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Nach 1968 entstand eine kleine Männerbewegung als positive Reaktion hetero- und bisexueller Männer auf die Neue Frauen- sowie
Schwulenbewegung. Sie bildete ein relevantes Phänomen vor allem im angloamerikanischen und deutschsprachigen Raum, aber auch in Skandinavien
und Holland. Diese Bewegung hat hierzulande ihren Zenit in der ersten Hälfte der 90er Jahre überschritten. Seither ist ein Ersterben der Bewegung
festzustellen, einhergehend mit der Professionalisierung von Männer- und Jungenprojekten sowie Ansätzen einer Akademisierung. Weitgehend
verloren hat sich leider der umfassende politisch-emanzipatorische, vielleicht am besten als libertär zu benennende Impuls. Stattdessen haben sich seit dem
Ende der 80er Jahre und über die reaktionäre Periode seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hinweg deutlich entsprechende Tendenzen
ausgebreitet.
Entstanden ist in diesem Zusammenhang dennoch ein weitgespanntes Wissensfeld, das von der
Psychoanalyse und Tiefenpsychologie über die Pädagogik, Soziologie, Medizin, Literaturwissenschaft, Ethnologie und Geschichtswissenschaft bis
hinüber in die Wissensfelder reicht, die politische und kulturelle Bewegungen erzeugen. In der psychotherapeutischen Männergruppenarbeit und in
den verschiedenen Männer-Selbsterfahrungsgruppen sowie in den Therapeuten- und Klientenberichten hierüber hat sich ein Schatz möglicher
Erfahrungen angesammelt, den es für Sozialisten (und Sozialistinnen) zu heben gilt. Stichworte hierfür sind zuallererst: Partnerschaftskonflikte,
Männersehnsüchte nach Freunden, Vaterschaft sowie die Formen männlicher Arbeitssucht und protestantischer Arbeitsethik. Von hier aus ist
es nicht weit zur Kommunikations- und Kooperations(un)kultur von Männern (und auch Frauen) in linken politischen Zusammenschlüssen…
Holger Brandes legt in seinem Buch Der männliche Habitus. Männerforschung und Männerpolitik eine Standortbestimmung der
deutschsprachigen Männerforschung vor und macht den Vorschlag, aus dem »Habitus«-Begriff Bourdieus sowie dem Begriff der
»hegemonialen Männlichkeit« Robert Connells ein theoretisches Rahmenkonzept abzuleiten.
Mit Switchboard, dem männerforum und der Väterzeitschrift Paps hat sich die
Männergruppen- und Männerprojekteszene im deutschsprachigen Raum drei relativ stabile Zeitschriftenprojekte erarbeitet. Viele kleine und kleinste
professionelle Männer- und Jungenprojekte sind entstanden. Leider schweigen diese bisher weitestgehend zur Agenda 2010, verstehen sich meist als un-
oder antipolitisch. Vereinzelt gibt es gegenläufige Entwicklungen. Etablierter Frauenforschung steht keine etablierte Männerforschung
gegenüber. Es gibt jedoch namentlich den »Arbeitskreis Kritische Männerforschung«, der sich zusammen mit anderen
maßgeblich um das »Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse« bei der Heinrich-Böll-Stiftung
verdient macht. Am 12./13.11. wird in Berlin dort dessen Herbsttagung unter dem Arbeitstitel »Männer und Arbeit Zukunft der
Arbeit(slosigkeit)« stattfinden. Es wäre sinnvoll, wenn geschlechtssensible Sozialisten (und Sozialistinnen) dort respektvoll intervenierten.
Die mangelnde Perspektive der gesellschaftlichen Totalität und insbesondere das
fehlende Verständnis für das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit ist seit Anbeginn der größte Schwachpunkt in der
Männerbewegung. Ohne jegliche Beleidigungsabsicht den Akteuren gegenüber scheint es angebracht festzustellen, dass Unverständnis und
Naivität gegenüber dem Kapitalismus in ihren Reihen sehr weit verbreitet sind. Hierher gehört auch die einseitig private, professionelle oder
akademische Orientierung sowie das Fehlen spürbarer Verankerung in einer emanzipatorischen Bewegung von unten. Dies muss benannt werden. Es
macht die Aufgaben klarer, vor denen emanzipatorisch orientierte Männer stehen.
Ende September 2001, nach den New Yorker Anschlägen und vor dem Afghanistan-Krieg, anderthalb Jahre vor der Verkündung der Agenda
2010, fand ein Kongress statt, initiiert und organisiert von der Männerarbeit der EKD. Er hatte als Motto« (sinngemäß): »Wir
sinds leid Männer gegen Männergewalt.« Die Positionierung des Kongresses gegen den Krieg war mehr als zögerlich.
Sozialistische Programmarbeit ist hier noch zu leisten. Dazu bedarf es außerdem einer Bewegung.
Holger Brandes formulierte auf dem Kongress eine Position, was Männerpolitik sein
könnte. Männer heute in der Bundesrepublik hätten, so Brandes, aus zwei Gründen Interesse an einem männerpolitischen
Engagement: Der erste sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die auch für Männer zum Problem werde. Ein aktuelles Beispiel des politischen
Umgangs hiermit, das sich anführen ließe, ist der Offene Brief »Väter gegen länger«, d.h. gegen
Arbeitszeitverlängerung, vom 29.1.2004 aus dem Umkreis der Väterzeitschrift Paps (dokumentiert auf deren Webseite), den auch viele
Betriebsräte und prominente Männer unterzeichnet haben. Zweitens wachse die Zahl der Männer, die sich mit der Gewalt in der Gesellschaft,
egal gegen wen sie sich richtet, nicht mehr abfinden wolle.
Brandes geht davon aus, dass es in den seltensten Fällen Gegensätze zwischen
Frauen- und Männerinteressen gebe. Viel häufiger stünden diese in Gegensatz zu wirtschaftlichen und politischen Interessen und den
angeblichen Zwängen gesellschaftlicher Institutionen. Diese seien das größte Hindernis für eine lebendige Geschlechterdemokratie, in
ihnen die Prägung durch das alte, traditionelle Geschlechterarrangement. Die Institutionen erzeugten in einer Eigendynamik die zu ihnen passenden
Formen von Männlichkeit. Die Kardinalfrage sei nicht die nach dem individuellen, sondern nach dem gesellschaftlichen Veränderungswillen. Aus
diesem Grund komme der Etablierung einer Männerpolitik im Rahmen von Geschlechterdemokratie ein so großer Stellenwert für die Zukunft
zu.
Zu ergänzen wäre: Und diese wird sich lange Zeit vor allem
außerparlamentarisch gegen den Neoliberalismus aufzustellen haben oder sie wird nichts sein denn eine weitere kapitalistische Verwertungstechnik bzw.
bürgerliche Ideologie für Besserverdienende.
Eine auf das Ziel der Geschlechterdemokratie ausgerichtete Männerpolitik hätte laut Brandes als erste Aufgabe, die politischen und
ökonomischen Voraussetzungen zu schaffen, die es Frauen und Männern ermöglichen, Familie und Beruf in ihrem Lebensentwurf sinnvoll zu
vereinbaren. Hiervon leitet er folgende Forderungen ab:
1. Überwindung der Orientierung von Wirtschafts- und Sozialpolitik am
männlichen Normalarbeitstag.
2. Generelle Flexibilisierung von Arbeitszeiten zur Entlastung und zur Schaffung von
Spielräumen, die Männer brauchen, um ihr gewachsenes Interesse an einem über den Beruf hinausgehenden Lebenssinn zu realisieren.
3. Teilzeitarbeitsmöglichkeiten auf allen Ebenen der beruflichen Hierarchien bei
gleichem Zugang für Männer und Frauen.
4. Aufwertung der Vaterschaft sowohl unter Aspekten der Arbeitszeitregelung (siehe oben) als
auch in finanzieller Hinsicht. Aus der Männerforschung ist bekannt, dass viele Männer am ehesten über das Thema der Vaterschaft
anzusprechen sind.
5. Die Unterrepräsentanz von Männern in der öffentlichen Erziehung
(Grund- und Vorschuleinrichtungen) problematisieren.
6. Erste Lehrstühle für Männerforschung; sie darf kein Hobbythema
bleiben.
Brandes sieht in solchen Maßnahmen auch einen Beitrag zu einer effektiven
Gesundheits- und Wirtschaftspolitik, da sie Hunderte Milliarden Euro, die für die Folgen von Alkoholismus und Medikamentenmissbrauch, für
somatische und psychische Störungen ausgegeben werden, ersparen würden.
Die härtesten Widersacher veränderungswilliger Männer und einer
geschlechterdemokratischen Männerpolitik sind Männer, sagt Brandes. Die Privilegien aus dem gegebenen Geschlechterarrangement (Vergabe
beruflicher Positionen, bessere Bezahlung, Privilegien heterosexueller Männlichkeit gegenüber Frauen etc.) kämen einer relativen Mehrheit
der Männer zugute. Karriereverläufe in Politik und Wirtschaft reproduzierten das traditionelle Geschlechtermodell. Die »neuen
Männer« dagegen entschieden sich für Machtferne und seien in den Machtzentren nicht anzutreffen. Daher werde Wandel nicht im Vertrauen
auf die Männer an der Macht vorangetrieben, sondern von einer (zu schaffenden) Basisbewegung, die im Schulterschluss mit den Frauen
»politischen Druck auf die Entscheidungsträger« ausübe und »die Geschlechterfrage zu einem Wahlprüfstein«
mache.
Es wird Zeit, dass wir uns politisch stärker zu Wort melden, schloss Brandes seinen
Vortrag. Ja, das sollten wir tun. Aber politischer Druck und Wahlprüfsteine werden bei weitem nicht reichen. Eine eindeutige und aktive Stellungnahme
gegen die neoliberale Agenda 2010 und tagespolitisch gegen Hartz IV ist heute die allererste männerpolitische Pflicht. Mit anderen Worten: Auf welcher
Seite stehst Du?
Klaus Drechsel
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