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Auch bei den im Paritätischen Wohlfahrtsverband zusammengeschlossenen karitativen Organisationen gibt es eine
zunehmend positive Haltung gegenüber den sog. 1-Euro-Jobs. Angeblich wachsen damit Chancen, vor allem junge Menschen in Arbeit zu vermitteln. Im
kirchlichen Bereich sind es die Caritas bei der katholischen Kirche und die Diakonie bei den evangelischen Kirchen, die nun entweder konsequent für die
Interessen der Betroffenen und Beschäftigten einzutreten oder sich an den Clement-Kurs zu hängen und moralische oder ethische Bedenken
über Bord zu werfen haben. Für die SoZ sprach Rolf Euler mit Hans Hubbertz, dem Industrie- und Sozialpfarrer des Kirchenkreises Recklinghausen,
der bereits mit fantasievollen Aktionen (»Armut ist geil!«) auf die Folgen der Arbeitslosigkeit aufmerksam gemacht und Betroffene zu mobilisieren
versucht hat.
Sie sind Industrie- und Sozialpfarrer im Kirchenkreis Recklinghausen, also Protestant. Sind Sie auch ein Protestierender?
Wenn es um die Proteste gegen die Agenda 2010 geht, bin auch ich ein Protestierender. Angesichts der herrschenden Politik von Parlament und
Bundesrat, die den Sozialstaat mit der Abrissbirne bearbeiten und der angeblichen Alternativlosigkeit ist es angesagt, sich mit kreativen politischen Mitteln zur
Wehr zu setzen. Ich denke, es kommt derzeit darauf an, einerseits den neoliberalen Geist der sog. Reformen anzugreifen und andererseits an politischen
Alternativen zu arbeiten, die auch für die laufende Protestbewegung mehrheitsfähig sind.
nBundesweit »berühmt« geworden sind Sie durch die Aktion »Arm
sein ist geil!«, die in einem satirischen Flugblatt die Werbemethoden einiger Konzerne karikierte und die Auswirkungen des Sozialabbaus auf die
Betroffenen dadurch besonders eindrucksvoll schilderte. Leider ist das außer wohl im Internet beendet worden. War der Druck aus der
Industrie zu stark?
Mit unserer Reklame-Satire war es gelungen, eine Verbindung herzustellen zwischen der neuen
Tugend einer brüllenden Geizmentalität, die der Elektromarktkette 15% Umsatzzuwachs brachte, und der amtlichen Regierungspoltik, die sich das
Geld bei den gesellschaftlich Schwachen holt. So konnten wir den Warencharakter von Sozialleistungen und Arbeit augenzwinkernd unterstreichen.
Nach Auskunft der Zeitschrift Capital wirft der Metro-Konzern, der hinter der
Elektromarktkette steht, pro Jahr allein für Werbung 420 Millionen Euro ins Rennen. Das entspricht ungefähr dem Haushaltsvolumen der gesamten
Evangelischen Landeskirchen von Westfalen.
Ich persönlich fand, dass wir trotz der Größenverhältnisse zu schnell
eingeknickt sind, da ich nicht glaube, dass sie uns verklagt hätten. Aber das ist reine Spekulation. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Düsseldorfer
Obdachlosenzeitschrift fifty-fifty, die presserechtlich auf eigene Kappe für eine Weiterverbreitung unserer Flyer gesorgt hat, bis dato seitens der
Elektromarktkette nichts gehört hat…
Sie haben bei einer Montagsdemonstration im August in Recklinghausen eine mit Beifall bedachte Rede gehalten, was ist das Hauptanliegen dabei
gewesen?
Das Hauptanliegen der Rede war, bestimmte demagogische Anteile in der Debatte um Arbeitslosigkeit zu demaskieren. Nämlich, dass nicht die
von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen die Ursache der gegenwärtigen Krise sind, sondern dass das System der Lohnarbeit uns die Probleme beschert,
die als unlösbar dargestellt werden.
Die Arbeitslosen werden in der Polemik zum Missbrauch des Sozialstaats einerseits als
Täter deklariert. Gleichzeitig werden sie als dessen Opfer behandelt, die die Mindestlohnschranke der Sozialhilfesätze nicht unterbieten
können.
Das zweite Element der Rede ist, klar zu machen, dass die Industrie bei einer
Maschinenauslastung von wenig mehr als 80%, also fast 20% Überkapazitäten, kaum Interesse verspüren wird, zu investieren und
irgendwelche Arbeitsplätze zu schaffen; vor allem, wenn bereits mit dieser Auslastung der Nettoausstoß jährlich wächst.
Unterm Strich geht es bei Hartz IV vor allem darum, einerseits der Kapitalseite das Leben
leichter zu machen und andererseits, den exorbitant verschuldeten Bundeshaushalt zu sanieren. Beides zulasten der Arbeitslosen und der abhängig
Beschäftigten, denen jedoch die Gewinne aus dem erzielten Produktivitätsfortschritt vorenthalten werden. Die Rede ist übrigens im Internet
unter www.re-code.de verfügbar.
Die Kirchen hatten sich Ende der 90er Jahre mit einem »Sozialwort« relativ deutlich gegen den neoliberalen Trend und die
zunehmende Spaltung der Gesellschaft geäußert. Davon sind sie inzwischen abgerückt Reformen müssten sein. Stehen Sie auch
in der verfassten Kirche als Protestierender da?
Der kirchliche Dienst in der Arbeitswelt und die Industrie- und Sozialpfarrämter halten die gegenwärtige sozialpolitische Entwicklung
für äußerst problematisch, was der Linie des Sozialworts der Kirchen entspricht. An dieser Stelle versuchen wir den Protest auch im eigenen
Hause gemeinsam mit den Mitarbeitervertretungen zu organisieren. Dass die Auswirkungen der Steuerreform, die ja eine Teilkomponente des Reformpakets
darstellen, für die Kirche einen mächtigen Schlag ins Kontor bedeuten werden, kristallisiert sich bereits jetzt in aller Schärfe heraus. Da gilt es
seitens der Beschäftigten im Raum von Kirche, sich zu organisieren, um nicht im Zweifelsfall allein im Regen zu stehen.
Nach anfänglicher Kritik an den Hartz-IV-Gesetzen auch von den Wohlfahrtsverbänden (unter anderem der Diakonie, die der
evangelischen Kirche zugehört) hört man jetzt andere Töne. So wird insbesondere die Chance der 1-Euro-Jobs hervorgehoben. Beteiligen sich
die Wohlfahrtsverbände an Lohndumping?
Da die Wohlfahrtsverbände bekanntermaßen zumeist finanziell am Boden liegen, ist für sie die Verführung leider groß,
zu moralischen Steigbügelhaltern der kommenden 1-Euro-Jobs zu werden. Dies wird entgegen allen offiziellen Beteuerungen dazu führen, dass der
Verdrängungswettbewerb unter den Beschäftigten an Schärfe zunehmen wird und das Lohnniveau ins Rutschen gerät. Arbeit, die mit
repressiven Zwängen seitens des Staates durch Hartz IV organisiert wird, sollte nach meiner Auffassung nicht zum Profil der Diakonie gehören.
Dem Image des Diakonischen Werks werden die 1-Euro-Jobs eher schaden als nützen.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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