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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2004, Seite 4

Schröders Ziel

Über den Tag hinaus

von CHRISTOPH JÜNKE

Helmut Kohl hat es gut, er hat seinen Platz in der herrschenden Geschichtsschreibung sicher. Nicht als der Kanzler der geistig- moralischen Wende, als der er angetreten war. Auch nicht als deutscher Ronald Reagan oder deutsche Maggie Thatcher, die ihm politisch-ideologisch damals Vorbild waren. Das wussten vor allem die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung mit ihrem Kampf um die 35-Stunden-Woche und ein alternatives Milieu, das damals noch überwiegend links und in der Lage und willens war, politisch zu intervenieren, recht erfolgreich zu verhindern. Eine von allen Beteiligten unerwartete Laune der Geschichte, gleichsam jene Gnade der späten Geburt, auf die er sich immer so gerne berufen hatte, machte ihn im Angesicht einer weltpolitischen Dynamik, auf die er selbst keinen Einfluss hatte und zu einer Zeit, als er eigentlich schon gestürzt war, immerhin noch zum »Kanzler der deutschen Einheit«.
Gerhard Schröder dagegen hat es schlecht, er muss um seinen Platz in der Geschichtsschreibung der Herrschenden noch kämpfen. 1998 angetreten als Kanzler einer sozialen und ökologischen Modernisierung, wusste dies das deutsche und internationale Kapital zu verhindern. Es kam zu jener denkwürdigen Kabinettssitzung vom 10.März 1999, als Schröder erstmals die Vertrauensfrage stellte und seine Minister Trittin (Umwelt) und Bergmann (Frauen und Familie) wegen vermeintlich wirtschaftsfeindlicher Politik persönlich angriff: »Es ist weltweit einmalig, was sich da zusammenbraut«, zitierte der allzeit wohl informierte Spiegel Schröder, »dass sich die gesamte Wirtschaft zurückhält mit Investitionen und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Es wird einen Punkt geben, wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde!« Als Oskar Lafontaine damals verstand, dass Schröder nicht dem investitionsstreikenden Kapital einen Riegel vorschieben wollte, sondern jenen Reformern, die Ansprüche formulierten und um deren Durchsetzung rangen, trat er zurück. Die Würfel waren gefallen.
Seitdem herrschen Schröder und sein grüner Adlatus Joschka Fischer reichlich unbeschränkt. Nicht mehr der Regierungsauftrag der ohnmächtigen Wählerschaft treibt sie seitdem an, sondern der jener ökonomischen Machtelite, von deren Wohlwollen sie abhängig sind. Und den Inhalt dieses Auftrages hat jüngst der brandenburgische SPD- Ministerpräsident Platzeck offen auf den Punkt gebracht, als er sich auf einer Wahlkampfveranstaltung verteidigte, dass es Rot-Grün deswegen so schwer habe, weil sie das umzusetzen hätten, was in diesem Lande »zwanzig Jahre unerledigt geblieben« wäre. Man hätte es kaum deutlicher sagen können: Rot-Grün ist die Aufgabe gestellt, jenen qualitativen Durchbruch in der Demontage des »rheinischen« Sozialstaats zu vollbringen, den Kohl und Co. nur zu beginnen vermochten. Und man muss ihnen zugestehen, dass sie die mit dieser Aufgabe gleichsam naturwüchsig verbundene »geistig-moralische Wende« ausgesprochen erfolgreich gemeistert haben. In der neokonservativen Kohl-Ära jedenfalls wäre es undenkbar gewesen, dass ein solch lupenreiner neoliberaler Apparatschik wie Horst Köhler so unwidersprochen Bundespräsident geworden wäre.
Gerhard Schröder hat keine Rücksichten mehr zu nehmen. Zwei Legislaturperioden sind mehr, als er sich wahrscheinlich erträumt hat. Wenn‘s mit der dritten nicht klappt, sei‘s drum. Wichtiger ist, wie er (und sein grüner Adlatus) in die herrschenden Geschichtsbücher eingehen wird. Da es mit dem Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wohl nicht so schnell klappen dürfte und da der aufrechte Kämpfer europäischer Interessen gegen den US-Welthegemon in seine diesbezüglichen Grenzen gewiesen wurde, bleibt nicht viel.
Wird er der Kanzler, der die großen »Reformen« mindestens auf den Weg gebracht hat? Dann ist es seinen Mentoren egal, ob er die Sozialdemokratie politisch geköpft oder die Bevölkerung gegen sich aufgebracht hat. Zum »elder statesman« à la Helmut Schmidt wird es allemal reichen. Man muss schließlich auch an sich selbst denken.

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