezüglichen Grenzen gewiesen wurde, bleibt nicht viel.
Wird er der Kanzler, der die großen »Reformen« mindestens auf den Weg
gebracht hat? Dann ist es seinen Mentoren egal, ob er die Sozialdemokratie politisch geköpft oder die Bevölkerung gegen sich aufgebracht hat. Zum
»elder statesman« à la Helmut Schmidt wird es allemal reichen. Man muss schließlich auch an sich selbst denken.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04