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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 12

An die Teilnehmer der Beiruter Antikriegskonferenz

von Michel Warschawski

Liebe Freunde, während der letzten internationalen Konferenz wurde beschlossen, die nächste Konferenz in Beirut im Libanon abzuhalten. Es ist offensichtlich, dass kein israelischer Aktivist in Beirut bei dieser Konferenz anwesend sein kann, doch ich bin voll und ganz mit dieser Entscheidung einverstanden.
Es ist von größter Bedeutung, dass die weltweite Bewegung gegen den Krieg Wurzeln in der arabischen Welt schlägt. Diese ist die Frontlinie der imperialistischen Offensive, die dort aktuell zwei Schlachten schlägt: im Irak und in Palästina.
Gesetze in Israel wie auch Gesetze in Syrien und im Libanon erlauben meinen Kollegen vom Alternative Information Centre (AIC) die Teilnahme an der Beiruter Konferenz nicht. Man muss jedoch eine klare Unterscheidung treffen: Während die arabische Entscheidung bezüglich der Israelis aus ihrem legitimen Kampf gegen die Normalisierung der Beziehungen zu Israel herrührt, basiert das israelische Gesetz, das seinen Bürgern die Reise in arabische Länder untersagt, auf einer Politik, die darauf abzielt, jegliche Kooperation unter den Aktivisten zu verhindern. Konkret geht es dabei um die Unterbindung jeder Art von Zusammenarbeit, deren Ziel nicht die »Normalisierung«, d.h. die Schaffung eines falschen Eindrucks von Frieden und Normalität, ist, sondern unsere Kämpfe gegen imperialistische Kriege, den zionistischen Kolonialismus und die Besatzungsregime in unserer Region koordinieren will.
In diesem Brief möchte ich den Akzent auf diesen globalen Krieg sowie auf die Antikriegsbewegung und die zentrale Bedeutung der palästinensischen Frage legen.
Warum ist Palästina in den Augen von Millionen Aktiven in Politik und Zivilgesellschaft so wichtig? Warum ist auf jeder Demonstration gegen den Neoliberalismus oder gegen den Krieg die palästinensische Fahne allgegenwärtig, mehr als die des Irak oder die jedes anderen Landes? Etwa, weil die israelische Besatzung die mörderischste, barbarischste ist? Nein, leider gibt es Verhältnisse, die noch schlimmer sind, z.B. in Tschetschenien, wo die russische Armee einen wirklichen Genozid verübt.
Etwa, weil die palästinensische nationale Bewegung eine Quelle der Inspiration für die Völker der Welt ist? Nein, es gibt nationale Befreiungsbewegungen, die effektiver und einem Sieg näher sind als die palästinensische Bewegung.
Gewisse »Freunde Israels« werden behaupten, dass der zentrale Stellenwert des israelisch-palästinensischen Konflikts die Bestätigung für den Antisemitismus der Antikriegs- und Antiglobalisierungsaktivisten ist. Ich kann eine derart diffamierende Anschuldigung nicht teilen, denn ich weiß, wie unsere Bewegungen in Europa, Afrika, Amerika oder Asien stets an vorderster Front der Kämpfe gegen den Rassismus einschließlich des Antisemitismus gestanden haben, was man von diesen »Freunden Israels« nicht sagen kann.
Für mich erklärt sich die Zentralität der palästinensischen Frage durch die Tatsache, dass sie mehr als jeder andere Konflikt auf unserem Planeten ausdrückt, was bei dem von der Bush- Administration und ihren Verbündeten lancierten globalen Krieg auf dem Spiel steht.
In Wirklichkeit ist die palästinensische Frage das Laboratorium dieses Krieges gewesen. Alle Methoden, alle Argumente und alle Rechtfertigungen, alle Bilder und alle Techniken sind in Palästina erprobt worden, bevor sie anderswo auf dem Planeten in die Praxis umgesetzt wurden.
Wenn man die »Checkpoints« im Irak betrachtet, stellt man unwillkürlich fest, dass sie eine Kopie der »Kontrollpunkte« in Palästina sind. Betrachtet man die schrecklichen Folterbilder in den irakischen Gefängnissen, so handelt es sich größtenteils um alte israelische Methoden.
Das Konzept des Multilateralismus, die Genfer Konvention und allgemeiner die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete politische Ordnung gelten nicht mehr. Der Rahmen von Bushs neuer Strategie ist der Kern der israelischen Politik des letzten Jahrzehnts. Des Weiteren führt Israel seit 2000 einen präventiven, globalen und permanenten Krieg gegen die Palästinenser, die mehr als nur Feinde sind, denn sie werden als eine »existenzielle Bedrohung« betrachtet.
Manche versuchen, die Ähnlichkeit zwischen der Strategie von Bush und der von Sharon als Resultat einer »jüdischen Verschwörung« hinter dem Rücken des US-Präsidenten zu erklären, wobei letzterer manipuliert wird, um eine Politik im Interesse Israels durchzuführen.
Es gibt jedoch eine einfachere Erklärung: In den letzten 15 Jahren hat eine Gruppe von Politikern aus den USA, aus Israel und Europa zusammen mit Experten und Geschäftsleuten kollektiv eine neue Vision der Welt ausgearbeitet, eine neue globale Strategie nach dem erwarteten Zusammenbruch des Ostblocks.
Mehrere von ihnen hatten Beziehungen zum israelischen Likud. Sie sind unter der Bezeichnung »Neokonservative« bekannt, und in zahlreichen intellektuellen Thinktanks haben sie die Konzepte von der »islamischen Bedrohung«, dem »Zusammenstoß der Zivilisationen« und dem »globalen Präventivkrieg« ausgearbeitet.
Ihre zentralen Hypothesen behaupten, dass die nach dem Sieg über den Faschismus errichtete Weltordnung nicht mehr gültig sei; dass die neue Bedrohung nicht mehr der Kommunismus sei, sondern der islamistische Terrorismus, und dass die USA das Recht hätten, die Welt vor dieser Bedrohung zu schützen; dass Israel im Zentrum dieses neuen Weltkrieges stehe und dass der Unilateralismus der USA den Multilateralismus der UNO ersetzen müsse.
Die israelischen Neokonservativen sind mit Netanyahu und seiner Bande 1996 an die Macht gekommen, fünf Jahre vor dem Machtantritt der Neokonservativen in Washington. Daher hat man den Eindruck, dass die US- Administration die israelischen Methoden kopiert. Gewissermaßen ist die israelische Politik gegen die Palästinenser eine Art lokales Laboratorium für die Strategie der Neokonservativen im Weltmaßstab.
Diese Strategie gründet sich auf der Rekolonialisierung der Welt, z.B. durch die Durchsetzung der Vorherrschaft der USA und ihrer Verbündeten durch lokale Kollaborateure, wobei auf diese Weise ein System weltweiter Apartheid etabliert wird.
Dies ist in Palästina gescheitert und scheitert gegenwärtig im Irak dank des außerordentlichen Widerstands der jeweiligen Bevölkerung, selbst angesichts einer grenzenlosen militärischen Macht.
Es ist per Definition eine unilaterale Strategie, die den Präventivkrieg mit dem Ziel benutzt, die zukünftigen Herausforderungen zu neutralisieren, die ein Hindernis für die globale Vorherrschaft sein könnten.
In diesem beginnenden 21.Jahrhundert gibt es keine lokalen Konflikte mehr, sondern lediglich lokale Schlachten eines einzigen neokolonialen Krieges, bei dem sich auf der einen Seite der US-Imperialismus und seine Verbündeten und andererseits die Völker des Planeten gegenüberstehen, die den Verheerungen des globalen Kapitalismus und der kolonialen Herrschaft ihren Widerstand entgegensetzen.
Der zweite Grund für die zentrale Bedeutung der palästinensischen Frage ist die Tatsache, dass die Frontlinie dieses globalen, permanenten und präventiven Krieges auf der Linie verläuft, auf der Israel die Mauer der Apartheid errichtet.
Östlich dieser Mauer, in Qalqiliya und in Tulkarm, beginnt die Achse des Bösen, die Schurkenstaaten; westlich der Mauer, in Kefar Sava und in Zur Yigal, beginnt die Zivilisation von Bush. Israel steht an vorderster Front des Kampfes der Zivilisation gegen die Barbarei, Palästina ist die vorderste Front der gewaltigen Armee der Völker der Welt, die gegen die Zivilisation von MacDonald‘s, Microsoft, Mitsubishi und Lagardère kämpfen.
Die Mauer ist nicht nur eine Mauer der Apartheid zwischen Israelis und Palästinensern: Es ist eine universelle Mauer der Apartheid, die die Welt in zwei globale gesellschaftliche Kräfte spaltet, die einen Kampf um Leben und Tod auf Weltebene führen.
Die Existenz einer gewaltigen Antiglobalisierungs- und Antikriegsbewegung in den imperialistischen Ländern selbst ist eine außerordentliche Herausforderung für die Strategie der Apartheid, die die Welt in einen »Zusammenstoß der Zivilisationen« treiben will.
Dies gilt auch für Israel, wo die Existenz einer antikolonialen Bewegung, so bescheiden ihre Ausmaße auch sind, von entscheidender Bedeutung ist, denn sie stellt mit ihren täglichen Aktivitäten die Errichtung eines Systems der Apartheid großen Ausmaßes sowie die Politik des permanenten, präventiven und kolonialen Krieges gegen das palästinensische Volk in Frage.
Solange wir bereit sind, den Kolonialismus und die Besatzung zu bekämpfen, solange es Soldaten gibt, die den Dienst in einer Besatzungsarmee verweigern, und solange es Männer und Frauen gibt, die für ein wirkliches Zusammenleben, »ta ayush«, zwischen Juden und Arabern kämpfen, wird die Chance größer werden, dass eine Katastrophe für die Völker der Region vermieden wird.

www.france-palestine.org (Übersetzung: Hans-Günter Mull)

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