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Der gerade angelaufene Film Der Untergang ist das Thema des deutschen Kino-Herbstes. Kein Feuilleton scheint es sich leisten zu
können, auf eine Berichterstattung und Kommentierung zu verzichten. Götz Aly, der bekannte Faschismusforscher und zurzeit Gastprofessor für
interdisziplinäre Holocaustforschung am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main, Autor zahlreicher Bücher zum Thema (u.a. Rasse und Klasse.
Nachforschungen zum deutschen Wesen, 2003 und, zusammen mit Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung, 2004) hat sich in einem Rundfunk-Interview mit dem
Deutschlandradio mit dem Film und seiner Wirkung auseinandergesetzt. Mit seiner freundlichen Genehmigung veröffentlichen wir hier das gekürzte und
redaktionell bearbeitetete Gespräch.
Wird mit so einem Film über Adolf Hitler ein freierer oder emanzipierterer Umgang mit Person, Mensch und Diktator möglich?
Ich kann mir gar nichts vorstellen unter einem »freieren Umgang mit Hitler«. Dass die Deutschen hier befangen bleiben, halte ich für
ziemlich normal und wahrscheinlich. Wenn man sich diesen Film ansieht, ist klar: Hier werden die letzten Wochen, Tage, Stunden seines Leben sehr lang gedehnt,
glänzend produziert und mit hervorragenden Schauspielern besetzt. Gegen all das ist gar nichts zu sagen. All das, was man da sieht, ist auch historisch wahr, es
ist gut belegt und dokumentiert, es wird also nichts hinzugefügt und weggenommen. Und trotzdem erläutert das, was man im Film zu sehen bekommt,
eben gar nichts über die Funktionsweise des Nationalsozialismus. Denn je nachdem, mit welcher Erwartung man in den Film hineingeht, kann man sich damit
auseinandersetzen und sehen, wie sich Hitler am Ende seines Lebens und vor dem geplanten und vom Beginn des Films an absehbaren Selbstmord, verhalten hat.
Also steht das, was im Moment so viel diskutiert wird, die Vermenschlichung Hitlers, einer geschichtlichen Bewusstwerdung im Wege?
Ich weiß nicht, ob sie im Wege steht. Die überstarke Konzentration auf Hitler, wie überhaupt auf die großen Diktatoren im
20.Jahrhundert, bspw. auch auf Stalin, halte ich für falsch, denn man muss sich die gesellschaftlichen Interessen ansehen und die Kräfte, die solche
Figuren an die Macht gebracht haben, die davon gelebt haben, die sich davon etwas versprochen haben. Und wir in Deutschland haben die Situation, dass wir im
Nationalsozialismus, und das ist aus heutiger Sicht eigentlich ungeheuerlich und kaum verständlich, eine Übereinstimmung zwischen Volk und
Führung hatten, wie wir sie vorher und nachher auch in den Demokratien niemals wieder erreicht haben, das ist das eigentliche Phänomen. Und wenn
man da die letzten zwei Monate Hitlers Lebens sieht, wird man nicht mal auf dieses Problem gestoßen und man versteht es noch viel weniger. […]
Wenn Sie die Äußerung von Bruno Ganz nehmen, Hitler habe nie aufgehört ein
Künstler zu sein und immer seine Rolle gespielt mein Gott, mit diesen Äußerungen kommen Sie höchstens am Schluss weiter, wenn
sie ihn da dieses Abwehrblättchen lesen, plötzlich Eva Braun heiraten und irgendwie ein verrücktes Testament aufsetzen sehen. Sie kommen damit
aber überhaupt nicht weiter, wenn es darum geht, dass im Jahre 1940/41/42 Vernichtungsbeschlüsse für so und so viele Millionen Menschen
gefasst und auch durchgesetzt werden. Da kommen Sie mit so einer Erklärungsfigur »der hat sich da sein Leben lang als Künstler
verstanden« nicht weiter und sind völlig aufgeschmissen mit so einem Satz.
Was hat das mit Künstlertum und Schauspielerei zu tun, wenn Sie ihn in einer Rede vor den
Reichs- und Gauleitern haben, wo er sagt, die Juden müssen ausgerottet werden? Wir wissen, das war keine Schauspielerei.
Ist das die Kritik eines Historikers am Kunstphänomen Film?
Naja, ich finde einen Film über die letzten Tage einer so bedeutenden, einflussreichen Figur, wie es Hitler war, legitim. Natürlich zieht er als
Person auch Interesse auf sich. Man kann das ruhig machen. Nur kann man daraus überhaupt keine Schlüsse für seine Herrschaft ziehen und
natürlich tun das die Beteiligten, wenn sie sagen »er hat sich immer als Künstler verstanden, bla bla«.
Der war ein Spekulant, das Ganze eine Spekulationsblase! Was heißt hier
»Künstler«, den muss man sich vielmehr als Finanzbetrüger vorstellen, der ein Schneeballsystem aufgebaut hat. In diesem Dritten Reich war
überhaupt nichts seriös, diese Naziführer wussten nicht, wie sie am nächsten Morgen ihre Rechnungen bezahlen sollten und haben so getan,
als würden sie für 1000 Jahre ein deutsches Reich basteln. Das ist das Wesentliche und diese historischen Kernfakten, die relativ wenig bekannt sind,
werden jetzt nicht durch so einen Film befödert, der um diese Person so einen Geruch macht es ist schon mehr ein »Sterbe«- als ein
»Weih«rauch, der da um ihn weht. Das ist klar, das ist der Nachteil von so einem Film.
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