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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2004, Seite 14

US-Wahlen

John Kerry — Plan B

»Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der seine Sinne beisammen hat, für die Präsidentschaft kandidiert mit einer Strategie des: ›Die Leute hassen den anderen Typen, und das reicht für unseren Mann zum Sieg‹«, äußerte sich Douglas Sosnik, der politische Direktor des Weißen Hauses unter Bill Clinton, Ende Mai gegenüber der New York Times. Doch John Kerry könnte genau so ein Kandidat sein.

Viele Monate sind vergangen, und Kerry hat eine Menge politisches Terrain erobert — auf der Rechten. Die populistische Rhetorik, mit der er Howard Dean bei den Vorwahlen die Kandidatur abspenstig gemacht hatte, hat er längst aufgegeben und sie gegen die von den Medien und politischen Beratern so genannte »Wählbarkeit« eingetauscht: die Idee, dass ein Kandidat, um eine Chance zu haben, nicht zu weit vom »Mainstream« entfernt sein darf.
Das bedeutet: Unterstützung des Krieges im Irak und des »Krieges gegen den Terror«, Unterstützung für das US Patriot Act und Ablehnung der Schwulenehe. Kerry glaubt sogar, dass ein Präventivkrieg nötig sein kann, was ja ein Eckstein der Bush-Doktrin ist.
Für Millionen von Menschen ist die oberste Priorität bei den Wahlen im November der Sturz Bushs, egal wie schlecht die Alternative ist. Die Losung lautet: »Jeder, nur nicht Bush«.
Doch das wirft einige wichtige Fragen auf. Wird die Politik einer Kerry-Administration so anders sein als die der Bush-Administration? Und wenn so viele Menschen von Washingtons Terrorherrschaft — gegen das irakische Volk und gegen die Werktätigen und Armen im eigenen Land — abgestoßen sind, warum kommt Kerry damit durch, dass er so wenig als Alternative zu bieten hat?

Effektivere Kriegführung

»Was den Irak betrifft, so wird es jeden Tag schwieriger, zwischen Bush und Kerry einen Unterschied zu sehen«, schrieb die New York Times Ende Mai. John Kerry ist ebenso gewillt, die Besetzung des Irak fortzusetzen wie Bush. »Die Amerikaner haben unterschiedliche Meinungen darüber, ob und wie wir in den Krieg hätten eintreten sollen«, sagte Kerry im April bei einer Radioansprache. »Aber es wäre nun undenkbar für uns, wenn wir uns ungeordnet zurückzögen und eine Gesellschaft zurückließen, die derart zerstritten ist und von Radikalen dominiert wird.«
Kerry befürwortet die Verteilung der Lasten der Besetzung auf die Verbündeten der USA. Aber dies tut auch Bush. In einer Pressekonferenz im Mai gab Bush seine Absicht kund, die UNO und die NATO ins Spiel zu bringen.
Die Ähnlichkeit von Kerrys Position mit der der Bush-Administration hat dazu geführt, dass Konservative wie William Kristol, der Vorsitzende des rechten außenpolitischen Thinktank Project for the New American Century, ein Loblied auf Kerry anstimmen.
Statt eine Alternative zu den Falken in der Bush-Administration zu bieten, hat Kerry versucht, sich als eine noch härtere Version von Bush zu präsentieren. »Ich kann den Krieg gegen den Terror effektiver führen als George Bush«, sagte Kerry gegenüber dem Wall Street Journal. »Ich werde Amerika sicherer und stärker machen, als es George Bush getan hat … Ich mache Bush nicht den Vorwurf, beim Krieg gegen den Terror den Bogen überspannt zu haben. Ich glaube, er hat zu wenig getan.« Kerry ist bemüht klarzumachen, dass er nötigenfalls auch mit Präventivkriegen kein Problem hat. Im März versprach er, »alles zu unternehmen, um sicherzustellen, dass das amerikanische Militär im 21.Jahrhundert das stärkste auf der Welt ist. Ich werde nicht zögern, Gewalt anzuwenden, wenn sie erforderlich ist, um den Krieg gegen den Terror zu führen und zu gewinnen.«
Wir erfahren auch, warum Kerry ein eher multilaterales Herangehen befürwortet: »Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern beim Krieg gegen den Terror pflegen wir um unseretwillen, nicht in ihrem Interesse. Wir können terroristische Zellen in Schweden, Kanada, Spanien, auf den Philippinen oder in Italien nicht ausradieren, indem wir dort einfach Marineinfanteristen absetzen«, sagte Kerry im Februar. Wenngleich, so muss man hinzufügen, zu den entscheidenden Bestandteilen von Kerrys Plan zur Wiederbelebung des Militärs »um unseretwillen« die Verdoppelung von Sondereinheiten gehört.
Kerry kritisierte die Bush-Administration wegen ihrer einseitigen Konzentration auf den Irak, die seiner Meinung nach von der wirklichen Aufgabe ablenken würde, nämlich sicherzustellen, dass Nordkorea und der Iran keine Atomwaffen entwickeln. Er beschuldigt Bush, das Militär zu schwächen, und tritt für mehr Truppen ein, die bereitstehen, »terroristische Organisationen zu verfolgen, ob mit oder ohne Verbindungen zu Schurkenstaaten«.
Kerry ist derart engagiert, Israels Rolle als Kettenhund im Nahen Osten zu sichern, dass er bereit ist, Israels schlimmste Verbrechen zu verteidigen. Auf die Frage eines Reporters, wie er zur Ermordung des Hamas-Führers Abdel Aziz Rantisi im April stehe, antwortete Kerry: »Ich glaube, Israel hat jedes Recht, auf jeden gegen es gerichteten Terrorakt zu antworten … Ich unterstütze Israels Bemühungen, sich abzutrennen und so Sicherheit zu erlangen.« Kerry betonte auch, dass er einverstanden sei mit Bushs Ankündigung, dass Israel Teile des 1967 eroberten Gebiets behalten dürfe und dass die palästinensischen Flüchtlinge nicht in ihre Heimat zurückkehren dürften.
Kerrys außenpolitische Argumente werden weniger von »Wählbarkeit« als durch eine Übereinstimmung hinsichtlich der politischen Ziele geleitet. Die Demokratische Partei hat sich demselben imperialen Projekt verpflichtet: der Sicherung der US-Kontrolle über die Ölressourcen des Irak, der Durchsetzung neuer Bedingungen für die US-Hegemonie im Nahen Osten und die Ausnutzung des »Krieges gegen den Terror« als ein Mittel, die Macht der USA international zu fördern. Doch es ist auch klar, dass die neocons — die Neokonservativen — sich dabei als Stümper erweisen — und da beginnt Kerrys Rolle. Wenn er argumentiert, dass er für eine »stärkere, umfassendere und effektivere Strategie für den Sieg im Krieg gegen den Terror ist, als die Bush-Administration je geplant hat«, signalisiert er der herrschenden Klasse, dass er für Amerikas imperiale Agenda die Unterstützung der Alliierten sowie Legitimität und Stärke wiedererlangen kann.
Kerrys Apologeten sind daher im Irrtum, wenn sie meinen, dass die Bush-Doktrin das Werk einer kleinen Clique von rechten neocons ist. Tatsächlich ist sie die Politik der herrschenden Klasse und daher die Politik beider Parteien. Für Kerry liegt das Problem nicht in der Invasion des Irak, sondern in der verpfuschten Invasion des Irak. Für die wachsende Anzahl mächtiger Politiker und Geschäftsleute, die von Bush zu Kerry übergelaufen sind, stellt sich die Frage, wie der »Krieg gegen den Terror« wieder auf das richtige Gleis gebracht werden kann, nicht dass er einzustellen ist. Dies erklärt die Annäherung der Positionen von Bush und Kerry: Bush will seine Fehler korrigieren; Kerry möchte die herrschende Klasse davon überzeugen, dass er dies besser kann.

Kerrys Basis

»Die Demokraten können nicht Jobs lieben und die Leute hassen, die Jobs schaffen«, lautete Kerrys kaum verschlüsselte Botschaft an seine Unterstützer aus dem Unternehmerlager. Sogar sein Plan, mehr Jobs zu schaffen, ist ein Geschenk an die Konzerne: Er möchte zehn Millionen neue Jobs schaffen, indem er denjenigen Unternehmen Steuervergünstigungen gewährt, die ihre Investitionen in die USA zurückholen. Er tritt auch für eine weitere Senkung der Kapitalertragsteuer ein.
Wenn Kerry anfänglich ein wenig Anti-Konzern-Rhetorik in seine Reden einflocht, so war die Wall Street darüber ganz und gar nicht beunruhigt. »Seine unternehmerkritische Botschaft ärgert mich, und ich werde mal darüber mit ihm reden«, äußerte John Catsimatidis, Chef des Nahrungsmittel- und Öl-Konsortiums Red Apple Group gegenüber dem Wall Street Journal. »Aber den perfekten Kandidaten bekommt man nie.«
»Ich rufe jeden an, den ich kenne, und sag ihnen, dass sie spenden sollen«, sagte Stephen Robert von der Robert Capital Management Group, ein nach eigener Einschätzung gemäßigter Republikaner, der einer der zwanzig potenziellen Sponsoren eines privaten Dinners mit Kerry im Februar in New York war. »Jeden Tag rufen mich gemäßigte Republikaner an und sagen mir, dass sie mitmachen wollen.« Kerrys an die Adresse des Kapitals während eines Wahlkampfbanketts gerichtete Versicherung: »Habt keine Sorge, ich bin kein Umverteilungs-Demokrat, der die Fehler der Demokratischen Partei von vor 20, 25 Jahren wiederholen will«, enthüllt seine Botschaft an Amerikas Reiche: Ich bin einer von euch, ich werde die Sozialausgaben weiter kürzen. Die Profite, die ihr in den vergangenen zwanzig Jahren auf Kosten der Arbeitenden aufgehäuft habt, sind unter meiner Regierung sicher.

Jeder, nur nicht Bush?

Bereits über ein Jahr bevor klar war, wer der Kandidat der Demokratischen Partei sein würde, warnten Liberale und sogar einige auf der Linken davor, die Demokraten nicht dabei zu unterstützen, Bush aus dem Amt zu jagen. Nun, wo Kerry der Mann ist, der ausersehen wurde, Bush zu schlagen, steigt der Druck, mit dem progressive Kräfte dazu gebracht werden sollen, ihn zu unterstützen.
Mark Green, ein früherer Aktivist von Ralph Naders Konsumentenkampagne, bspw. sagt: »Die Differenzen zwischen mir und dem Kandidaten der Demokraten in Bezug auf den Irak sind mikroskopisch klein im Vergleich zu dem Abgrund zwischen mir und Bush.«
Leider haben derartige Argumente ihre Wirkung. Robert Borosage, Kodirektor der Campaign for America‘s Future, sagte, dass es unter Antikriegsaktivisten eine »Menge Gemurre« über Kerrys Haltung zum Irak gebe. Aber Borosage, der nicht mit Kerrys Vorhaben, weitere Truppen in den Irak zu schicken, einverstanden ist, meint, dass die Aktivisten letztendlich den Demokraten unterstützen werden. »Die Leute sehen diesmal ganz klar, was bei dieser Wahl auf dem Spiel steht. Bush vereint die Progressiven mit Kerry, so wie vorher Clinton die Konservativen zusammenschweißte.«
Leider vertritt auch ein so bedeutender Gegner des US-Imperialismus wie Noam Chomsky diese Sichtweise: »Kerry wird manchmal als ›Bush light‹ bezeichnet, was recht passend ist«, so Chomsky in einem Interview mit dem Londoner Guardian. »Aber trotz der Begrenztheit der Unterschiede, es gibt immerhin welche. In einem System unermesslicher Macht können kleine Unterschiede große Resultate ergeben.«
Die herrschende Klasse der USA hat mit Kerry ihren Plan B — im Rahmen des Status quo —, aber für Aktivisten, die in den letzten Jahre die Politik der Bush-Administration bekämpft haben, ist Kerry keine Alternative. Viele Aktivisten werden Kerry einfach wählen, weil er nicht Bush ist, aber wie die Bilanz zeigt: wenn sie Kerry wählen, kriegen sie immer noch so etwas wie Bush.
Bushs Popularität ist mit dem Folterskandal in den Keller gegangen, die Besatzung ist eine Katastrophe. Doch anstatt politische Kämpfe zu fördern — gegen die Besetzung des Irak, für das Recht auf Abtreibung, für Arbeiterinteressen —, werden diese von der Demokratischen Partei entmutigt. Wenn Progressive gezwungen werden, in den sauren Apfel zu beißen und Kerry zu unterstützen, zwingt man sie, nicht nur die Fragen, die ihnen am Herzen liegen, beiseite zu schieben, sondern auch einen Kandidaten zu unterstützen, der die gegensätzlichen Werte verkörpert — ein Kandidat, der durch und durch für den Krieg und für das Großkapital eintritt.

Elizabeth Schulte (International Socialist Review) (Übersetzung: Hans-Günter Mull)

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