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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 19

Gespräch mit Ernesto Cardenal

›Wir müssen Worte finden‹

Am Rande einer Lesereise Ernesto Cardenals, die dieser in Deutschland aus Anlass seines soeben erschienenen dritten Bandes autobiografischer Erinnerungen absolvierte, sprachen Hartmut Dreier für Amos. Kritische Blätter aus dem Ruhrgebiet und Rolf Euler für die SoZ mit dem nikaraguanischen Dichter und Sozialisten.

Haben Sie bisher gute Eindrücke von der Lesereise? Wie fühlen Sie sich auf den Veranstaltungen in Deutschland?

Ja, es ist sehr gut. Es gab reichlich Zulauf, auch von vielen jungen Leuten, von Muchachos und Muchachas; es gab viel Begeisterung wegen der Revolution in Nikaragua und viel Solidarität mit dem Nikaragua von heute, mit dem, was es jetzt erlebt.

Wir haben schon länger, dank der Arbeit des Peter-Hammer-Verlags, Ihre Bücher lesen können — jetzt natürlich die drei Bücher Ihrer Biografie. Viele von uns sind politisiert und radikalisiert worden durch die Schriften von Ernesto Cardenal. Und wir sind immer noch radikal. Einige von uns sind auch noch in der Kirche aktiv. Wie beurteilen Sie das Christentum im Moment in der Entwicklung?

Ich glaube, es gibt zwei Christentümer überall auf der Welt. Das eine ist das der Reichen, und das andere das der Armen und Ausgebeuteten. Aber ich glaube, dass es nur eine wahre Kirche Jesu Christi gibt, und das ist die Kirche, die mit den Armen ist.

Wie ist es heute in Nikaragua, dessen Entwicklung wir mindestens während der sandinistischen Revolution mit großer Sympathie verfolgt haben? Welche Kräfte arbeiten dort in eine fortschrittliche Richtung?

Heute ist es sehr schlecht. Denn, was wir jetzt haben, ist der Neoliberalismus und der Kapitalismus und die Globalisierung. Deswegen ist Nikaragua heute sehr arm. Gegenwärtig ist Nikaragua das zweitärmste Land in Lateinamerika. Deswegen brauchen wir die Revolution. Und die Wirtschaft ist in die Hände der USA übergegangen.

Welche sozialen Kräfte würden heute mit revolutionären Christen zusammenarbeiten?

Es gibt viele dieser Kräfte, aber nicht organisiert in Form politischer Parteien; sie haben keine politische Kraft.

Was ist in der sandinistischen Revolution falsch gelaufen und warum sind Sie dennoch Sozialist geblieben?

Es gab nichts Schlechtes in der Revolution. Ich habe das in meinem Buch erzählt, das gerade in Deutschland publiziert worden ist.

Die schlechten Sachen kamen von außerhalb der Revolution?

Ja. Die Revolution war sehr schön. Präsident Reagan sah damals, dass sie ein »schlechtes Beispiel« für Lateinamerika war. Er wollte ihr keinen Freiraum geben und nahm sich deswegen vor, die Revolution zu zerstören. Es gab einen Krieg von acht Jahren und ein Wirtschaftsembargo, was bedeutete, dass es keinen Handel mehr für Nikaragua gab, und eine Wirtschaftsblockade; das hieß: keinen Kredit mehr für Nikaragua!
Mit diesen Zwangsmaßnahmen nötigten sie das Volk von Nikaragua, anders zu wählen: sie gaben ihre Stimme für die Oppositionspartei. Deswegen verloren die Sandinisten die Wahlen, eben wegen des Drucks der USA. Noch etwas passierte nach den Wahlen: die Sndinisten verloren ihre Moral und wurden korrupt. Als sie an der Macht waren, korrumpierten sie sich nicht; erst als sie die Macht verloren.

Was macht ein Dichter wie Sie normalerweise, wenn er nicht in der Welt herumreist?

Hauptsächlich lese ich, und ich schreibe, und ich bete.

Ein revolutionärer Dichter wie Sie findet bestimmt auch ein paar Worte für die weltweite Bewegung, die es gegen die neoliberale Globalisierung gibt.

(Lacht.) Man muss sie finden, die Worte! Ich bin auch dabei. Ich schreibe weiter.

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