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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2004, Seite 7

Montagsdemonstrationen

Verbales Sperrfeuer von oben

Unter Kanzler Schröder, der von allen literarischen Gestalten am meisten Mackie Messer ähnelt, dauert nicht nur die Massenerwerbslosigkeit an. Es ist zugleich die Armutsquote gestiegen, allein 2000—2003 von 9,2 auf 12%.
Unter dem Beifall der Unternehmerverbände, die taktische Abweichungen vom harten Kurs stets unnachsichtig rügen, exekutieren die Regierenden den umfassendsten Sozialabbau deutscher Geschichte, und koste es den letzten SPD-Wähler.
Ein Gegner erwuchs ihnen in den neuen Montagsdemonstrationen, die am 29.Juli 2004 spontan in Magdeburg begannen, und deren Teilnehmerzahl im Osten rasch anstieg. Zu harter Repression derzeit außerstande, reagierten die Regierung und ihre Helfer mit verbalem Sperrfeuer.

Kommunistische Hinterlassenschaft?

Von »Experten« und Medien unterstützt, bündelten sie den zur Rechtfertigung von Agenda 2010 und Hartz IV ersonnenen Schwachsinn. Ob des Unverstands im Volk beschimpften SPD-Regierende die Massen, wobei sie zugleich Geschichte fälschten.
Clements Meisterstück war die Erklärung, die Wiederaufnahme der Montagsdemos von 1989 sei »eine Beleidigung der historischen Massendemonstrationen und der Zivilcourage, die viele Ostdeutsche damals gezeigt haben … Womit wir es in Deutschland als empfindlichstem Übel zu tun haben, gehört zur Hinterlassenschaft der Kommunisten: eine marode Staatswirtschaft, deren Zusammenbruch geradezu in die Arbeitslosigkeit führte.«
Nun weiß jeder, dass es zwischen den Demonstrationen damals und heute Unterschiede gibt. Damals richteten sie sich gegen ein politbürokratisches Regime, das nicht zur Demokratisierung bereit war, nicht aber gegen den Sozialstaat DDR. Heute gelten sie dem brutalstmöglichen Sozialstaatsabbau im reichsten Land Europas, das formal demokratisch ist.
Pfarrer Führer, dessen Leipziger Montagsgebete mit anschließender Demo die »friedliche Revolution« in der DDR auslösten, und viele weitere Prominente der Bürgerbewegung, die ihren Idealen treu blieben, weisen gleichwohl zu Recht darauf hin, dass die neuen Demonstrationen eine legitime Fortsetzung der alten sind. »Möglicherweise«, so Führer, »ist dies heute der Beginn des zweiten Teils der friedlichen Revolution, der ja noch aussteht«.
Zugleich ist mindestens im Osten der BRD jedem bekannt, dass der katastrophale Abstieg hierzulande nicht Honecker & Co. zu verdanken ist, sondern jenen, die mit bundesstaatlicher Unterstützung die Beute, die ihnen in der Ex-DDR zugefallen war, plünderten und ruinierten, den Bürgern das sog. Volkseigentum stahlen, Wissenschafts- und Kulturpotenziale zerstörten und Millionen in die Arbeitslosigkeit stürzten.

Rattenfänger?


Clement hat vorgebracht, er halte »die Montagsdemos für irregeleitete Veranstaltungen, bei denen vermutlich Wahlkampfzwecke der PDS eine größere Rolle spielen als die Sache selbst«. Hier werde »Hysterie im Volk erzeugt«, das sei »unerträglich«. Der Schweriner SPD-Ministerpräsident Ringstorff sekundierte ihm mit der These, unter den Demonstranten seien häufig Menschen, die von Hartz IV »nachweislich profitieren«.
DGB-Chef Sommer und seine Stellvertreterin Engelen-Kefer putzten die Demonstrierenden als von »rechten und linken Rattenfängern« Missbrauchte, ergo als von diesen einzufangende Ratten herunter. Schröder machte ein zwischen PDS und Union geschlossenes abartiges Bündnis aus: »Wenn man diese neue Volksfront und ihren gnadenlosen Populismus sieht, kann einem wirklich übel werden.« SPD-Generalsekretär Benneter sprach von einer »Allianz der Feigheit und Verantwortungslosigkeit«.
Die Rattenfänger-Vokabel erinnert an rechtskonservative und NS-Propaganda. Der Hinweis auf die Volksfront ist dagegen ein Flop. Diese richtete sich nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch darauf, regierende Parteien und deren Unterstützer zu stärken — eine Absicht, die heutigen Demonstranten fremd ist. Der SPD-Vorwurf an die Unionsadresse wurde schließlich fallen gelassen, die CDU/CSU durch Rechtsextreme als angebliche Bündnispartner der PDS ersetzt, nachdem sich Merkel und Stoiber — u.a. auf Druck der Unternehmerverbände — eilends wieder zu Hartz IV bekannt hatten.
Der Zorn der SPD-Regenten und ihrer blassgrünen Partner gilt weiter der PDS. Schröder warf ihr vor, sich mittels Demonstrationsteilnahme als nach »nationaler Verantwortung« drängende Kraft diskreditiert zu haben. Dabei machen vornehmlich die Berliner PDS-Senatoren brav und »gesetzestreu« beim Abbau des Sozialstaats mit, wofür der Regierende SPD- Bürgermeister sie lobte. Wenn andererseits Berlins PDS-Landesvorsitzender Liebich mit auf die Straße geht, geschieht das unter Druck der Mitglieder und wegen der Wähler.

Extreme Rechte?

Die Montagsdemonstranten müssen rechtsextreme Unterwanderungsversuche selbstverständlich genauso abwehren, wie die Okkupation der Mikrofone durch Hartz-IV-Anhänger kürzlich in Köln. Doch sind nicht sie für Existenz und Auftrieb der extremen Rechten verantwortlich, sondern jene im Establishment, die Neonazis weiter dulden, fördern und mit Milde behandeln.
Nicht »Hetze von außen« brachte Demonstranten auf die Straße, sondern der Hunderttausenden Betroffener zugestellte Fragebogen zu Hartz IV. Mit seiner obrigkeitlichen Ausforschungsgier sowie der Absicht, Gesetzesopfer zu demütigen und verstärkt zugunsten der von Steuern weitgehend befreiten Reichen auszunehmen, ist er ein vortreffliches Agitationsmaterial.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Steinbrück (SPD), dem sein bayerischer Amtskollege Stoiber (CSU) sekundierte, brachte ein neues Geschütz in Stellung. Unter der Maßgabe, dass es auch im Westen Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit gibt, drohte er den Ostdeutschen faktisch mit Verringerung zugesicherter Transferleistungen (die sowieso westdeutschen Handelsketten nutzen).
Den Vorstoß unterstützend, verlautbarten altbundesdeutsche Medien und Meinungsforscher, bis zu 52% der befragten Westdeutschen hielten die Leistungen an Ossis für zu hoch; ein Drittel erachte Letztere für undankbar. Jeder vierte Altbundes-, aber nur jeder achte Ostdeutsche hätte die 1989/90er »Wende« gern rückgängig gemacht.
Durch Partei- und Medienpropaganda wird derart auf die Unkenntnis westdeutscher Normalbürger über die Vorgänge vor 15 bzw. 14 Jahren auf DDR-Gebiet spekuliert, um sie gegen den »undankbaren Osten« aufzubringen und das Spiel »Divide et impera« zu treiben.
Drei Ehrenmänner gossen unterdes Öl aufs Feuer. Der vom IWF ins Bundespräsidentenamt delegierte Bankier Köhler tat kund, dass es »überall in der Republik große Unterschiede in den Lebensverhältnissen« gibt und geben werde. »Wer sie einebnen will, zementiert den Subventionsstaat und legt der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf.
Regierungschef Schröder verlautbarte, es sei verwerflich, wenn finanziell weniger Betuchte »bis in die Mittelschicht hinein« ihnen zustehende staatliche Leistungen mitnähmen, »auch wenn es eigentlich ein ausreichendes Arbeitseinkommen in der Familie gibt«. Derlei könne sich »auf Dauer kein Sozialstaat leisten, ohne daran zugrunde zu gehen«.
Unter Umkehrung der Realität taten beide so, als wären es nicht die Herrschenden und ihnen ergebene, hoch dotierte Politiker, die zwecks Selbstbereicherung die Reste des Sozialstaats schleifen. BDI-Präsident Rogowski aber kündigte die unternehmerische Absicht an, keinen Cent mehr zur sozialen Sicherung der Beschäftigten beizutragen, mithin zwei Jahrhunderte weit bis in die Zeit vor Bismarck zurückzugehen.

Manfred Behrend

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