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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2004, Seite 22

Kolumne von Thies Gleiss

Zurück in die 70er Jahre?

Jetzt heucheln und meucheln sie wieder. Weil auch eine soziale Bewegung, wie alles in der Welt, nicht ein Komplex von fertigen Dingen, sondern ein Komplex von Prozessen ist, taucht in ihren Reihen immer eine Riege Minderbegabter auf, die mit der Attitüde eines »linken« oder auch nur »besseren« Vollstreckers tieferer Wahrheiten und Wünsche gegen sämtliche Windmühlen von »Abweichlern«, »Verrätern« und »falschen Ideologen« zu Felde ziehen.
Wie in den 70er Jahren, die sich mit ihren linken Avantgardetrüppchen, der durch den Kalten Krieg bedingten ideologischen Vorfestlegung aller großen politischen Kräfte, den politischen Verallgemeinerungen, bevor das Besondere überhaupt geboren war, und dem Seelenheil aller Schattierungen von Bürokraten im Schatten der großen Kräfteverhältnisse fast wie eine Laborstudie der heutigen, etwas komplizierteren Auseinandersetzungen auf der Welt erweisen, wird geholzt und gehobelt, dass wie beim Muschelessen der Berg Abgelegtes um ein Vielfaches größer als die gute Nahrung ist, um Führung gerungen, bis es nichts mehr zum Führen gibt.
Da gibt es auf der einen Seite die berufsmäßigen Vereinfacher in den Chefetagen der Gewerkschaften. Sie leben ja nicht schlecht von dem, wie es ist und scheuen automatisch die große Veränderung, weil die Frage, wo sie als alte Bürokraten dann abblieben, nur als echte Bedrohung gegenwärtiger materieller Vorteile erfahren wird.
Wundert es da, dass aus dieser Ecke die immer breiter werdende Protestbewegung gegen die Lohn- und Sozialraubpolitik der Regierung vor Leuten gewarnt wird, die diese Bewegung »parteipolitisch missbrauchen« wollen. Aus den Mündern von Gewerkschaftsführern, die in Personalunion auch Spitzenfunktionäre der Partei »SPD« sind, ist das natürlich eine mit der Fantasielosigkeit eines Bürokraten nur sauschlecht kaschierte Heuchelei. Aber sie ist auch ein Eingeständnis, dass die SPD heute so wenig mit der sozialen Bewegung für eine bessere, solidarische Gesellschaft zu tun hat, dass das alte »Folgt uns — misstraut den anderen« durch eine priesterliche Warnung vor »Missbrauch« ersetzt wird. Dabei würde der gegenwärtigen Bewegung, den Montags-bis-Samstags-Demonstrationen, nichts mehr guttun als »parteipolitischer Missbrauch«. Da Demonstrieren allein nichts bringt, wäre ein produktiver Austausch aller Beteiligten, aller politisch Weiterdenkenden und aller Leute, die Vorschläge zu machen haben, nützlich und erforderlich — ein offener Austausch aller Strömungen, von A wie Arbeiterbund bis Z wie ZK der MLPD, mit der nichtparteiseinwollenden Attac- Partei, der SAV, DKP und wie sie alle heißen, mittendrin statt nur dabei.
Der Einsicht in diese Notwendigkeit widersetzt sich allerdings eine, in Deutschland immer besonders ausgeprägte Partei der Spießer. Eine Mischung aus paternalistischer Missionarshaltung und grenzenlos naiver Vorstellung, dass das Volk nicht nur tümlich ist, sondern sich durch Reden eines Vertreters einer 200-Mitglieder-Gruppe in die Irre leiten ließe, lässt diese Spießer leider immer wieder zu Vollstreckern der Interessen werden, die am unruhigen Verlauf einer Demonstration so wenig Interesse wie an ihr überhaupt haben.
Komplettiert wird die Riege der Minderbegabten durch das passende Gegenstück zum Opportunisten, dem ultralinken Vereinfacher. Ob sie nun aus der MLPD oder der SAV kommen — bei aller Unterschiedlichkeit — treffen sie sich in einer grandiosen Fehlannahme: sie unterstellen ein mechanistisches, linear wachsendes politisches Bewusstsein bei den Beteiligten einer Massenbewegung. Deshalb ringen sie miteinander und zusätzlich mit einer Reihe gar nicht vorhandener Gegner leidenschaftlich um möglichst maximale Inhalte in Demonstrationsaufrufen.
Sie zerfetzen sich gegenseitig in Ideologiekritik — der wahrlich minderwertigsten Disziplin linker Wettkämpfe — und um den Spießern zu gefallen, schlüpfen sie gerne in nur mäßig kostümierte Rollen als »Vertreter« echten Massenwillens, und sei es nur einer in Bierlaune erfundenen Basisinitiative.
Soziale Massenbewegungen als Aktionseinheit sich respektierender unterschiedlicher Kräfte und als politische Einheitsfront mehrerer Strömungen, die sich nicht zugunsten der Bewegung verleugnen oder auflösen müssen, sondern in ihr im hegelschen Sinne bestens aufgehoben sind — für ein solches Verständnis muss wohl noch viel geworben werden.



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