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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2004, Seite 10

Gegen die Zonierung der Welt

Erfahrungen der Anti-Lager-Action-Tour

Vom 20. August bis zum 5.September reiste die Anti-Lager-Action-Tour in einer Dauerdemonstration von der West- zur Ostgrenze Deutschlands entlang verschiedener Flüchtlingslager und Abschiebeknäste. Das bundesweite Aktionsbündnis aus Selbstorganisierungen von Flüchtlingen und verschiedenen antirassistischen sowie anderen politischen Initiativen wollte der Lebensrealität hinter den Zäunen und Mauern dieser »Orte des Draußen« Aufmerksamkeit verschaffen, die politisch gewollte Ausgrenzung und Isolation unterlaufen, schließlich in die Lager gehen und Forderungen von den Bewohnern der Flüchtlingssammellager an die Öffentlichkeit bringen. Drei längere Camps an Flüchtlingslagern in Deutschland und mehrere Aktionstage an anderen Sammellagern und Abschiebeknästen waren die Tourstopps, in Autos und Bussen und manchmal auch Bahn reisten zwischen 80 und 150 Leute im Tourkonvoi. Ergänzt um weitere Menschen an den Tourorten; in Berlin waren 800 Menschen auf der Demonstration, an den Camps nahmen zwischen 200 und 400 Menschen teil.
Begonnen hat die Anti-Lager-Action-Tour an der niederländischen Grenze, in Bramsche-Hesepe bei Osnabrück. 600 Menschen demonstrierten dort gegen das Abschiebelager, in dem über 500 Flüchtlige leben müssen. Für das kleine Bramsche-Hesepe, einem Dorf mit kaum doppelt so vielen Einwohnern, war es die erste Demonstration in dieser Größenordnung. Für die Flüchtlinge im Lager war es eine überwältigende Unterstützung ihrer Proteste vor Beginn der Anti-Lager-Tour. In den Monaten vorher hatten vor allem tschetschenische Familien mit Blockaden des Lagertors gegen die Lagerunterbringung protestiert. Die Anti-Lager-Tour wurde im Vorfeld begleitet von Diffamierung der Aktiven als Randalierer und Rassisten und Einschüchterung der Flüchtlinge — wie später auch an allen anderen Orten, an denen die Protestcamps der Anti-Lager-Tour stattfanden. Aber die Protesttage waren auch begleitet von einer großen regionalen Medienaufmerksamkeit. Die niederträchtige Strategie, mit der Angst der Flüchtlinge vor rassistischen Angriffen zu spielen, ging nicht auf. Ebenso wie an allen späteren Tourorten gelang es auch in Bramsche-Hesepe, die behördliche Stimmungsmache zu durchbrechen und Kontakt zu den Flüchtlingen im Abschiebelager herzustellen, trotz der dauerhaften massiven Polizeipräsenz, denn zwei Hundertschaften wurden in Bramsche-Hesepe während der Anti-Lager-Tour auf dem Lagergelände stationiert.
Die große öffentliche Aufmerksamkeit für die Lebensrealität und die Proteste der Flüchtlinge, auf die die Anti-Lager-Tour verstärkend den Focus gerichtet hat, blieb nicht ohne Wirkung: in der Woche nach Abreise der Anti-Lager-Tour wurden alle tschetschenischen Flüchtlinge aus dem Abschiebelager Bramsche-Hesepe in Kommunen entlassen, ebenso andere Familien. Ein Teil ihrer Forderungen wurde damit erfüllt. Und die Grünen-Landtagsfraktion motivierten die Proteste, das Abschiebelager selber in Augenschein zu nehmen und einen (aussichtslosen) Antrag auf Schließung des Lagers in den Landtag einzubringen.
»Das Lager muss weg!« Dieser Satz aus hunderten Kehlen wird vielen Mitdemonstrierern der Anti-Lager-Tour als Dauerohrwurm bleiben. Trotz der brodelnden Dynamik, die an manchen Orten vor dem Lagerzaun entstanden ist, konnte im Angesicht der Reihen von Polizeibütteln, Pferde-und Hundestaffeln, Aufstandsbekämpfungs-Sondereinheiten, in Mecklenburg- Vorpommern auch Hubschraubern, kein Lagerzaun wirklich zu Fall gebracht werden, bis auf 15 Meter Zaun, die am Morgen der Abreise des Tourkonvois aus Bramsche-Hesepe am Abschiebelager fehlten.
Bestehen bleiben die Forderungen der Anti-Lager-Tour nach Bewegungsfreiheit, nach Schließung aller Lager, nach Öffnung der faktischen und gesellschaftlichen Grenzziehungen an den Rändern und innerhalb der Festung Europa.
Dass die Kampagne gegen die Lager auf hochaktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen trifft, machen nicht nur die Pläne von Bundesinnenminister Schily für Auffanglager vor den EU-Außengrenzen deutlich. Im Aufruf zur Anti- Lager-Tour heißt es: »Diese Einteilung und Aussonderung von Menschen machen wir nicht mit, nicht die Aufteilung der Gesellschaften und der Welt in Zonen der Armut und des Reichtums, des Zugangs zu Rechten und der Rechtlosigkeit, in Zonen des Krieges und falschen Friedens. Wir wollen diese Fundamente der herrschenden Verhältnisse, die Zäune der Lager, die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen untergraben, unser Wissen und unsere Erfahrungen im Widersetzen verknüpfen.«
Die politische Brisanz dieser Ansage dürften die Regierenden erkannt haben. Vielleicht war das expandierende Aufgebot einer wahren Armada an Sicherheitskräften im Verlauf der Anti-Lager-Tour dafür ein Gradmesser.

Ruth Gobi

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