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Selbst eingefleischte Kostverächter bürgerlicher Staatlichkeit und Medienmanipulation mussten sich ob dieser
Behandlung die Augen reiben und das Gruseln bekommen. Das Ausmaß an Hetze und Denunziation, das ein Oskar Lafontaine mit seinem Auftritt bei der
Leipziger Montagsdemonstration am 30.August geerntet hat, erinnert an das ideologische Klima zu Beginn des Jahres 1968.
Doch wo damals die innenpolitische Pistole gegen einen studentischen Agitator scharf gemacht
wurde, der zusammen mit Tausenden von studentischen Gleichgesinnten immerhin die sozialistische Räterevolution forderte und in Gedanken und Tat
vorbereitete, ist es diesmal ein Mann des Establishments selbst, der zum Feindbild Nummer eins erklärt wurde by any means necessary.
Hieß es noch am Abend fast einhellig in Rundfunk und Fernsehen, dass Lafontaines
Auftritt in Leipzig mit Buhrufen und Eierwürfen quittiert worden sei, ruderten vor allem die Printmedien schon am nächsten Tage zurück.
Nun mischten sich diese Buhrufe und Eierwürfe schon mit reichlich Applaus und Jubel,
bis immer offensichtlicher wurde, dass es nur ein Ei war, das geflogen kam, und dass die Buhrufe auch keine Buhrufe, sondern verhaltene Vorsicht einem Manne
gegenüber war, über dessen Motive sich viele Anwesende nicht zu Unrecht unsicher waren.
Doch anstatt nun klein beizugeben, ging das mediale Gezeter erst richtig los: Lafontaine, der
»Trittbrettfahrer« und »Rattenfänger«, der »pflichtvergessene Egomane« und »Wiedergänger Erich
Honeckers«, der »demagogische Populist« und »Brandstifter«. Berichte und Kommentatoren hielten sich nicht lange bei dem auf,
was Oskar Lafontaine in Leipzig wirklich sagte und man höre und staune in der jungen Welt veröffentlichte. Stattdessen bedienten
sie sich fleißig aus jenem Material, das »PR-Leute der Regierungspartei«, wie die Frankfurter Rundschau in einem Nebensatz offenbarte,
ihnen zugespielt hatten, und »das die Widersprüchlichkeit und Sprunghaftigkeit Lafontaines belegt«.
Der Hass gegen Lafontaine ist ehrlich, ernst gemeint und tief verwurzelt. Schon damals, 1999, nach seinem überraschenden Rücktritt von den
Staats- und Parteiämtern, vermochte die Polit- und Medienkamarilla in allem nur »eine lange Saga um Rivalität, Verrat und Rache«
(FR) zu sehen und erklärte den politischen Privatier zum psychopathologischen Wadenbeißer.
Schon damals ging es jedoch um mehr als die Abrechnung der Herrschenden mit einem ihrer
abgefallenen Söhne. Im Angesicht des unmittelbar bevorstehenden deutschen Militärgangs zum Balkan galt es mit Erfolg , die SPD-
Reihen fest zu schließen und mögliche Solidarisierungstendenzen bereits im Keim zu ersticken.
Mehr noch als früher ist Lafontaine auch heute eine wirkliche Gefahr für die
regierende Kaste. Gerade weil er Fleisch von ihrem Fleische ist, gerade weil er kein linker Revoluzzer war und ist, gerade weil er nur »das Beste für
die Seinen« will, ist er gefährlicher als alle bisherigen Massendemonstrationen mindestens solange diese keinen langen Atem beweisen.
Gerade weil Lafontaine aus der herrschenden »Reform«-Logik heraus
argumentiert und wie kein anderer aufzuzeigen imstande ist, dass es wirtschafts- und sozialpolitische Alternativen zum Kurs der großen Koalition gibt, die
nicht per se den Rahmen des herrschenden Systems zu sprengen brauchen, gerade deswegen spiegelt er den Geist einer Bewegung treffend wider, die noch
immer vor allem immanent denkt, die noch nicht die systemische Logik der herrschenden Ökonomie und regierenden Politik grundsätzlich in Frage
stellt.
Einmal mehr gehen deswegen linke Kritiken in die sektiererische Leere, die mit Lafontaine
nichts zu tun haben wollen, weil er kein Linker sei, weil er doch selbst einer der alten Garde sei und gelegentlich, in der Frage des Asylrechts bspw., noch immer
ganz und gar im Sumpf der herrschenden Logik wandele.
Wird dies wie bei Konkret und Jungle World auch noch garniert mit dem sattsam bekannten
Vorwurf, Lafontaine wolle das Nationale und das Soziale zusammendenken, sei also eigentlich ein Faschist, wird einmal mehr die ganze Komplizenschaft einer
solchen »Linken« mit den Verhältnissen, gegen die sie sich noch immer so immun betrachten, deutlich.
Mehr noch: Der ganze Zynismus wird sinnfällig, wenn gerade diejenigen, die historisch,
politisch und ideologisch wesentlich dazu beigetragen haben, dass die deutsche Linke dezimiert, zersplittert und desorientiert ist, sich nun beklagen, dass es vor
allem linke wie rechte Liberale sind, die zu Promotoren des gesellschaftspolitischen Unmuts geworden sind.
So droht das, was an Lafontaines Auftritt in Leipzig neu war, verkannt zu werden. Jenseits des bemerkenswerten Ausmaßes an »sanfter«
Repression, mit dem er stellvertretend für die demokratische Protestbewegung und den von dieser artikulierten gesellschaftlichen Unmut zum Buhmann
der Nation aufgebaut und politisch kriminalisiert wurde, ist da zum einen der verschärfte Ton ebenso wie der gewandelte Inhalt der lafontainschen Reden.
Immer offener greift er die neoliberalen Konterreformen als solche an und stellt deren
Ideologie von »Flexibilisierung« und »Eigenverantwortung« als Verschleierung (klassen)egoistischer Rücksichtslosigkeit
grundsätzlich und offen in Frage.
Neu ist vor allem jedoch, dass Lafontaine erstmals an jenem gordischen Knoten gerüttelt
hat, der ihn zeitlebens an die Strukturen des oligarchischen Parteienstaats gefesselt hat. Ob als Parteivorsitzender und Minister oder als Buchautor und
Kolumnist, an seinem ernst gemeinten Reformismus war wohl nie zu zweifeln.
Es fehlte jedoch gerade das, was einen wirklichen politischen Reformisten ausmacht: die
Bereitschaft, die Ausgangsbedingungen für einen Politikwechsel durch Anstacheln des dazu notwendigen Massenbewusstseins und durch Organisierung
gesellschaftlicher Gegenmacht zu verbessern. Lafontaines Auftritt in Leipzig ist ein Bruch mit dieser staatstragenden Tradition.
Und genau dies, dass sich hier einer mit der Widerstand leistenden Bevölkerung gemein
macht, der willens und in der Lage ist, ihr einen politischen Ausdruck zu verleihen, fürchten die Herrschenden und ihre »linken« Kopflanger
und denunzieren es fleißig als »Populismus«. Es gibt in der Tat allen Grund, einem Mann prinzipiell zu misstrauen, der sich als Bild-
Kolumnist betätigt. Keinen Grund gibt es allerdings, einen solchen »Populismus« zu fürchten.
Christoph Jünke
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