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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2004, Seite 8

Die MLPD und die Montagsdemonstrationen

Führungsanspruch zurückgewiesen

Am 12.September erreichte viele Initiativen in der Bewegung gegen Hartz IV ein Schreiben der »Abteilung Volkswiderstand« des ZK der MLPD. Darin hieß es: »Die unter Federführung von Attac stattgefundenen Konferenz am 11.9.04 hat eine Spaltung der Montagsdemonstrationsbewegung vollzogen … Die Losung der Montagsdemonstrationsbewegung ›Weg mit Hartz IV — Das Volk sind wir‹ wurde auf der Konferenz am 11.9.04 niedergestimmt. Sie wurde ersetzt durch die reformistische Phrase nach ›sozialer Gerechtigkeit‹ und es wurde zu einer extra Demonstration am 2.Oktober aufgerufen … Diese Spaltung führt jetzt zum Ergebnis, dass ein offener Richtungskampf unter den Massen ausgetragen werden muss.«
Vorausgegangen war am 11.September eine bundesweite Konferenz der Montagsdemonstrationsbewegung im Haus des Buches in Leipzig, in deren Verlauf die Delegation der MLPD, geleitet von den ZK-Mitgliedern Dieter Ilius, Günter Slave und Reinhard Funk, eine Einigung torpediert hatte. Ein zusätzlicher Affront gegen die mehrheitlich aus Basisaktivisten bestehende Versammlung von ca. 170 Leuten war, dass die MLPD, kurz bevor der Termin für eine Demonstration beraten werden sollte, ein Flugblatt mit einem Aufruf zum Sternmarsch am 3.10. verteilte.
Dieser Termin sowie die Parole »Hartz IV muss weg — Wir sind das Volk!« waren als Ergebnis einer von 186 Teilnehmenden besuchten Konferenz zur Vernetzung der Montagsdemonstrationen am 28.August in Leipzig verbreitet worden. Allerdings hatten Teile der Bewegung zeitgleich getrennt in Berlin getagt.
Durch den Aufruf zu einer bundesweiten Koordinierung der Montagsdemonstrationen in der MLPD-Zeitung Rote Fahne vom 12.8.04 und eine fehlgeleitete Mail der Abteilung »Aktiver Volkswiderstand« des ZK der MLPD mit detaillierten Anweisungen zur Vorgehensweise war nämlich frühzeitig klar geworden, dass die MLPD beabsichtigte, die Bewegung unter ihrer Führung in Leipzig zu zentralisieren. Am 28.August fielen die genannten Beschlüsse und die Wahl eines Koordinierungskreises erst nach einer erzwungenen Übernahme der Tagungsleitung durch Monika Gärtner-Engel vom ZK der MLPD.
Bei Durchsicht der Teilnehmerlisten war darüber hinaus erkennbar, dass die MLPD mindestens 30 ihrer Mitglieder in die Delegationen der einzelnen Städte eingeschleust hatte. Nach der Konferenz distanzierten sich deshalb viele Delegationen von den Beschlüssen und nahmen am 11.September ohne Vorbedingungen an der Versammlung im Haus des Buches teil. Einzig die MLPD und ihr nahestehende Montagsaktionsbündnisse bestanden auf den Beschlüssen vom 28.August. Dem entsprechend versuchte Dieter Ilius, diese Beschlüsse auf der Konferenz am 11.September durchzusetzen.
Auf dieser Basis war keine Einigung zu erzielen. Dass am 2.Oktober, einem Samstag, mehr Demonstrierende aus dem gesamten Bundesgebiet einem Aufruf nach Berlin folgen würden, sich an diesem Tag auch mehr Berliner dem Demonstrationszug anschließen würden und schließlich international der Schulterschluss mit den Demonstrierenden in Amsterdam und Paris stattfinden könnte, überzeugte die Mehrheit der Versammelten, nicht aber die MLPD. Diese fixierte sich dann in der inhaltlichen Diskussion auf die Parole »Hartz IV muss weg — Wir sind das Volk!«, wohingegen sich eine sehr deutliche Mehrheit der Konferenz für die Losung »Soziale Gerechtigkeit statt Hartz IV — Wir haben Alternativen« aussprach.
Zwei Tage später, am 13.September, ging die MLPD bundesweit auf den Montagsdemonstrationen von der Einflussnahme zum unverhüllten Machtkampf über. Dabei konnte sie z.T. auf den Instrumenten und Strukturen aufbauen, die in den Wochen zuvor, wie im Montagsinfo aktuell Nr.2 (24.8.) vom ZK gefordert, installiert worden waren: offene Mikrofone, verbindliche Prinzipien für die Selbstorganisation und in geringerem Umfang aus den Initiativen heraus gebildete Komitees. Diese eigentlich sinnvollen Instrumente und Strukturen der Selbstorganisation wurden nun systematisch und ununterbrochen von der MLPD zur Agitation genutzt.
Die MLPD begründet diese Vorgehensweise mit dem notwendigen Kampf um die Richtung und die politische Selbstständigkeit der Montagsdemonstrationen. Sie sieht in diesen Demonstrationen eine gesellschaftsverändernde Kraft. Unter ihrer Führung sollen sie weg vom Reformismus und unabhängig vom Einfluss der bürgerlichen Linken höher entwickelt werden.
Bereits am 12.8. schrieb die Rote Fahne: »Die Montagsaktionen müssen ihre Selbständigkeit verteidigen. Deshalb ist größte Wachsamkeit geboten, wenn von Seiten der Gewerkschaftsbürokratie oder Attac- und PDS-Führern versucht wird, die Bewegung zu vereinnahmen bzw. zu reglementieren.«
Die Bedeutung der Montagsdemonstrationen sah der MLPD-Vorsitzende Stefan Engel in einem Interview in der Roten Fahne am 18.8. wie folgt: »Neu an diesen Massendemonstrationen ist auch, dass die MLPD darin fest verankert ist und an vielen Orten sogar eine führende und organisierende Rolle einnimmt … Diese Montagsbewegung muss erst einmal zu einer Millionen umfassenden Bewegung anwachsen … Erst auf dieser Grundlage sollten zentralisierte Aktionen, z.B. ein Marsch auf Berlin, durchgeführt werden, an denen sich nicht nur 100000, wie am 1.November 2003, sondern Millionen beteiligen. Das muss auch mit Streiks und Blockaden verbunden werden, wie wir das in Argentinien lernen konnten. Alles das kann die Regierung erschüttern und dazu führen, dass Hartz wirklich fällt. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass Hartz fällt, ohne dass die Regierung ihren Rücktritt erklären muss. Für die Entwicklung des Klassenbewusstseins und des Kampfs der Massen ist es von größter Bedeutung, dass es gelingt, tatsächlich die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.«
Inzwischen kann nicht mehr festgestellt werden, dass die MLPD in den Montagsdemonstrationen fest verankert ist oder dort eine führende Rolle einnimmt. Durch ihren Führungsanspruch, ihren Versuch, die übrigen politischen Kräfte aus der Bewegung zu drängen, und die Instrumentalisierung der Demonstrationen für eigene Ziele hat die MLPD sich viele Sympathien bei den Demonstrierenden verscherzt.
Die Demonstrierenden bauen eine Gegenwehr auf. Die Spaltung der Bewegung ist zum Teil das Ergebnis dieser Gegenwehr. Sie tritt da auf, wo die MLPD noch in einem Teil der Bewegung ihre Führung behaupten kann. Wie groß dieser Teil der Bewegung derzeit maximal ist, wird sich am 3.10. zeigen. Denn die MLPD muss allein für den von ihr geplanten Sternmarsch mobilisieren.

Edith Bartelmus-Scholich

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